Es gibt doch noch Neues unter der Sonne! Zumindest, was den Venusberg betrifft. Meinte ich noch, schon alles gesehen zu haben - das rüschige Boudoir (sehr oft!), die pure Rotlichtszene, aber auch eine Venus im Tierkäfig (Baumgarten, Bayreuth), als männermordender Vamp in einer riesigen goldenen Schale (die Dresdner sagten „Suppenschüssel“ dazu) und in einem Berg von Fleisch (aktuelle Münchner Inszenierung von R. Castellucci) - so wurde ich von Maximilian von Mayenburg eines Besseren belehrt.

Als sich der Vorhang zum Baccanal öffnet, starre ich ungläubig auf kugelrunde, große, rot geäderte Eier. Plötzlich zuckt es in einem Ei und es beginnt ein Schlupfvorgang, nach und nach auch in den anderen zehn oder zwölf. Dazwischen sitzt Venus (Sayako Shigeshima) in einem weiten, roten, mit Rosenapplikationen verzierten Rock und schaut mit seligem Lächeln zu. Sie schlüpfen - und wie sie schlüpfen! Mit welcher Mühsal und Grazie zugleich sie sich der Latex-Eihüllen entledigen, dafür verdient die Statisterie besonderen Applaus! Schade, dass ich darüber die Musik gar nicht mehr wahrgenommen habe, ihr Pulsieren, ihr e fiebrige Sinnlichkeit und ihre prickelnde Erotik.
Die androgynen Wesen kriechen dann unter den weiten Venus-Rock und vergnügen sich dort sichtbar pulsierend.


Nicht so Tannhäuser. Er kriecht hervor und will heraus, was sowohl Venus als auch die Brut verhindern will. Mit letzter Kraft schleppt er sich eine steile Treppe empor und findet sich in einer weißen Welt wieder, mit Menschen in schwarz-weißgemusterten Anzügen und Kleidern (schwarz-weiß als Zeichen einer Doppelmoral? als Zeichen für die Einheit der Gegensätze?). Die Geschlüpften werden vom Hirten (SuJin Bae) mit eben solcher Kleidung versehen (was soll ein Hirt sonst machen!) und mischen sich dann in den Pilgerchor (Opernchor des DNT und Extrachor aus Studierenden der HfM, gut studiert von Markus Oppeneiger).
Dann kommen die (natürlich schwarz-weißen) Ritter auf die Szene und begutachten mit ihren Taschenlampen die Eihäute. Im Programmheft (S. 11ff) erklärt der Regisseur, für ihn beschreibe dieses Stück die Pilgerreise des Menschseins. Der Venusberg steht für das Einssein mit der Natur wie das Kind im Mutterleib. Aus ihm müssen wir uns befreien, um auf die Reise gehen zu können.

Folgerichtig inszeniert er im 2. Akt die Phase und Konflikte der Adoleszenz. Elisabeth ruht mit schwarzer Augenbinde auf einem Flügel, der mit einem Stoffteil aus dem Venusberg verhüllt ist. Tanhäuser erweckt (?) sie und dann wird das Wesen der Liebe diskutiert. Vorher ziehen die Gäste in den weiß ausgekleideten Festsaal ein und werden dafür zunächst erst einmal eingekleidet, natürlich einheitlich in Schwarz-Weiß (Kostüme: Ursula Kudrna ). Dies und die Brillen, die sie tragen müssen, ebenso die identischen Frisuren weisen auf ein Gleichgeschaltetwerden hin. Der Hirt ordnet die Ankleideszene.
Zeit, ein Ohr auf die Sänger zu haben und mein Déjà-vu: Wenn Corby Welch (Tannhäuser) singt, höre ich Stephen Gould. Ein größeres Kompliment kann ich ihm nicht machen. Es gibt ja Tenöre, die sich aufsparen für den 3. Akt und denen man die Erschöpfung nicht erst nach dem Pilgerweg nach Rom anhört. Corby Welch spart sich zu keiner Sekunde auf, er ist ein Heldentenor, der scheinbar nicht ermüdet, eine ausgezeichnete Romerzählung gestaltet und im Finale zu Wolframs Ausruf „Heinrich, du bist erlöst!“, gleichzeitig zu lachen und zu weinen vermag. Wer da keine Gänsehaut bekam!

