rosenkavalier meiningen
Doppeltes Staunen: einmal darüber, dass sich das Südthüringische Theater zutraut, diese Oper komplett aus dem Ensemble heraus zu besetzen. Und erneut, als ich in der Sonntagspremiere hörte und sah, wie es gelungen ist. Gratulation – zuerst der Hofkapelle unter Leitung von GMD Philippe Bach! Knapp dreieinhalb Stunden Strauss pur – das ist Hochleistungssport für ein Orchester! Doch vor allem kommt es darauf an, dass es den richtigen „Tonfall“ trifft. Bach dirigiert präzise, geradezu militärisch exakt (es ist schön zu sehen, wie sich das beim Walzer verändert) und gibt Musikern und Sängern jederzeit die nötige Sicherheit.

Die Meininger Hofkapelle macht Richard Strauss, der 1885/86 ihr Dirigent war, zu seinem 150. Geburtstag mit diesem „Rosenkavalier“ (und einer Sinfoniekonzertreihe) insgesamt ein beachtliches Geschenk.

Dem Regisseur Rudolf Frey, gebürtiger Österreicher, der in Meiningen bereits Ibsens „Gespenster“, Goethes „Egmont“ , Kálmáns „Die Csárdásfürstin“ und im vergangenen Jahr Mozarts „Zauberflöte“ inszeniert hat, gelingt das weniger. Er kennt das Geheimnis des „Rosenkavaliers“ leider (noch) nicht. Der Dirigent Hans Swarowsky hat Richard Strauss‘Wunsch überliefert, dass nicht angetastet werden möge, was Reinhardt und Roller für die UA dazu geschaffen haben, denn es sei Teil der Partitur (!) geworden (vgl. „Wahrung der Gestalt“, S. 227). Das heißt: Keine Oper leidet so sehr wie der „Rosenkavalier“ darunter, wenn sie aus „ihrer“ Zeit gerissen wird.Atmosphäre und Musik müssen stimmig sein. Sind sie aber leider nicht.

Einen Raum des Übergangs und der Vergänglichkeit wollen Rudolf Frey und sein Team Christian Rinke (Bühne) und Elke Gattinger (Kostüme) zeigen, immer wieder vergängliche Zeitschichten, in denen sich doch auch ein Heute spiegelt. Einen Raum, in dem die Zeit fließt, die Gegenwart in der Vergangenheit erscheint. Zu sehen sind: Ein Palais, das gerade renoviert wird; ein staubiges Großkontor der 30er Jahre mit vielen „Tippsen“ und zuletzt ein Biergarten – was von Akt zu Akt weniger den klanglich fein gezeichneten, mit exquisiten Wort-Gesten charakterisierten Personen entspricht. Ja, „es ist mehr von der Vergangenheit in der Gegenwart, als man ahnt“, wie Hugo von Hofmannsthal in seinem ungeschriebenen Nachwort zum „Rosenkavalier“ zu bemerken weiß. Wir hätten es auch ohne szenische Aktualisierung geglaubt. Frey erzählt nun die Geschichte, die zu erzählen ist. Manche Einfälle verblüffen. Eine überdimensionierte Stofftapetenrolle ist das Liebesbett; die im halb renovierten Palais als Spritzschutz aufgehängten transparenten Plastikplanen werden in den Händen der Dienerschaft zum „Wandschirm“ zwischen Ochs und der Marschallin. Mit reichen Rokokokostümen in wunderschönen Pastellfarben ist das Lever eine Augenweide. Nur die drei Waisen sind nicht arm, sondern sehr gut gekleidet, benehmen sich, als wären sie im Palais zu Hause, machen sich über die Schachteln her und flirten mit dem Sänger. Rosenüberreichung im staubigen Kontor mit bereits schwarz angelaufener silbernen Rose – zu der Musik habe ich schon optisch Passenderes gesehen. Absolute Stimmungskiller: der Einsatz der Drehbühne bei den schönen, stillen Momenten des Zeitmonologs, die gnadenlos knarzende Liege von Ochs im Finale 2. Akt und das Biertischgeplauder zum Vorspiel 3. Akt. Kein Wunder, wenn es im Publikum einfach nicht ruhig werden wollte! Wer hört, was Strauss da komponiert hat, kann das nicht witzig finden.

Camila Ribero-Souza (RD) ist eine stimmschöne und sehr elegante Marschallin, der im 3. Akt ein Auftritt a la Marylin Monroe - oder ist es Catherine Deneuve (?) – gegönnt wird. Sie lässt von Anfang an jenen Abstand spüren, der Octavian gegen Ende des 1. Aktes so wütend macht. Dass sie nach seinem Weggang im Lehnstuhl in sich zusammensackt, sagt die Musik des schönen leisen Aktfinales allerdings nicht. Großartig singt und spielt die finnische Mezzosopranistin Carolina Krogius den Octavian! Auge und Ohr sind gleichermaßen glücklich mit dieser Besetzung. Sie gibt in jedem Moment alles! In ihrem Gesicht spiegeln sich glaubwürdiger Leidenschaft, Verve und musikalische Expressivität. Nur in der nicht vorhandenen Intimität des „Biergarnituren-Beisl“ überzieht sie das Mariandl zu arg, doch gleich darauf spielt sie köstlich mit der Perücke vom Ochs „Fang die Maus“ und hat ständig ein Auge auf „ihre“ Sophie, Elif Aytekin. Die hat zwar keinen ganz leichten, aber einen strahlenden Sopran mit wunderbaren Höhen und überzeugt als anrührend mädchenhaftes Geschöpf. Zum Terzett des 3. Aktes steht jede für sich allein, singt, aus dem Halbdunkel herausgeleuchtet, von ihren Gefühlen, und bei allen dreien ist es die Liebe. Musikalisch ist das Terzett noch zu sehr ein Kraftakt, es würde ihm gut tun, wenn die drei Damen ihre Stimmen anfangs stärker zurücknähmen. Dann entfaltet sich das Magische, Selige der Musik leichter. In der Partitur steht konsequent …p, gar pp, und erst zur großen Steigerung hin f und ff.

Ernst Garstenauer wird als Ochs drei Akte lang durch die Zeiten „gejagt“ und bleibt doch immer, wer er ist. Zuallererst ein älterer Herr, der in seinem Trachtenjanker nirgends recht hinein passt. Er nutzt seine stimmlichen Möglichkeiten gut und bewältigt die Partie (nicht ganz ihre Höhen und Tiefen). Seine Rollengestaltung erinnert mich sehr an die von Kurt Rydl, dessen Intensität er aber nicht erreicht. Szenisch am wenigsten gut gelingt sein Abgang. Der nötige Tumult, den das Orchester vorgibt, ist zu stark inszeniert und wirkt gestelzt.

Mit noch mehr Würde könnte Marján Krejcik als Faminal agieren. Aus der Vielzahl kleinerer Rollen sind unbedingt Xu Chang als Sänger, Sonja Freitag als Luxusbesetzung für die Leitmetzerin, das Intrigantenpaar Ute Dähne und Stan Meus und Mikko Järviluoto (Notar/Polizeikommissar) lobend zu erwähnen.

Überraschendes Finale: Octavian und Sophie singen ihr Schlussduett am Notenpult, hier und heute. Mohammed (Lopez Voufo, ein junger, hübscher Mann) ist am Klavier eingeschlafen, trägt beiden dann aber einen roten Schal nach. Ach ja. Alles vergeht, auch Inszenierungen. Wer erinnert sich noch an den „Rosenkavalier“ 1999/2000 mit Elina Garanča als Octavian und Kirill Petrenko am Pult? Nur die Musik bleibt.