Musikalisch blieben keine Wünsche offen. Die Verbindung zwischen Maestro Peter Schneider und dem Philharmonischen Staatsopernorchester ist so dicht, dass sie einander fast blind verstehen. Wie habe ich, über dem Orchester im Proszenium sitzend, allein die Vorspiele und szenischen Übergänge genossen! Das war grandiose Orchesterkunst: Der Sturm zu Beginn des 1. Aktes: Celli und Bässe tragen das Rauschen, dazu Donner (Heda-Hedo) und Blitze (Holzbläser), Siegmunds Stolpern (nach unten stürzende Sekund-Schritte) zum Vertragsmotiv. Doch im Sturm ist auch die Sexte nach oben, der Ausdruck einer noch unbewussten Sehnsucht, die das Wälsungenpaar zueinander bringt. Theatermusik!

Im Vorspiel zum 2. Akt weiß das Orchester nicht nur vom Schwert, von der in Not geratenen Liebe der Zwillinge (hier verwendet Wagner wieder Freias Motiv, als sie vor den Riesen in Not war!) und von Hundings bedrohlicher Gegenwart, sondern schon von den Walküren. Entfesselte Natur, aufgewühlte Seelen, das ist Energie pur.

Wenn Peter Schneider dann im Vorspiel zum 3. Akt die Klangkräfte der Walküren entfesselt, sind nicht „Panzer“, sondern wirkliche Luftrösser zu hören, die einschweben, und man bekommt genau mit, wann sie auf der Erde angelangt sind und Erdenschwere haben. Es ist eine Lust, das zu hören! 3 Akte hindurch hielt die musikalische Spannung an und wurde noch gesteigert an Stellen, bei denen die Musik – wie von Wagner komponiert - „abhob“ („Siegmund, den Wälsung, siehst du, Weib!“„hehrstes Wunder“, „Der diese Liebe mir ins Herz gehaucht“, „Leb wohl, du kühnes und herrliches Kind“).

Wahrhaftiger Wagner erklang aus dem Graben und die Sänger dankten es ihrem Dirigenten mit hervorragenden Leistungen. Keine Wünsche offen blieben bei Siegmund und Sieglinde. Johann Botha sang traumhaft-mühelos, kultiviert und strahlend. Anja Kampes leuchtend kraftvolle Stimme bewundere ich ebenso wie ihre Rollenstudie: Wenn das Solocello in vielen Minneterzen schon von der aufkeimenden Liebe der Geschwister weiß, vollzieht sie dessen musikalisches Seelengemälde darstellerisch mit. Mehr noch: sie zeigt Entwicklungsstadien der Sieglinde in schönster Weise und macht dabei klar, dass es ihre Gefühle für Siegmund sind, die Entwicklungen überhaupt ermöglichen.

Erstmals begriffen habe ich, dass Hundings „Macht“ hohles Getön ist und er sozusagen in einer weit abgeschlagenen Liga spielt. Sein Thema (stammt es von den Riesen ab?) ist einfach, starr, kennt keine Entwicklung, verbindet sich mit keinem anderen Motiv. Seine Einwürfe bleiben ohne Folgen. Ain Anger stellt sehr gut dar, was das Orchester spielt – die hohle Phrase des scheinbar Mächtigen und die dahinter liegenden Momente der Unsicherheit. Das kleinste Gefühl macht seine Macht zunichte. Das ahnt er, das nährt die Spannung zwischen den drei Personen, bis es schier nicht mehr auszuhalten ist.

Und so geht es im 2. Akt weiter. Mihoko Fujimura singt und spielt die Fricka intensiv, klar und hart, eine ernst zu nehmende, starke Frau mit starker Mezzo-Stimme. Zu den guten szenischen Einfällen gehört ihr „baumfarbener“ Umhang (Kostüme: Marianne Glittenberg), unter dem sie lange ihr Frausein verbirgt. Köstlich (Wagner-Humor!) ihre musikalische Ankündigung durch einen aus nur 2 Tönen bestehenden Seufzer in Englischhorn und Oboe. Schrecklich das Bild, wenn Wotan sie verzweifelt fragt „Was verlangst du?“ und sie auf einen getöteten Wolf weist. Eine Kleinigkeit, gewiss, aber mit großer Wirkung. Die im anfänglichen d-Moll-Sturm vorbeihuschenden Wölfe, die zunächst auf Wotans Anwesenheit und Wirken hinzuweisen schienen, werden jetzt zum schrecklichen Symbol für Siegmunds Tod. Fricka ist alles andere als gefühlsarm, aber sie verhandelt mit dem Kopf. Nach Wotans gepresstem „Nimm den Eid“ versucht sie ihn zu küssen – und wird brüsk abgewiesen.

