Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen.(Mt 27,54). Das sind Worte eines römischen Hauptmannes und seiner Soldaten, die Jesus kreuzigten und die Hinichtungsstätte bis zu seinem Tod bewachten. Sie glaubten nicht an diesen Gott der Juden. Sie führten lediglich einen Befehl aus an einem, der sich vermeintlich gegen die römische Herrschaft auflehnte und deshalb zum Tode verurteilt wurde. Sie wussten natürlich auch, dass die jüdischen Oberen ihn wegen Gotteslästerung loswerden wollten. In seinen Predigten und seinem Wirken brachte er allerhand Unruhe unters Volk. Er passte eben nicht in die religiösen Vorstellungen der jüdischen Führung. Aber was sollte das schon die römischen Soldaten kümmern? Sie hatten einen Befehl auszuführen. Solche Kreuzigungen wie diese hatten sie sicherlich mehrfach, vielleicht schon hundertfach durchgeführt und beaufsichtigt. Dieser Mann am Kreuz litt und starb wie jeder dieser anderen auch. Er war nichts Besonderes, mögen sie gedacht haben. Und: Dieses jüdische Gerede von Gott und über diesen scheinbar besonderen Menschen am Kreuz, ein Sohn dieses Gottes, alles dummes Zeug. Diesen Gott gibt’s nicht. Die Realitäten der Welt sprechen gegen solche Vorstellungen.
Vielen Menschen bis heute ist wie den Soldaten damals der Glaube an Gott sehr realitätsfern und naiv. Und besonders trifft das auf das Bekenntnis zu, dass Jesus der Sohn dieses Gottes sein soll, der ihn leiden und sterben ließ und danach wieder auferweckt haben soll. Viele sagen, wenn sie Beweise für die Auferstehung hätten, könnten sie das eher glauben.
In der Tat: Die Existenz Gottes kann man nicht beweisen, auch nicht, dass er Jesus vom Tod auferweckte. Aber dass Jesus existierte, darüber wissen wir nicht nur aus dem Neuen Testament, sondern auch aus nichtchristlichen Aufzeichnungen in der damaligen Zeit. Dass er jedoch Gottes Sohn ist, das zu glauben fiel selbst schon seinen Anhängern schwer. Wegen seiner Predigten vom anbrechenden Heil und wegen seiner Wunder sahen sie ihn eher als einen, der von Gott mit besonderen Kräften begabt war.
Viele von uns kennen sogenannte Vexierbilder. Eines ist hier abgebildet. Die allermeisten Menschen erkennen trotz mehrmaligem und intensivem Betrachten zunächst nur den Frauenkopf, erst danach – wenn überhaupt - die beiden auf den Hinterbeinen sich gegenüber stehende Pferde. Warum ist das so? Wir erkennen in der Regel immer nur eine Darstellung, und zwar die vordergründige, diejenige, die uns sofort Vertrautes und der Realität Entsprechendes erkennen lässt. Wir meinen dann, damit haben wir die ganze Wirklichkeit erfasst und geben uns damit zufrieden. Doch es gibt auch noch das andere Bild, eines, das dahinter liegt bzw. darin verwoben ist und kaum wahrgenommen wird. Das aber ist nicht weniger wirklich.
Es gibt ein leicht zu lesendes Buch von dem Theologen, Psychiater, Psychoanalytiker und Leiter des Alexiander-Krankenhauses in Köln, Manfred Lück mit dem Titel „Bluff! Die Fälschung der Welt“. Sehr anschaulich zeigt er darin die „künstlichen" Welten, in denen wir leben und es meist gar nicht merken, so real sind sie uns geworden. Er ist überzeugt, dass wir alle drauf und dran sind, deshalb unser eigentliches Leben zu verpassen und zeigt Auswege für jeden, der das echte Leben will. Immer wieder verweist er auf die wahre Wirklichkeit. Nur in ihr sei glückliches, erfülltes und ewiges Leben möglich, weil es Gottes Wirklichkeit ist. In der künstlich aufgebauten und aufrechterhaltenen Scheinwelt, in der wir zumeist leben und uns in ihr auch wohl fühlen, sei diese Welt auf den ersten Blick nicht zu finden. Ja, so zeigt und meint er, sie werde mit allen Mitteln aus unterschiedlichsten Gründen aus ihr verbannt. Und das funktioniere sehr gut – und zwar nicht erst in unserer Neuzeit, sondern schon immer. Wahrscheinlich haben wir Menschen deshalb ein völlig falsches Bild von der Wirklichkeit der Welt Gottes, weil wir das Wesentliche für unser existentielles Leben übersähen. Und das deshalb, so meint er, weil es unseren stumpfsinnig gewordenen Augen entgehe. Und stumpfsinnig seien sie deshalb geworden, weil wir Menschen uns sehr leicht verwirren und faszinieren lassen von unseren vordergründigen Eindrücken über die vermeintliche Verlässlichkeit von Naturwissenschaft, von Finanzgesetzen, von Werbung, von Ideologien, von Traditionen und vielem mehr. Dass die meisten am wahren Leben, das es eben nur mit Gott gibt, vorbeigehen, merken sie selten.
Auch die Menschen, die damals Jesus ans Kreuz brachten und am Kreuz standen, sahen nicht, wer er wirklich war. Sie waren fixiert auf ihre geprägten Vorstellungen über das Leben der Menschen. Und dieser Jesus, auch wenn Sonderbares und Wunderhaftes über ihn berichtet wurde und er nicht ins religiöse Schema passte, war doch unzweifelhaft ein ebensolcher Mensch: geboren von einer Frau, aufgewachsen wie jeder andere, in Freud und Leid gelebt wie jeder andere auch. Und nun endet sein Leben wie das eines jeden Menschen durch den Tod. Was soll also an diesem Jesus Besonderes sein?
Doch gerade die, die Gott und Jesus nicht gekannt haben, erkennen plötzlich: Dieser Mensch, der solche Schmach und so großes Leid erduldet hatte, der schließlich am Kreuz einen qualvollen Tod starb, der ist Gottes Sohn. Diese Erkenntnis ist total unrealistisch. Sie kam ihnen, indem Gott in ihre Vorstellungen über die Welt einbrach. Die Sonnenfinsternis und das Erdbeben, die Bilder von Toten, die aus den Gräbern kamen, dies alles waren ihnen zudem Zeichen dafür, dass unsere irdischen Vorstellungen von der Realität unserer Welt wanken und zerbrechen, wenn Gottes Wirklichkeit in unsere Welt einbricht und so eine neue Erkenntnis bewirkt.
Das Bekenntnis des Hauptmanns und seiner Soldaten beinhaltet eine wichtige Botschaft. Gott existiert. Er ist da, und zwar in diesem Jesus, dem Geschundenen, dem Leidenden und dem am Kreuz qualvoll Verstorbenen. Seitdem begegnet uns in ihm Gott mit all seiner Liebe und Gnade. Im Glauben an ihn, den Gott von den Toten dann auferweckt hat, bekommen wir ein Leben geschenkt, das anders ist als das, was wir real tagtäglich erleben und oft erleiden und erdulden müssen. Er tröstet uns, heilt unsere Wunden, lindert unsere Schmerzen, trägt mit unsere Sorgen und Ängste, hilft uns in allem Leid und aller Not und lässt uns selbst im Tod nicht allein. Im Glauben an Jesus Christus ist Gott für uns da. Denn: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen.