Eine musikalische Großtat
Mit einem Rückblick auf den Livestream am 13.12.2013
Viele Opernfreunde hatten sich gewünscht, dass Peter Schneider auch in dieser Spielzeit wieder am Pult der Wiener Staatsoper steht. Entsprechend war das Echo, als er kurzfristig die „Tristan“-Serie im Dezember übernahm: Opernfreunde aus Nah und Fern reisten an; wem das nicht möglich war, konnte per livestream zuschauen. Der online-Merker berichtete insgesamt 6 Mal, ebenso die Printmedien. In einem waren sich alle einig: Peter Schneider hat an den 4 Abenden in unwiderstehlicher Art und Weise Richard Wagner die Ehre erwiesen.
Freundlich, ruhig und konzentriert tritt er ans Pult und arbeitet mit dem Staatsopern-orchester so, dass man spürt: es ist für ihn eine Persönlichkeit. Gemeinsam wird handwerklich ausgezeichnet und emotional das musikdramatische Geschehen entwickelt. Bei aller Freude über das livestream-Angebot: DAS kann in seiner Faszination nun doch nur der Besucher in der Wiener Staatsoper miterleben. Wieder bewahrheitet sich, dass durch genau umgesetzten Notentext frei wird, was dahinter steht: die Gefühle, die Kraft der Liebe, die die Menschen so erregen kann.
Peter Schneider merkte in dem für den livestream produzierten Interview an, er erfülle nur, was in der Partitur steht. Für Nichtmusiker hört sich das einfach an. Musiker fordert es in besonderer Weise – und sie lassen sich gern fordern! Im Vergleich zu den Bayreuther Verhältnissen hat der Dirigent deutlich mehr zu tun bei der Gestaltung der Dynamik. Ohne abgedeckten Graben ist die Unmittelbarkeit der Intensität aber purer Gewinn.
Wer aufmerksam zuschaut, begreift schnell, dass „Tristan“ die Hohe Schule der Konzentration ist - für alle! Die Motivation des Orchesters war in jeden Moment da und das Arbeitsklima durchweg positiv. Der Dirigent gibt schon einmal einen Einsatz für die 2. Violinen durch ein Lächeln und bedankt sich auf dem Weg zur Bühne schon bei Solisten und Instrumentengruppen.
Über die hervorragende Sängerbesetzung dieser Serie war bereits viel zu lesen. Ich möchte hauptsächlich von Momenten berichten, bei denen Orchester und Bühnenkünstler das Zeitempfinden außer Kraft setzten und ich den Atem anhielt.
Allein die Spannung im 1. Akt, die Isoldes Ausbrüche von Mal zu Mal expressiver werden lässt, war atemberaubend, und man konnte eine Ahnung von der „Kunst des Überganges“ bekommen (und dem Können, dessen sie dirigentischerseits bedarf). Von den furios gesungenen „zagenden Winden“ über das abgrundtief „todgeweihte Haupt“ in c-Moll, das sie ihrem Tristan entgegen schleudert bis zum finalen Fluch („Tod uns beiden!“) und seiner umwerfenden orchestralen Vorbereitung tobt Isoldes wütender Wille.
Es wäre lohnend, die Aufgaben der 2. Violinen, insbes. der Soli, genauer zu untersuchen. Die Solobegleitung zu „Er sah mir in die Augen“ drückt nach meinem Verständnis intensive Konzentration auf das erinnerte Gefühl vergangener Seligkeit aus, steht für den „hehrsten Trank“, ist gar Ausdruck seiner Wirkung! Wieder haben die 2. Violinen besondere Bedeutung, wenn der Trank in die beiden hinein sinkt (Tremoli in Br, Vc und Cb) und dann das Sehnsuchtsmotiv aufstrahlt! Die Solo-Viola schlägt auch den Bogen in den 2. Akt („Muss mein Trauter mich meiden…“).
Zum ersten Mal habe ich die unglaubliche Spannung empfunden, die sich im 1. Akt musikalisch zwischen Isolde und Kurwenal zu Beginn der 4. Szene aufbaut. Die Streicher-Tremoli wogen zwischen p und mf, f und pp hin und her und beschreiben Isoldes zwischen Würde und Wut schwankenden Seelenzustand. Ein Klangerlebnis!
Die Partitur ist ein diffiziles Gewebe von Emotionen in den jeweiligen Klangfarben, deren wellenförmiges Auf und Ab einen nicht loslässt. Für mich ist deshalb mindestens emotional schlüssig, dass auch im 2. Akt das Wasser szenisch präsent ist und das Wiedersehen seinen Ort an der Hafenmole hat. Wo das Schiff einst ankam, auf dem sie einander ihre Liebe gestanden haben, begegnen sie sich wieder. Der umrätselte „Kranz“ um den Mast an der Mole - für mich ist das der Ort, an dem (symbolisch) für beide der Himmel offen steht.