Wie das Orchester dann nach und nach alles zur Ruhe bringt und Wotan dazu finden kann, Brünnhilde gleichsam im Selbstgespräch sein Innerstes zu enthüllen, das gehört zu dem, was diesen Abend so besonders macht, weil der Dirigent zu jeder Zeit die Dramatik mit dirigiert.

Für mich, die von fis-moll („Siegmund, sieh auf mich!“) geradezu magisch angezogen wird, muss noch ein Wort zur Todesverkündigung (und der Überleitung zu dieser 3. Szene im 2. Akt) gesagt werden. Nicht nur, weil sich durch eine blau-rot-Überblendtechnik (Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf, Bühne: Rolf Glittenberg) die Szene gekonnt optisch veränderte. Die „andere Dimension“ verwischt die Korrekturen der Wirklichkeit. Alles verschwimmt. Und dazu ist so viel Jenseits in den Noten hörbar! Walhall, der göttliche Bereich, wird mit dem Schicksalsmotiv zum tonalen fascinosum et tremendum.

Es ist die einzige Szene, in der ich mir Katarina Dalayman intensiver gewünscht hätte, auch stimmlich. Denn hier beginnt ihre Verwandlung, sie fällt mehr und mehr aus der Walküren-Rolle – die Streicher übernehmen ihren orchestralen Part von den Blechbläsern – und wird zum mitfühlenden Menschen. Insgesamt war ihre Brünnhilde sehr erfreulich, mit stimmlich kraftvoll-starkem Auftritt und den nötigen Höhen, bei denen einzig manche Spitzentöne aus der Gesangslinie herausfallen. Ihre Walkürenschwestern Donna Ellen, Caroline Wenborne, Alexandra Reinprecht, Stephanie Houtzeel, Ulrike Helzel, Zsuzsanna Szabó, Aura Twarowska und Juliette Mars klangen exzellent.

Am Ende der junge Gott: Was kann Tomasz Konieczny (geb. 1972) mehr erreichen, als an der Wiener Staatsoper für seinen ausdrucksstarken Wotan so bejubelt zu werden wie an diesem Abend?! Seit 2003 (Mannheim) hat er diese Rolle in seinem Repertoire und hat daran hörbar weiter gearbeitet. Sein Wotan ist ein von Leidenschaften und inneren Kämpfen getriebener, emotional zerrissener, noch unerlöster eruptiver Gott. So spielt, so singt er ihn mit enormer stimmlicher Durchschlagkraft und ohne jede Ermüdungserscheinung – eine richtige Freude. Er ist Kämpfer und Opfer! Ja, auch er ist ein Opfer der Trennung von Brünnhilde. Wirklich unter die Haut geht, wie er zu geheimnisvoll abwärts gleitenden Harmonien seine Lieblingstochter mit dem Hochzeitskleid bedeckt. Das E-Dur der Liebe bleibt bis zuletzt und auch ein Loge muss sein Feuer ihm unterordnen.

Noch gibt es keine Erlösung für Brünnhilde, auch wenn in den letzten Takten schon zweifach im Bass Siegfrieds Thema zu hören ist. Eine Erlösungsoper ist „Die Walküre“ dennoch – wie anders könnte der freie Held Siegfried geboren werden? Wenn richtig interpretiert, wird dieser befreiende Schluss, wo Wotan heroisch seiner Macht entsagt, zu einem überwältigenden Erlebnis fürs Publikum! Denn wer wäre nicht der Erlösung bedürftig, sei es Wälsung, sei es Gott?!