Über dem Hauptportal des Schlosses Friedenstein in Gotha befindet sich die sogenannte „Friedenskuss“-Reliefkartusche mit dem darin umlaufenden Spruch „Friede ernähret, Unfriede zerstöret“. Herzog Ernst I. (Ernst der Fromme) hatte das Schloss 1643 bis 1654, also noch in den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges beginnend, auf den Ruinen der Burg Grimmenstein erbauen und die Kartusche anbringen lassen. Sie soll zum Frieden mahnen.

Friede ernähret, Unfriede zerstöret. Dass dieser Spruch wahr ist, wissen wir aus der Menschheitsgeschichte und führt uns fast täglich vor allem das Fernsehen mit den Berichten über die fürchterlichen und zerstörerischen Kriege überall in der Welt auch heute noch vor Augen. Sie verursachen unsägliches Leid. Doch Krieg gibt es nicht nur in Form von militärischen Auseinandersetzungen. Mir fallen auch andere Kriege ein: Ehekrieg, Krieg zwischen den Generationen, Wirtschaftskrieg, Handelskrieg, Kriege am Arbeitsplatz, Führungskrieg, Psychokrieg, Zickenkrieg usw. Auch in solchen Kriegen wird ein auskömmliches Leben miteinander, wird das Wohl der Menschen, der „Kriegsparteien“ und werden Beziehungen zerstört und Leid zugefügt. Da ist nichts mehr so, wie es einmal zu glücklichen Zeiten war. Wir kennen das alle und erfahren es immer wieder - oft schmerzlich. Wir reden vom Frieden und wollen ihn auch. Doch wenn Eigeninteressen berührt und verfolgt werden, tritt der Frieden vielmals in den Hintergrund, wird verdrängt, verflüchtigt sich. Unfrieden zieht ein. Er wird billigend in Kauf genommen. Das ist im Kleinen so wie im Großen. Es stimmt eben auch: Fried‘ zuerst für mich, Unfried‘ entwickelt sich. In der Weltpolitik erleben wir das gegenwärtig mit großer Sorge.

Leider war das schon immer so in der Menschheitsgeschichte. Frieden unter uns herzustellen und zu leben, dazu bedarf es immer wieder der Ermahnung. Die biblische Losung für das Jahr 2019 ist eine solche Mahnung, ein Appell zum Frieden. Er steht in Ps 34,15: Suche Frieden und jage ihm nach!

Das hebräische Wort „Schalom“, das meist mit Frieden übersetzt wird, hat die Grundbedeutung „Ganzheit“ und „Unversehrtheit“. Demzufolge ist unter Frieden hier wie auch meist sonst im AT ein Zustand zu verstehen, in dem das Verhältnis zwischen Personen, Völkern und Staaten ungestört ist. Frieden herrscht dort, wo es bei allem, wo Menschen etwas miteinander zu tun haben, keinen Verlierer gibt und niemand dabei irgendeinen Mangel hinnehmen muss. Win-win-Situation also für einen jeden. Dass ein solches Verhalten zum Frieden führt, leuchtet jedem ein. Es ist vernünftig, doch oft schwer zu erreichen. Wir brauchen Hilfe dazu.

Der Psalmist von Ps 34 bringt das urmenschliche Verlangen nach einem erfolgreichen, angenehmen, glücklichen Leben auch mit dem Bezug auf Gott in Verbindung. Gott hatte sein Leben verändert - aus Ängsten und Nöten zu einem angenehmen und glücklichen Leben befreit. Nun verehrt er Gott, den er mit solchem Wirken in all seiner Liebe und Güte in seinem Leben erfahren hat. Davon will er erzählen und natürlich von solcher Liebe und Güte seinen Mitmenschen weitergeben und sie ebenfalls dazu ermuntern und aufrufen. Liebe und Güte weitergeben heißt für ihn auch, sich um Frieden zu bemühen. Auf diesen Zusammenhang weist der Psalmist hin, so als wollte er sagen: Denke dran, für Frieden sich einzusetzen ist dir nicht unmöglich. Du erfährst ja selbst Gottes Liebe und Güte Tag um Tag. Daher: Suche Frieden und jage ihm nach!

Suche Frieden und jage ihm nach. Wir können es auch so ausdrücken: Trachte nach Frieden bzw. sei besorgt um Frieden und laufe, eile ihm nach.

Wir wünschen uns für das Jahr 2019 wiederum Frieden – vielleicht viel mehr als in den Jahren davor. Denn wir sehen große Herausforderungen. Obwohl die Mehrzahl der Menschen in Frieden leben will, hat die Anzahl von Kriegen in der Welt und ihre Brutalität zugenommen. Das macht uns ängstlich und sorgt uns, da die Politik kaum in der Lage ist, kriegerische Konfliktherde zu entschärfen, obwohl sie sich hier und da darum bemüht. Zu groß sind eben auch Eigeninteressen, die sie dabei zumindest auch mit im Blick haben. Sogar der Kalte Krieg, bei dem wir glaubten, dass er überwunden sei, greift um sich.

Beängstigend sind auch andere Kriege, die z.B. auf der Straße und in unserem Alltag ausgefochten werden. Brutalität, Aggressivität, Ausländerfeindlichkeit, Ausgrenzung und Bekämpfung Andersdenkender. All das vergiftet das Klima unter uns, lässt Misstrauen wachsen und stört unseren gesellschaftlichen Frieden schon jetzt erheblich.

Jesus Christus, der Friedefürst, der uns zeigte und uns vorlebte, wie sehr uns Gott liebt, nimmt in der Bergpredigt die Mahnung des Psalmisten zum Frieden auf und legt ein besonderes Gewicht auf sie. Er sagt: Selig sind, die Frieden stiften. (Mt 5,9)
Frieden stiften, nicht nur friedfertig sein. Frieden stiften ist mehr als nur eine friedfertige Haltung einnehmen, ist mehr als nur Waffenstillstand, ist nicht nur Erdulden und Hinnehmen von Unrecht und Unterdrückung „um des lieben Friedens willen“. Frieden stiften, sich also um Frieden bemühen, darunter verstehe ich, sich aktiv einzusetzen für ein Zusammenleben in ungestörten Beziehungen im zwischenmenschlichen Bereich, zwischen Völkern und Staaten, zwischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen und Interessenverbänden. Frieden zu stiften schließt sogar die Feindesliebe (Mt 5,44-45) mit ein. Es ist alles zu versuchen, dass wir miteinander gut auskommen und jeder von gut gestalteten Beziehungen zueinander profitiert. Win-win-Ergebnisse also in unserem Land, in unserer Gesellschaft, in unserer Welt, in unseren Familien, Häusern und Orten und auf welchen Gebieten auch immer. Sich darum zu bemühen ist nicht nur eine Frage, die mit dem Glauben zu tun hat, sondern sie ist ebenso vernünftig. Freilich, es ist oft nicht leicht, Eigeninteressen hintenan zu stellen und über seinen eigenen Schatten zu springen. Doch der Geist Gottes befähigt alle dazu, die sich an Christus halten. Da zieht Gottes Geist ein, stärkt unsere Kräfte zur Umkehr und Versöhnung und zieht uns mit unseren Ängsten und Zweifeln hinein in Gottes Wirklichkeit und somit auf den Weg des Friedens. Auch wenn es passieren kann, dass wir im Bemühen um Frieden zwischen die Fronten geraten und vielleicht sogar mit unter die Räder kommen könnten, darf uns das nach Christi Willen nicht davon abhalten. Er selbst hat sich auch niemals davon abhalten lassen, sondern ist seinen Weg der Liebe und des Friedens gegangen – sogar bis in den Tod hinein.

In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich auch die momentan besonders aktuelle Frage, ob und unter welchen Umständen es erlaubt ist, Konfliktparteien auf den Weg des Friedens zu zwingen, z.B. durch Sanktionen im politischen Bereich oder durch Anwendung sonstiger Druckmittel, wenn andere ihre zwischenmenschlichen Konflikte austragen wollen. Und wenn ja, wer darf das und wie? Die Beantwortung solcher Fragen ist schon immer außerordentlich schwierig gewesen und wird auch gegenwärtig kontrovers diskutiert, z.T. auch mit Blick auf die Bergpredigt, in der Jesus zu einem Verhalten auffordert, das dem Frieden dient und zum Frieden führt.
Den ganzen Fragenkomplex kann und will ich hier natürlich nicht abhandeln. Doch bei der Beschäftigung damit zeigen sich mir grundsätzliche Antworten, die für unsere Friedensbemühungen von Bedeutung sind. Zunächst ist festzustellen, dass die Bergpredigt kein politisches und juristisches Handlungskonzept darstellt. Aber sie ist ein Wegweiser. Sie lässt das Leben als Geschenk Gottes und die Liebe, die das Böse überwindet, erkennen. Sie will stets beunruhigen, indem sie den Überschuss der Liebe geltend macht. Sie ist nicht Norm für Ethik und Politik. Sie ist kein Programm für eine für alle Menschen geltende rationale, konkrete Politik des Friedens. Doch sie stellt grundsätzlich immer wieder die Ordnungen in dieser Welt und das eigene ethischen Verhalten infrage, indem sie provoziert und protestiert. Die Goldene Regel, die Jesus in seiner Bergpredigt verkündet, „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch!“, „übersetzt“ quasi das Liebesgebot Jesu in ein Verhalten, das auch der menschlichen Vernunft einsichtig ist und von allen praktiziert werden kann und soll. Sie ist von daher gesehen eine Art Patentrezept für alle Fälle. Doch welches Verhalten dann im Konkreten die Goldene Regel bzw. der Bergpredigt erfüllt bzw. ihr nahe kommt, ist in jedem Einzelfall zu durchdenken und in einem Prozess des Abwägens und der Kompromisse zu finden.

Wir erkennen, wie schwer es ist, dem Appell des Psalmisten, suche Frieden und jage ihm nach, zu folgen. Doch auch im Jahr 2019 ist uns aufgetragen und ist ein Gebot der Vernunft, an vielen Orten und in zahlreichen Situationen Schritte des Frieden zu suchen, zu gehen und ihm nachzujagen – einem Frieden, den Gott für jeden Menschen will – ob er an ihn glaubt oder nicht. Denn Friede ernähret, Unfriede zerstöret.