Ebenfalls mehr als anrührend: Uwe Schenker-Primus (Wolfram), hochsensibel, mit samtenem Bariton, der auch markant auftrumpfen kann. Dass er es ist, der im Finale Tannhäuser mit der Augenbinde von Elisabeth erwürgt, muss ein anderer zu erklären versuchen. In Dresden (Konwitschny-Inszenierung) musste Wolfram Elisabeth die Pulsadern aufschneiden. Wagner wollte weder das eine noch das andere.

Heinrich der Schreiber (Jörn Eichler) wird als Pianist zur Begleitung der anderen Sänger an den Flügel gesetzt (seine Glissandi sind eine show für sich). Dieser Flügel ist allerdings von Anfang an instabil, je weiter der Sänger-„Krieg“ fortschreitet, desto mehr Teile verliert der Flügel. Das Ganze wird zur Endlos- Slapstick-Nummer, auf die ich gern verzichtet hätte.

Unverzichtbar dagegen eine andere Idee. Zu Tannhäusers „Einwurf“ gegen Walters Lied „Zu Gottes Preis in hoch erhab‘ne Fernen blickt auf zum Himmel, blickt auf zu seinen Sternen“ setzten alle Gäste ihre Brillen ab und von nun an geht es unter der edlen Festgesellschaft noch um einiges heftiger zu als im Venusberg!
Mit Elisabeths Aufschrei fällt ihr schwarzes züchtig-puppenhaftes Kleid von ihr ab. Sie steht im weißen Unterkleid und wird von den Gästen sofort als Engel identifiziert. Camila Ribero-Souza ist vor allem in den hochdramatischen Szene stark. Die dramatischen Ausbrüche sind ihr Metier. Im Gebet (3. Akt) hätte ich mir mehr lyrische Zurückhaltung gewünscht. Finale 2. Akt: Die Pilger - es sind die von Landgraf Herrmann (der mich nicht überzeugende Koreaner Daeyoung Kim) dazu gemachten männlichen Gäste der Festgesellschaft! - müssen büßen. Der Weg nach Rom führt die Himmelsleiter (eine hohe, steile Treppe) hinauf. Elisabeth stürzt wie tot zu Boden, der weiße Rundhorizont (Festsaal) fällt (ein) - die Fassade ist endgültig gefallen. Großer Effekt, trotz einiger Koordinationsprobleme zwischen Chor und Graben.

Im 3. Akt liegt der weiße Rundhorizont in Fetzen am Bühnenboden. Die unkaschierte Hinterbühne wird in viel Bühnennebel gehüllt, eine unwirkliche Stimmung entsteht (Bühne: Stephan Prattes). Dieser Akt steht bei Maximilian von Mayenburg im Zeichen des Todes. Es gibt keine Vergebung. Der Tod ist der Weg zur Erlösung. Die Pilger kommen, vom Hirten angeführt, zurück.
Zu Elisabeths Gebet „Mach, das ich rein und engelsgleich...“ erscheint Venus und hat sie („wenn je ein sündiges Verlangen“) erreicht, wendet sich ihr innig zu. Elisabeth letzte Worte „Dass ich mit demutvollem Grüßen als würd’ge Magd dir nahen kann...“ gelten nicht Maria, sondern Venus. Dann nimmt sie deren weiten roten Rock mit sich.
Bei Wolframs Lied an den Abendstern scheint das Publikum die Luft anzuhalten - obwohl der Hirt ihn auf dem Metallrahmen des zerfallenen Flügels, der zur Harfe wird, begleiten muss.
Dass Venus am Ende ihr „Willkommen, ungetreuer Mann!“ an Wolfram - nicht Tannhäuser - richtet, sei gesondert vermerkt. War auch er im Venusberg?!
Grund zum Jubel gab neben den Protagonisten die Staatskapelle Weimar unter Leitung von Kirill Karabits.

PS: Ausgerechnet von dem Ei-Schlupf (die Idee würde ich mir patentieren lassen!) gibt es kein Foto im Web. Also bleibt nur: hingehen und ansehen.