Kranke und Bedürftige brauchen unsere besondere Fürsorge – Menschen wie Tiere. Manchmal sind es auch Gegenstände. Mit Dingen, die uns lieb und wichtig sind, gehen wir sorgsam um, pflegen sie, setzen sie instand. Menschen, die Orgeln und Orgelmusik lieben, sorgen sich um diese Königinnen der Instrumente. So auch viele Frankenhäuser und Menschen aus anderen Orten in der Nähe und der Ferne, die sich um die alte und ziemlich klapprige und kurzatmige Dame „Strobel-Orgel“ in der Unterkirche kümmern. Sie tun das vor allem im Verein „Freunde der Großen Strobel-Orgel e.V.“.
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Prof. Baumgratz und Kantorin Schildmann an der Strobel-Orgel |
Dieser Verein führte zum ersten Mal ein Orgelsymposium in Bad Frankenhausen durch mit dem Ziel, diese Orgel in der Öffentlichkeit noch viel bekannter zu machen und weitere Interessenten zu gewinnen, die sich für die Restaurierung der Orgel einsetzen und mithelfen, die rund 600.000 € zusammen zu bringen, die für dieses Vorhaben erforderlich sind.
Um es gleich vorweg zu sagen: Das Symposium, das vom 19. bis 20. April stattfand, war insgesamt eine erfolgreiche Veranstaltung. Zuhörer wie Referenten und Organisten waren gleichermaßen voll des Lobes über dieses gelungene Symposium.
Das Symposium begann am 19. April mit einer kleinen Orgelmusik. Die Frankenhäuser Kantorin Laura Schildmann spielte Werke von Johann Sebastian Bach, Max Gulbins, Max Reger und Franz Wagner. Nach Grußworten des Superintendenten Kristóf Bálint und des Bürgermeisters Matthias Strejc hörten das Fachpublikum und etliche Interessierte aus nah und fern den ersten Fachvortrag.
Dr. Martin Balz, Musikwissenschaftler und ehemaliger Orgelsachverständiger der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sowie Schriftleiter der internationalen Zeitschrift „Ars Organi“ der „Gesellschaft der Orgelfreunde e.V.“ referierte über das Thema „Romantische Großorgeln in Deutschland“.
Er stellte die Entwicklung des Orgelbaus im 19. Jahrhundert bis hin zur Romantik prägnant dar, deren Kennzeichen die besondere Expressivität und Monumentalität und auch ein klein wenig die Sentimentalität wurde. Dabei schilderte er, wie die Orgelbauer die Dynamik um das dreifache Fortissimo und Pianissimo erweitert haben – und dies oft auch durch unterschiedliche Techniken und Konstruktionen erreichten. Julius Strobel, den Erbauer der Frankenhäuser Orgel, reihte Dr. Balz als einen der bedeutendsten Orgelbauer jener Zeit in Thüringen ein.
Michael von Hintzenstern, Kirchenmusiker in Weimar sowie Wiederentdecker und Organist der Liszt-Orgel in Denstedt, zog mit seinem Vortrag „Die Orgelwelt Franz Liszts im Spiegel seiner Beziehungen zu evangelischen Kirchenmusikern Thüringens“ die Zuhörer ebenso in den Bann wie sein Vorredner. Denn nun wurde es für die Frankenhäuser noch etwas konkreter. Franz Liszt und sein „legendarischer Kantor“ aus Tiefurt, Alexander Wilhelm Gottschalg, führten ihre "ländlichen Orgelexperimente" in Denstedt durch, weil dort "eine gute Orgel zu finden war". Diese Orgel ist eine romantische Orgel, deren Disposition von Johann Gottlieb Töpfer, dem wichtigsten Orgelbautheoretiker des 19. Jahrhunderts, stammt. Michael v. Hintzenstern führte den Zuhörern mit einer CD auch einige Klangbeispiele dieser Orgel vor. Der genannte Gottschalg, der später Hoforganist in Weimar und Großherzoglicher Orgelrevisor wurde, war nun derjenige, der im Jahre 1884 die Strobel-Orgel in Bad Frankenhausen abnahm und dazu unter anderem schrieb, dass diese Orgel „ein in jeder Hinsicht wohlgelungenes, vortreffliches und annehmbares Werk ist, das nicht nur zu den allerbesten in Thüringen, sondern auch zu den vorzüglichsten in ganz Deutschland gehöre.“
Das hörte das Publikum gern und war nun gespannt auf den dritten Vortrag.