Dort knüpfen sie an „damals“ an. Dass Tristan zu Isolde kommen kann, muss sie Brangäne regelrecht abringen. Vorsicht ist nicht Sache von Liebenden. Eine meiner liebsten Stellen beginnt mit Isoldes „Frau Minne kenntest du nicht?“ Gottfried von Straßburg spricht von „der Herzen Jägerin, Frau Minne“ (Der Minnetrank, Str. 1171) – und plötzlich wird die Jagdszene doppeldeutig.
Das Orchester entwickelt eine starke Leuchtkraft, wenn Isolde begreift: „Frau Minne hat es meiner Macht entwandt“ und darüber selig in die andere Welt gelangt. Und dann baut Peter Schneider eine gewaltige Steigerung auf, die auf Isoldes Spitzenton „dass hell sie dorten leuchte“ zielt. Frau Minne leuchtet in der Nacht! Da hebt man ab.
Das Orchester rast, wenn die Leuchte verlischt (aber: Todesthema in den Trompeten!), dann malt es durch eine unruhige Basslinie die sich mehr und mehr steigernde Erwartung, die der Maestro zu einer überwältigenden fff-Welle anschwellen und nach kurzem Stau niederbrechen lässt. Mächtig ist die B-Dur-Kadenz des Wiedersehens instrumentiert. „Bist du mein? – Hab ich dich wieder?“- atemlos, glückstrunken im 2/4-Takt.
In der Umarmung sind die Sänger optisch schon eins. Ihre aus gleichem Stoff (!) genähten „Sternenstaub“-Kostüme lassen sie miteinander verschmelzen. Aber wann sind beide musikalisch eins? Wenn sie – es kommt tatsächlich selten genug vor – zusammen singen dürfen. „Mein und dein! Ewig!“ Umwerfender Orchesterjubel! „O sink hernieder“ – da brauchen beide erst 16 Takte, um sich in einen gemeinsamen, den ¾ Takt einzuschwingen. Und das „Hohelied der Gefühle“ reißt noch lange nicht ab.
Später, wenn Harfe, Posaune und Basstuba im pp ins As-Dur-Mysterium führen und beide einander bekennen: „so stürben wir, um ungetrennt...", kann man mit verfolgen, wie Wagner die Stimmen zusammenfließen lässt, wie beide sich die Worte vom Mund nehmen und schließlich im Zwiegesang vereinen. Ferdinand Gotthelf Hand schreibt in seiner „Aesthetik der Tonkunst“ 1837, As-Dur sei die Tonart, bei der „die Seele für ein Überirdisches aufgeht und Ahndungen eines Jenseits oder einer höheren Beglückung fasst“. Die Szene malt das in poetischem Blau mit Sternenhimmel.
"O ew'ge Nacht...". Noch einmal einig und eins. Dann das Ende mit Schrecken. In die rasende H-Dur-Ekstase, in der längst die Vorahnung des Liebestodes zu hören ist, bricht die Katastrophe ein. Wagner braucht dafür nur vier Takte. Die Szene wird hell, weiß, kalt, ja eisig.
Markes Monolog folgt einer der ausdrucksstärksten Momente: „Wohin nun Tristan scheidet…“. Mäßig langsam im pp – das letzte Zwiegespräch der Beiden im eisigen Tageslicht, Einigkeit in As-Dur. Wenn sich Tristan zu Isolde neigt und sie küsst, lässt die Solo-Oboe langsam und zögernd das chromatisch aufsteigende Ewigkeitsmotiv hören, die Klarinetten geben die Grundlage, das Fagott einen Kontrapunkt, dann hört man von den Violinen das Thema des Duetts – es ist ein Augenblick, in dem die Zeit still steht – bis Melot auffährt und sich die Zweikampf-Musik in fallender Linie mit einem letzten Aufbäumen zu Ende stürzt. In den letzten Sekunden tritt Isolde Melot mit ausgebreiteten Armen entgegen. Töte mich! Das ist zwar eindrucksvoll, aber nicht komponiert.
Die Energiequelle des 3. Aktes heißt Sehnsucht. Von dem tief melancholischen Vorspiel über die „alte Weise“, den „furchtbaren Trank“ bis zum letzten „Zu ihr!“: alles ist Sehnsucht. Tristans Gedanken tauchen zurück in das Meer der Erinnerungen. Eruptiv sein „Isolde kommt! Isolde naht!“ Noch stärker der Fluch auf den furchtbaren Trank. Peter Schneider lässt erst den Spitzenton singen, bevor sich die tosende Welle des Orchesters ergießt. Das ist sängerfreundlich und bringt zusätzlich einen überwältigenden Effekt. Auch hier gelangen die Übergänge exzellent, ich empfand die Visionen Tristans als notwendige Entwicklung, als Weg, den er – in unterschiedlichem Tempo – auf den einen Zielpunkt Isolde zugehen muss.
