Das kommt selten vor: Ich reise einer Inszenierung nach. Wohl, weil sie die Kompositionszeit der Oper, das 19. Jahrhundert, dem ich mich seltsam vertraut fühle, so unvergleichlich auf die Bühne stellt. Mehr noch: Sie zeigt die Nähe der beiden Paare - Richard und Mathilde, Tristan und Isolde - in den nachempfundenen Räumen der Villa Wesendonck.
„Hab acht, Richard! Botschaft von Mathilde!“
Claus Guth und Christian Schmidt schufen diese Inszenierung in der Spielzeit 2008/2009 für Zürich, Düsseldorf übernahm sie, und nun war sie wieder „zu Hause“ zu sehen, z.T. mit der Premierenbesetzung (Stemme, Breedt).
Wenn sich der Vorhang zum I. Akt öffnet, sehen wir in Isoldes Zimmer. Sie liegt in einem Doppelbett, ein Brautkleid hängt auf einem Torso an der Tür. Marke (bzw. Otto Wesendonck) weckt die scheinbar Schlafende nicht, verlässt in Hut, Mantel und Tasche das Zimmer und begibt sich auf eine Reise. Brangäne sitzt am Frisiertisch. Sie ist wie Isolde gekleidet, sie gleichen einander wie Zwillinge: gleiche Frisuren, gleiche Kleider. Manchmal vollziehen sie, wenn auch nur angedeutet, auch die gleichen Handlungen. Alter Ego? Das Ich und sein Schatten? Zwei Seelen in einer Brust? Oder doch eher Brangäne als ein Teil von Isolde? Dass es so gemeint sein muss, erkenne ich, als Isolde den ersten Habet-Acht-Ruf tonlos mitsingt. Dann überwindet die Liebe die Angst und beide versinken ineinander.
Doch zurück zum 1. Akt. Isoldes Botschaft überbringt Brangäne dem im Flur wartenden Tristan. Kurwenal, in eine Zeitung vertieft, wirkt wie ein englischer Landadeliger. Als Tristan endlich zu Isolde geht, finde er sie in jenem „Treibhaus“ (Wesendonck-Lied), einer Veranda mit hohen Pflanzen, einem Palmengarten. Später folgt er ihr in ein weiteres Zimmer, das wie Isoldes, jedoch spiegelverkehrt eingerichtet ist. Das Bett ist blutig, hier hat Tantris gelegen, Tristan wiederholt nun diese Szene aus der Vergangenheit, liegt wieder vor Isolde, die erneut ihr „Schwert“ (Dolch) sinken läßt (Brangäne vollzieht diese Handlungen still pantomimisch mit). Hier trinken sie Sühne. Und wenn sie sich endlich ihre Liebe gestehen, versinkt der Raum im Dunkel, beide werden, vorn an der Rampe stehend, herausgeleuchtet, während die Drehbühne weiterläuft und eine „Hochzeitsgesellschaft“ (Männerchor in Frack und Zylinder) erscheint. Marke tritt zu den letzten Takten in die Tür und bildet damit die Spitze der Dreiecksbeziehung.
Der II. Akt beginnt auf einem Flur mit drei Doppeltüren. Nachdem Isolde das Licht gelöscht hat, betritt sie den Vorraum zu einem Festsaal. Dort befindet sich, immer wieder in Freeze-Stellung verfallend, eine Festgesellschaft. Tristan und Isolde finden einander zwischen diesen Paaren. Ihre wie abgehackt klingenden Rufe („Hab ich dich wieder…“) erklären sich nicht aus der Atemlosigkeit des Suchens und Findens, sondern aus der Zurückhaltung gegenüber der beobachtenden Festgesellschaft, die nichts mitbekommen soll. Dann leert sich der Saal, sie sind allein und entfliehen zum „O sink hernieder“ dem Raum, treten vor das Haus unter Schatten werfende Baumkronen. Isolde trägt ein weißes Kleid, Brangäne ein Schwarzes. Die Tür öffnet sich, im Hausinneren erscheint Brangäne wie ein Schatten. „Habet Acht!“. Es ist die dunkle Seite in ihr, die sie warnt…
Die Liebenden gehen dann in einen Bankettsaal, die Tafel ist verlassen, nur einige Kerzen brennen noch. Sie setzen einander an den Stirnseiten der Tafel gegenüber und reflektieren: „doch stürbe nie seine Liebe, wie stürbe dann Tristan seiner Liebe“. Schließlich löschen beide die Kerzen, Tristan fegt das Geschirr zur Seite, die Tafel wird zum Ort des Einsseins, zu ihrem Seelen-Nacht-Raum.
