Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Die Jünger Jesu wollten von ihm wissen, welchen Rang und welche Würde sie im Himmelreich haben werden. Er aber antwortet ihnen, dass sie noch nicht einmal in Gottes Reich hineinkommen, wenn sie nicht wieder wie Kinder werden. Ein aufrüttelndes Wort an sie, zumal scheinbar ziemlich widersinnig. Denn es ist unmöglich, dass ein Erwachsener abermals zum Kind wird.


Dieses Wort Jesu bringt vermutlich heutzutage nicht viele Menschen zum Nachdenken. Die Frage, was den einzelnen Menschen nach seinem Tod erwarten könnte, wird meist verdrängt. „Nichts Genaues weiß man nicht“, wird oft selbst von Christen gesagt. Jesus aber redet vom Reich Gottes, von seinem ewigen Herrschaftsreich, das mit ihm angebrochen ist und in das jeder aufgenommen wird, der an ihn glaubt.

Gott schafft neues, ewiges Leben, in dem alles, was einem solchen Leben entgegen steht, nicht mehr sein wird. Der Glaube an Jesus Christus trägt diese sehnsuchtsvolle Hoffnung in sich. Die Frage nach dem, was nach dem Tod kommt, ist für einen, der an Christus glaubt, nicht offen oder unwichtig und uninteressant. Sondern ihm drängen sich wie den Jüngern natürlich auch Fragen auf, z.B., wie es da wohl sein wird, und wie es ihm da gehen wird. Und ich weiß, dass manche auch damit rechnen, einen guten Platz im Himmel zu bekommen, da sie doch so viel Gutes für die Menschen und die Kirche tun. Besonders fromme Menschen werden einmal belohnt – nach dem Tod, im Himmel, im Jenseits, bei Gott.  So denken viele. Also, so abwegig ist eine solche Frage, wie sie die Jünger Jesu hatten, auch heute nicht unter den Christen.

Die Antwort Jesu verblüfft. Und hoffentlich rüttelt sie uns auch auf. Klar, wir Erwachsene können nicht abermals Kinder werden. Aber in diesem Sinn meint es Jesus auch nicht. Man mag bedauern, dass er hier nun nicht deutlich sagt, was am Kind-Sein das sein soll, das die Türen zu Gottes Reich öffnet.

Zu meiner Kinderzeit wurde mit den Kindern noch viel häufiger als heute gebetet: „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm.“ Eltern, die es mit ihren Kindern beten, verstanden und verstehen „fromm“ jedoch meist im Sinn von „brav“, so wie man früher arbeitsame und gehorsame Pferde als fromm charakterisierte. Als Kindergebet mochte ich es deshalb später nie wirklich. Es dient eben auch dem pädagogischen Zweck, auf diese Weise brave, gehorsame Kinder zu bekommen. Denn Kinder wollen sich ja auch anstrengen, so zu sein, wie sie es von Gott erbitten und um den Eltern zu gefallen. Und ich mochte es als Kindergebet auch aus einem zweiten Grund nicht: Jesus spricht nicht nur hier in diesem Vers davon, dass Kindern das Himmelreich ohnehin gehört, also nicht nur den braven oder denen, die Gott erst fromm, hier in der Bedeutung „gerecht“, machen müsse.
Was also meint Jesus, wenn er sagt, dass wir abermals zu Kindern werden sollen? Kinder waren in der Umwelt Jesu machtlos, schwach, unbedeutend, in niedrigem Stand. Ihre Situation war sozial schlecht. Sie standen rechtlich unter der unbegrenzten Autorität der Väter. Jesus sagt, ausgerechnet sie gehören zu Gottes Reich – nicht die Mächtigen, die Herrscher und die, die Einfluss, Geld usw. haben in der Gesellschaft und Religion. Jesus stellt also die weltlichen Maßstäbe auf den Kopf. Das alles zählt nicht, sondern sich einzulassen auf Niedrigkeit, Verachtung, Armut, Demut und Dienst, wie die Situation der Kinder damals war: sich auf solche Verhältnisse einzulassen, sie für sich gelten zu lassen; im Übrigen sie aber auch nicht zu suchen und anzustreben, um sich einen Platz im Himmel ergattern zu wollen. Das wäre Heuchelei und Frömmelei.

Jesus stellt die weltlichen Maßstäbe auf den Kopf. Was zählt ist das Gegenteil: die Liebe, die Vergebung und ein geschwisterliches Verhalten zueinander. Wer Niedrigkeit so lebt, dem ist das Himmelreich verheißen. So meint es Jesus – nicht nur hier, sondern auch sonst.
Die großen und kleinen Mächtigen und Reichen der Welt – sie erringen Siege und leben auf Kosten der anderen und unserer Umwelt. Sie gebrauchen ihre Ellenbogen. Sie jedoch sind nicht gemeint, wenn Jesus die Friedensstifter und Sanftmütigen, die Barmherzigen und die, die sich für Gerechtigkeit einsetzen, selig preist. Er stellt uns die Kinder vor Augen. So wie sie sollen wir leben, dann wird bereits heute etwas spürbar vom Reich Gottes, das mit Jesus bereits angebrochen ist. Das jedoch hat gerade unsere Welt, die mit all den Kriegen, der Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit, mit der Lieblosigkeit und Herzlosigkeit unter den Menschen im Land und zwischen den Völkern und Rassen in einem  jämmerlichen Zustand ist, bitter nötig – Zeichen von Gottes angebrochenem Reich. Sie sind dort zu sehen und zu spüren, wo Christen wieder wie Kinder werden.