Vorbemerkungen:
Der nachfolgende Text ist in WA TR 4, 509,22 – 511,28 (= Nr. 4789) enthalten und besteht aus einer Mischung in Latein und Deutsch. Er wurde dort aus einer Sammlung von Caspar Kummer (Khummer), Pfarrer in Ortrand, entnommen, der sie 1554 veröffentlichte. Der Teil seiner Sammlung, in dem die hier vorliegende Nachschrift über Luthers Predigt enthalten ist, ist eine Abschrift einer verschollenen Handschriftensammlung, die auch andere Sammler benutzt hatten.
Martin Luther hielt diese Predigt am 1. Dezember 1538 in Wittenberg.
Bei der Übertragung des Textes ins Deutsche habe ich die ursprünglich deutschen Passagen nur so weit an den heutigen Sprachgebrauch angepasst, wie es für unbedingt nötig erachtet wurde.

 

Als allenthalben etwa über ein halbes Jahr hinweg um uns herum die Pest tobte, ist diese Stadt wunderbar von Gott bewahrt worden, fiel aber schließlich durch Vergiftung im gerade kalten Winter in zwei Häuser ein, und weil so viel Gerede und Furcht entstand, hat Luther in öffentlichen Versammlungen eine Aufmunterung gehalten, deren sehr kurzer Inhalt dieser war.

Zuerst hat er alle, die diese Nachricht über die Pest hier verbreitet haben, ernsthaft getadelt, da durch Gottes Gnade kein Grund vorhanden sei; und er hat allen Einwohnern von der Flucht abgeraten, seitdem sie sich selbst verpflichtet hätten, anzuwachsen (= einheimisch zu werden). Es wäre das Gottloseste, wenn sie zu ihrem eigenen Vorteil ihre Anvertrauten zurückließen, daher seien zum Beispiel einst die meisten in größerer Anzahl durch ein Gerücht und durch Trockenheit als durch die Pest gestorben. Er hat jene zum Ertragen als Zurechtweisung Gottes ermahnt: Denn so wir die Kinderstrafe nicht können leiden, da sei die Pest von allen Schlägen sehr gering; wie wollten wir Kriege, Kämpfe, Hungersnöte ertragen, wo alles zerstört wird? Die Pest ist bloß eine Reinigung in der Welt, und zwar entschlafen die frommen Menschen sehr angenehm in einem kurzen Augenblick. Drum lasset euch durch ein kleines Geschrei von einem Haus nicht schrecken. Tut dem Teufel nicht so viel zuliebe, dass ihr fliehen wollt, sobald die Pest in euer Haus, Tisch, Kammer, Bett und Wiege käme, wir haben den Trotz dagegen: Christus ist in den Himmel aufgefahren, sitzt zur Rechten des Vaters, tritt ein für uns. Also haben wir jenen als Mittler und hören die Lehre für das tägliche Leben; warum fürchten wir uns so sehr, mehr als im Papsttum, wo wir uns in einer heftigeren Finsternis befunden haben? Was ist denn mehr, so der Teufel etliche Personen mit Gift beschießt? Denn er hat ein Rohr dazu.

Euch, die ihr im Magistrat seid, ermahne ich, dass ihr euch um die öffentlichen Angelegenheiten kümmert, indem die amtlichen Diener, Mediziner, Chirurgen, Barbiere, Verwaltungsdiener Hilfsmaßnahmen ergreifen, zum Beispiel ihr die genesenen Armen der Hospitäler zur Dienstleistung drängt oder aus der Stadt verweist. Ferner mache ich euch flüchtigen Bürgern, die ihr eure Leute zurücklasst, öffentlich bekannt, dass ich in der Not die Armen nicht lassen will, sondern euer (Brenn)holz auf den Anger hereinfahren und verbrennen lasse, wollen euren Vorrat an Korn, Bier den Armen austeilen lassen. Da seid gewarnt. Es gilt, nicht zu fliehen, sondern wie Christus Matth 25[1] spricht: Ich bin hungrig gewesen usw.; krank gewesen, und ihr habt mich nicht besucht. Außerdem sollt ihr wissen, dass ich nie während einer Pest von hier geflohen bin, sondern mit dem ganzen Haus und der Familie ausgehalten habe. Wer wohl so edel (= im Sinne von frei) ist wie ihr, möchte wohl auch fliehen, besonders wegen einer Aufforderung des vornehmsten Kurfürsten. Nicht also! Es heißt, wer angewachsen ist an Weib, Kind, Bruder, Schwester, Nachbarn, der bleib und helfe. Wir sind ein jeder einander einen Tod schuldig.
Also bin ich jetzt euer Pfarrherr und Lückenbüßer[2], bin an den Predigtstuhl gebunden; davon sollen mich hundert Pestilenze nicht flüchtig machen, aber ich bin mit meinen Priestern bereit, die Schwachen zu stärken. Sterben wir in diesem Werk der Liebe, wohl uns; so soll uns das Stündlein besser sein als 100.000 Jahre zu leben. Sollest du andererseits mit einem schlechten Gewissen geflohen sein, so wird dir´s kommen, dass du tausendmal lieber gestorben wärest. Folglich sei entschlossen. Daher ängstigt euch nicht und flieht nicht, die ihr versucht werdet im Herrn, dass ihr ihm das Stündlein aushalten möget. Es muss doch gestorben sein, und in der so unheilvollen Welt sollte sich kein Mensch ein langes Leben wünschen, in der so hoffnungslose Bosheit der Menschen, der Bauern, der Bürger, der Adligen ist, dass ich schier nicht weiß, wider die Pest zu beten, die das Fegfeuer sein muss, weil sonst niemand mehr strafen will noch kann. Dass doch Gott kommen und die Gassen fegen wolle, damit die gierigen Bauern sehen, zu wessen Schaden sie ihre Taler durch Schicksal und Unrecht zusammengescharrt hatten und sie alle auf diese Weise zur Reue veranlasst werden. Darum wir, die wir angewachsene Personen sind, lasset uns Gott nicht erzürnen zu größeren Plagen, sondern dieses Rütteln (= Durchschütteln), wenn´s kommen wird, beieinander aufstehen. Sterben wir jetzt, so dürfen wir über etlich Jahr das nicht fürchten.

Ich sage dies, damit nicht irgendjemand Wohlgefallen hat, weil irgendwelche Mediziner verachtet werden, Gott zu verachten und sich in Gefahr zu stürzen.
Den Fremden und Studenten sage ich dies nicht, das sind Gäste allhier, die von ihren Eltern wegen des Studiums hierher geschickt wurden; denen soll das Tor nicht versperrt sein. Welche nicht bleiben wollen, die ziehen in Gottes Namen. Aber durch Gottes Gnade soll weiterhin bei keinem von uns die Pest sein. Ich ermahne euch, dass ihr nicht durch unzeitige Flucht von hier unsere Universität zerstört.

 

[1]      Mt 25,42f.
[2]      In dieser Zeit weilte Bugenhagen, Stadtpfarrer in Wittenberg und zugleich zuständiger Generalsuperintendent, noch als Lehrer an der Universität in Kopenhagen. In Wittenberg traf er erst am 4. Juli 1539 wieder ein.