Robert Dean Smith ist der Tristan, den ich bisher am Häufigsten gehört habe. 3 Jahre hat er die Partie studiert, bevor er damit in Bayreuth debutierte, inzwischen stand er (lt. eigener Angabe in einem Interview – gesendet in der 2. Pause d. livestream-Übertragung) ca. 65 Mal damit auf der Bühne. Sein Motto heißt: „der Beste sein, der ich sein kann.“ Und er ist es mit perfekter Gesangskultur und Artikulation, weiten lyrischen Bögen und kraftvollen Ausbrüchen.
Ich liebe die Akzente, die er setzt; seine jungenhafte Zärtlichkeit ebenso wie den schmerzlich schönen, ja visionären Stimmausdruck an einigen Stellen („O König, was du frägst…“, „Ich war, wo ich von je gewesen…“). Er hat jenen Hauch von Schwermut und Introvertiertheit in der Stimme, der komponiert ist. Inzwischen ist er so in der Rolle angekommen, dass ich manchmal Angst habe, er könnte sich in der Musik verlieren, und bin jedes Mal wie erlöst, wenn die frohe Weise ertönt (Wagner ist durch eine Alphorn-Weise, die er 1859 bei einer Wanderung auf den Rigi hörte, zu dieser Melodie inspiriert worden) und der Kiel des Schiffes glücklich im Hafen ist . Im 3. Akt hat mich bisher kein anderer Sänger so überzeugt.
Die beginnende Erkältung, derentwegen Violeta Urmana sich an diesem Abend ansagen ließ,
schränkte sie kaum ein. Ihre Stimme war fest, gespannt, was die Partie auch erfordert. Sie hat
alle Höhen und Durchhaltekraft. In einem während der livestream-Übertragung in der 2. Pause gesendeten Interview verglich Frau Urmana die Anstrengungen von „Isolde“ mit „Aida“. Allein der 1. Akt von „Tristan und Isolde“ ist für sie so anstrengend wie eine ganze „Aida“-Vorstellung. Isolde im 2. Akt zu singen: noch eine „Aida“-Vorstellung. 3. Akt: 1/3 „Aida“. Wie sie nach solchen Anstrengungen in den letzten Takten des Liebestode die Stimme ins Orchester legen und den letzten Ton im Pianissimo formen konnte, das war großartig. Vollendung in H-Dur.
Elisabeth Kulman (RD) als Brangäne zu hören, macht einfach nur glücklich! Dieser helle, klar fokussierte Mezzo, die ebenmäßige Stimmführung, der edle Klang - dieTöne sind nicht nur schön, sie haben Inhalt. Im Übrigen habe ich noch nie eine Brangäne erlebt, die die Stimme ihrer Herrin („Befehlen ließ dem Eigenholde…“) so perfekt kopieren konnte wie sie.
Für mich ungewohnt: Matthias Goerne als Kurwenal (RD). Er, den ich als Liedsänger und Wolfram sehr schätze, klingt vor allem im 1. Akt ungewohnt dumpf und matt. Bei lyrischen Phrasen („Erschien zuvor die Ärztin nicht…“) ist er er selbst. Leider sieht man ihm keine Gemütsregung an.
Albert Dohmen (RD) war szenisch sehr präsent und eher nicht „Kornwalls müder König“ (so Isolde im 1. Akt, 3. Sz.). Er betont den tragischen Charakter dieses Mannes und bleibt trotz aller Enttäuschung der verehrungswürdige König. Dass er hinter seiner brachialen Kraft im ff eine anrührend klangschöne Stimme im Pianissimo besitzt, hat mich angerührt! „Dies wundervolle Weib…“ gelang ihm partiturgetreu sehr zart.
Clemens Unterreiner gab dem Melot eindrückliche Gestalt und Stimmfarbe, Carlos Osuna (Hirt), Marcus Pelz (Steuermann) und Wolfram Igor Derntl (sprang für den erkrankten Sebastian Kohlhepp ein) ergänzten das Ensemble bestens. Der Staatsopernchor klang aus der Direktionsloge sehr präsent.
Die ersten Bravi gab es für Dirigent und Orchester bereits vor Beginn des 2. Aktes. Am Ende war es ein ganzer Jubelsturm für Peter Schneider und die Protagonisten - 7 Vorhänge lang.