Nicht einen Liebes-Tod, sondern eine Liebes-Verklärung (Richard Wagner benutzt dieses Wort selbst, wie Cosima am 22.10.1882 in ihrem Tagebuch festgehalten hat) erlebte ich an diesem Abend. Wenn Isolde das Thema des großen Liebesbekenntnisses des 2. Aktes („So starben wir…“) wiederholt und ihre Stimme zu einem Instrument des Orchesters wird, wenn Peter Schneider mit dem Orchester der Wiener Staatsoper noch einen letzten großen Bogen über alles Irdische, allen Schmerz, alles Begehren, alle Sehnsucht hinweg spannt, dann gibt es keine Fragen mehr. Wir sind von ihm durch Untiefen getragen, von Glücksmomenten berührt und durch schier zerreißende Spannung sicher geführt worden. Was szenisch leider nicht gelingt, erfüllt er mit dem Orchester. Wir dürfen Tristan und Isolde durch das Tor des Todes hindurch nachschauen in ein Sein, das mit irdischen Maßstäben nicht zu messen ist und wissen neu um die Liebe als Bindeglied zwischen Tod und Leben, Zeit und Ewigkeit. H-Dur, die Tonart der Verklärung, die im Quintenzirkel an der Position des scheidenden Tageslichtes steht, begleitet jenes Hinübergehen. Das Englischhorn, Instrument der traurigen Weise und des Todes, schweigt zum Schlussakkord.

Liebes-Verklärung – dahin strebt die Interpretation von Peter Schneider von allem Anfang an. Es ist eine kaum mit Worten ausreichend zu beschreibende Leistung, wenn es so gelingt. Das fordert dem Dirigenten Kontrolle und Balance ab – gegen den Sog der Musik, gegen komponierte Intensität, die er interpretiert, ohne ihr zu erliegen. „In ungemeßnen Räumen übersel’ges Träumen“ – darin die richtige Nähe (nicht Distanz!) zu finden, das ist eine große Kunst.

Die Inszenierung von David McVicar hat zwei große Positiva: Sie vollzieht die Umschwünge der Klang-Stimmungen, ja Abstürze, durch Beleuchtungswechsel mit - und die Farben sind mit der „Aura" der Tonsprache Wagners  ausgezeichnet vereinbar (Licht: Paule Constable). Besonders eindrücklich sind der vom fahlen Mondlicht aufgenommene „Absturz“ nach Takt 84 der Einleitung und der Wechsel vom intensiven Blau mit brennendem Horizont zum kalkweißen öden Tag (2. Akt, 3. Szene). Auch die Farben der Kostüme (Robert Jones), v.a. Isoldes Kleider, sind Spiegel ihrer Seele: silberhellgrau-silbern kühl wie der Mond, schwarz glitzernd wie der Sternenhimmel und brennend rot wie die untergehende Sonne.

Der 1. Akt trifft mich unerwartet heftig. Ich gestehe, Iréne Theorin eine solche Entwicklung nicht zugetraut zu haben. Nicht nur ihre Wortverständlichkeit ist sehr viel besser als in mehreren Sommern in Bayreuth erlebt, auch die Dynamik gestaltet sie jetzt bei wichtigen Passagen („todgeweihtes Herz“; „Rache für den Verrat“; die „Tantris-Erzählung“) fast schon wieder überzogen deutlich (oft mehr im pp als im notierten p), was die Spannung stark erhöht. Sie forciert nur noch ganz selten, Ausbrüche („Nun leb wohl, Brangäne“) kommen quasi perfekt aus dem Nichts; dann wieder fügt sie ihre Stimme an Stellen, an denen es zum Dialog mit einem Instrument kommt (z.B. mit dem Cello „Von seinem Lager sah er her…“) achtsam ein. Ihrem Spiel und ihrer Bühnenpräsenz steht Peter Seiffert in nichts nach. Das starke Protagonisten-Paar befindet sich auf Stimm- und Augenhöhe und weiß, wo die Töne leuchten müssen. Mit ihnen kann man im 2. Akt auf Wellen schweben („O sink hernieder…“) und König Markes Einbruch aushalten, weil vorher beide zu einer großen und ruhigen Gewissheit gefunden haben („So starben wir…“).

Wagner komponiert, dass Tristan und Isolde ständig präsent sind. Wenn Tristan z.B. im 1. Akt am Ende der 2. Szene abgeht, bleibt er doch musikalisch anwesend. Im 3. Akt ist Isolde viel früher bei Tristan, als sie wirklich auf der Bühne erscheint. Sie rief ihn aus der Nacht, er weiß, dass das Schiff kommt, und das Orchester lässt uns das auch sehr zeitig wissen. Peter Schneider nimmt mit einer kleinen Handbewegung die Dynamik zurück, und so wird noch vor Tristans Ausruf „Das Schiff, siehst du es nicht?“ drei Takte lang das Wehen der die Flagge am Mast (Flöten) hörbar. So etwas ist großartig!

Ebenso Peter Seifferts zwischen Intensität und unglaublicher Ruhe gesungene Gefühlsstürme im 3. Akt. An seiner Seite ein Kurwenal (Tomasz Konieczny), der eine starke Stimme hat, die zur Rolle passt. Das zeigt er an einigen Stellen sehr gut. F-Dur im 3. Akt – das ist eine Wonne mit ihm! An Isoldes Seite (durch Erkrankung von Petra Lang) Tanja Ariane Baumgartner (Debut), die sich schnell in die Inszenierung einfügen musste und konnte, von der ich aber andernorts mehr gehört habe, als sie an diesem Abend zeigte. Ihr klangschöner, heller Mezzo drang leider bei den „Habet acht!“-Rufen kaum durch.

In der 3. Vorstellung, die ich per livestream verfolgte, sang Petra Lang mit für meinen Geschmack schon zu großer Stimme und manchmal etwas manieriertem Spiel die Brangäne. Wie es im Haus wirkte, kann ich nicht einschätzen. Sie ist ja längst als Brünnhilde an großen Häusern unterwegs und ihre Isolde wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Albert Dohmen sang den König Marke, ohne dessen Emotionen in die Stimme zu lassen, das tut ein König wohl nicht. Die Ensemblemitglieder – Gabriel Bermúdez (Melot), Carlos Osuna (Hirt) und Il Hong (Steuermann) und der Chor (Leitung Martin Schebesta) zeigten sämtlich sehr schöne Leistungen.

Die Übertragung per livestream (18.1.) brachte technisch unterschiedslos alle Sänger brillant nach vorn. So nah war das Lied des jungen Seemannes (Jason Bridges) meinem Ohr noch nie! Dagegen kam die Dynamik des Orchesters nicht so nuanciert wie im Opernhaus bei mir an. Gerade bei p- und pp-Stellen war nicht selten die Stimme des Maestro suggeritore (Mario Pasquariello) bestens vernehmbar. Das Gefühl, bei "O sink hernieder..." auf den Wellen des Orchesters zu "schweben", funktionierte auch bei der Übertragung!  Und Isoldes letzter Ton verklang in der Höhe, auf dem hohen Fis, „più piano, dolce, morendo“ , wie Wagner es in die Partitur hineingeschrieben hat.

Ein zusätzlicher Gewinn waren die in den Pausen gesendeten Interviews (mit Maestro Schneider, Albert Dohmen) und Erklärungen (u.a. zum Tristan-Akkord und zur Beleuchtungstechnik).