Denn Herr Jiri Koucurek, Geschäftsführer der Orgelbaufirma Eule in Bautzen – sie wird die Strobel-Orgel auch restaurieren -, stellte mit dem Thema „Strobel und seine Orgeln – Bestand und historische Substanz der Strobel-Orgel in Bad Frankenhausen“ dieses Instrument in den Mittelpunkt. Über 80 Orgeln aus der Strobelwerkstatt seien ihm bekannt. Wie viel überhaupt gebaut wurden, wisse man nicht. Die Frankenhäuser war mit ihren 49 Registern auf 3 Manualen und einem Pedal und weit über 3.000 Pfeifen das zweitgrößte Werk. Die größte Orgel konnte über die Zeit nicht erhalten werden, so dass die Frankenhäuser Orgel nun diesen ersten Platz einnimmt. Herr Kocourek stellte auch anhand von Fotos viele kleinere Strobel-Orgeln vor, die vornehmlich im Nordthüringer Raum noch stehen, wenngleich einige nicht mehr oder kaum noch spielbar sind. Zu fesseln vermochte Herr Kocourek die Zuhörer mit seinen Fotos und Beschreibungen der Bauweise der verschiedensten Pfeifen, der Windanlage, der Übertragung des Spiels von der Taste bis zur Pfeife und dem Hören des Tones, den Spielhilfen und vielen anderen Details der Frankenhäuser Orgel. Ein Zuhörer brachte nach dem Vortrag das Staunen und die Erkenntnis des Publikums auf den Punkt mit der Bemerkung: „Ich hätte es nie für möglich gehalten, mit welchem Wissen, welcher Kreativität und Präzision Orgelbauer dieser Zeit solche grandiosen Werke schufen. Alle Achtung! Hut ab!“
Der nächste Tag, Sonnabend der 20. April, stand ganz im Zeichen der Exkursion zu drei Strobel- Orgeln, die nun besichtigt wurden: die Orgeln in der Kirche zu Ringleben, in der Kirche zu Allstedt und schließlich in der St. Ulrici-Kirche in Sangerhausen. Schön, dass überall dort Kantoren und Kirchenälteste etwas zu ihrer Kirche und zur Geschichte ihrer Orgel erzählten. Sodann führten Kantorin Schildmann und in Sangerhausen Kantorin Pohl die spezifischen Klangcharaktere der Orgeln anhand einiger Orgelstücke vor. Schließlich durften die Teilnehmer auch in die Orgeln hineingehen und sich das Pfeifenwerk, die Windanlagen und Trakturen ganz genau ansehen. Das Interesse war groß, was sich anhand der vielen Fragen, die dabei gestellt wurden, zeigte.
Das Symposium schloss am Abend mit einem Orgelkonzert an der Strobel-Orgel in der Unterkirche Bad Frankenhausen. Prof. Wolfgang Baumgratz, Domorganist und Professor für Orgel in Bremen, spielte vor einem überaus zahlreichen Publikum Werke von Dietrich Buxtehude, Johann Sebastian Bach, Felix Mendelsohn-Bartholdy, Johannes Brahms, Joseph Gabriel Rheinberger und Max Reger. Er lobte diese romantische Orgel mit den Worten, dass sie viel Poesie und Aussagekraft in den Einzelstimmen, eine reiche Palette an Klangfarben und einen noblen Gesamtklang habe, dies alles aber wenig hörbar sei, weil sie momentan in einem wirklich schlechten Zustand ist. Prof. Baumgratz, gehandicapt durch eine zwei Wochen davor durchgeführte Operation beider Augen, hat mit geschickter Registrierung, Klarheit und Präzision – soweit das an dieser Orgel überhaupt noch möglich ist - bravourös gespielt. Er habe mit der Orgel gerungen, sagte er mir. Und nicht immer habe er sie beherrscht, sondern sie ihn auch.
Ja, diese Orgel ist eben eine gebrechliche, stark reparaturbedürftige Dame, die ihren eigenen Willen hat und ihn oft gegen alle Künste der Organisten durchsetzt.
Mit dieser neuerlichen Bestätigung, mit der Freude über das gelungene Symposium und die Zufriedenheit der Teilnehmer, mit dem Dank an alle Referenten und Organisten sowie mit der gegenseitigen Versicherung, weiterhin alles tun zu wollen, um dieses wertvolle Instrument technisch und klangmäßig wieder in einen hervorragenden Zustand zu bringen, gingen diese zwei Tage Orgelsymposium zugunsten der Strobel-Orgel nach dem Konzert zu Ende.