Als Kurwenal hereinstürzt: „Rette dich, Tristan!“ laufen beide direkt vor das „Tribunal“ im Nachbarzimmer. Der Tag-Raum sieht dem Nacht-Raum ähnlich, doch dort sitzen leibhaftig Marke, Melot und andere, ordentlich aufgereiht, wie eingefroren, die Hände auf dem Tisch. Isolde muss neben Marke Platz nehmen, Tristan an der rechten Stirnseite. Marke umrundet langsam die Tafel. Am Ende geht er, allein, auf den Flur, während Tristan sich einen Dolch reichen und Sekunden später von Melot eine Wunde zufügen lässt.
Der III. Akt beginnt vor der Fassade der Villa. Im Hinterhof. Es gibt drei Türen, die Mittlere ist in einen Ganz nach hinten versetzt. Der Putz bröckelt großflächig. Es ist ein Un-Ort, ohne Isolde. An einer noch heilen Stelle hat Kurwenal ein Schiff eingekratzt. Tristan sitzt reglos auf einem Stuhl. Kurwenal versucht, Korken von Bierflaschen in seinen Stiefel zu werfen versucht. Der Hirt ist - wie die beiden - ein Obdachloser. Tristan geht, Isolde zu suchen, zu sehen, zu finden, während er noch einmal durchlebt, was geschehen ist, in den Bankettsaal zurück.
Mit dem quälenden Ausruf „Das Schiff – Kurwenal, siehst du es nicht“ – betritt Tristan Isoldes Schlafzimmer. Wieder liegt (Double) schon Tantris oder nun Tristan auf dem Bett. Tristan reißt „oh diese Sonne“ die Vorhänge vom Fenster und verlässt den Raum, verfluchte den Trank. Es ist keines Bleibens in diesen Räumen, gibt aber auch keine Fluchtmöglichkeit daraus.
Den Tod erleidet er an dem Ort, der beiden zur „Liebesberge“ geworden war: auf der Bankett-Tafel. Dort findet Isolde ihn sterbend. Mit seinem Tod bricht der Tag (Beleuchtungswechsel) in diesen (einmal nur den beiden gehörenden) Raum ein. Isolde legt sich nach dem „Liebestod“ auf/neben den toten Tristan; Marke und Brangäne wenden sich zum Gehen.
Es sind geradezu magische, jedenfalls unvergessliche Bilder - und Stimmen!
Nina Stemmes scheinbar mühelos und textverständlich gesungene Isolde mit voller Kontrolle und klangschönen Spitzentönen kommt meinem Ideal nah. Michelle Breedt ist dazu die absolut passende, jugendliche, aber auch dramatisch intensive Brangäne. Steven Gould ist ein Ereignis, ein nie mühsam klingender Tristan, eine Helden-Persönlichkeit in bestem Sinne und mit bester Stimme. John Lundgren (Kurwenal) blieb eindimensional-rustikal. Mein ganzes Herz aber gehört an diesem Abend Matti Salminen mit seiner altersweisen Stimme, die jede Gefühlsnuance auszudrücken vermag. Seine darstellerische Präsenz, die Wirkung von eigentlich kleinen Gesten, ist einfach groß.
Bedauerlich, dass sich das Haus bei solchen Star-Solisten nicht auch einen Dirigenten leistet, der das Orchester zu dem führt, was es kann. Hier wurde es von John Fiore/Oslo im 1. Akt bis zur Selbstaufgabe zurückgenommen und konnte als "3. Person" überhaupt nicht mehr mitwirken. Selbst Kammermusik hat mehr Dynamik. So gab es 3 Akte lang Riesenstimmen und drei sehr breite, langsame Akteinleitungen (vor geschlossenem Vorhang) zur Wahrnehmung des Orchesters, dabei fanden die Instrumentengruppen nicht immer zur gewünschten Balance. Wirklich schön und präsent: das Englischhorn und die Trompete aus den Proszeniumslogen rechts und links.