Nachdem in den ersten 3 Vorstellungen Ricarda Merbeth für die erkrankte Anne Schwanewilms eingesprungen war, übernahm mit der 4. Vorstellung der Premierenserie Gun-Brit Barkmin (RD an der Wiener Staatsoper) die Partie. Ich habe sie mehrfach als Salome erlebt und schätze ihre hell leuchtende Stimme, die einiges an Volumen zu bieten hat (sogar die finalen Orest-Rufe des Chores überstrahlt sie mühelos), ihre Wortverständlichkeit und ihre darstellerische Expressivität. Und sie ist großartig im Finale!

Wenig Zugang fand ich zu Anna Larssons Klytämnestra. Man kann sich vor ihr weder fürchten noch so etwas wie Mitleid empfinden. „Sie schickt Tod aus ihrem Blick“, weiß Chrysothemis von ihr. Ich habe es nicht bemerken können. Neben Textunverständlichkeit fehlte mir bei ihrer eindimensionalen Stimme besonders die Tiefe. Wenn ich bei ihrem „Und doch kriecht zwischen Tag und Nacht…ein Etwas hin über mich …“, vom Dirigenten im pp gehalten, keine Schauer empfinde, sondern Langeweile, dann stimmt etwas nicht.

Lange verweigert die Regie Elektra eine intensive Beziehung zu ihr aufzunehmen. Erst, als Klytämnestra die Frage nach dem Bruder abweist, bricht Elektras Wut heraus und sie wird geradezu furios – und Nina Stemme bleibt dabei in jeder Situation schönstimmig mit runden Spitzentönen (z.B. „und kann sich seines Lebens freun“ - b‘‘). Der volle warme Sopran begeistert bei den großen lyrischen Bögen – von „Laß deine Augen mich sehn…“ bis hin zum großartig gestalteten „dann sterb ich seliger als ich gelebt“.

Aber Nina Stemmes Elektra ist auch introvertiert. Sie ist weder wild noch katzenhaft (wie die Mägde sie schildern) noch ist sie voller Trauer um ihren Vater - dann müsste sie im Monolog mehr aus sich heraus gehen. Wollte sie sich nicht in Rage singen?! Oder was hat sich Uwe Eric Lauffenberg dabei gedacht, ihr die Leidenschaft so lange zu versagen?! Einmal starr das Beil über den Kopf zu heben am Ende des Monologs? Die Musik lässt da mehr erwarten! Doch Elektra bleibt sowohl gegenüber Chrysothemis als auch Anfangs gegenüber ihrer Mutter passiv, sitzt stumm auf dem Koffer oder auf einem herbeigeschafften Hocker, verweigert Beziehung.

Falk Struckmann war gesanglich ein guter Orest und Norbert Ernst in gelbem Jackett und dunkler Brille ein „Hingucker“ in seiner Gestaltung des Aegisth als eine ganz facettenreiche Type. Schöne Leistungen boten Benedikt Kobel (junger Diener), die Aufseherin (Donna Ellen), Wolfgang Bankl (Pfleger), Simina Ivan (Vertraute) und Aura Twarowska (Schleppträgerin). Das Mägdequintett (Monika Bohinec, Ilseyar Khayrullova, Ulrike Hetzel, Caroline Wenborne und Ildikó Raimondi klang an diesem Abend unruhig und spannungslos wie der gesamte Anfang.

Wenn sich bei Elektras verklärtem Ausruf „Ob ich die Musik nicht höre? Sie kommt doch aus mir“ – der Aufzug selbständig macht, außer Kontrolle gerät und fast jede seiner Kammern neue Opfer, Babys, Erwachsene, Pferde, Hunde…zeigt, dann hat das eine derart steigernde Wirkun, dass es schnell zu viel des Bösen wird, es wird irgendwann beliebig.

Am Ende gab es viel Jubel für die Sänger, im Besonderen natürlich für Nina Stemme. Für den Dirigenten Mikko Franck gab es Bravos und dazwischen wenige Buhrufe, die allenfalls seinem Finale gelten konnte. Da macht er aus der Spannung einen Choral. Auch wenn "allmählich breiter" über den letzten 9 Takten steht: seine Lesart überdehnt, macht das Finale platt. So wird nicht die Befreiung, sondern die Katastrophe hörbar.