Zuerst habe ich ihn als Wanderer im Dresdner „Ring“ (inszeniert von Willy Decker) erlebt und seine Ausstrahlung und sein Timbre, das mich etwas an Theo Adam erinnerte, nicht vergessen können. Mit einer faszinierenden Kraft und Bestimmtheit erschien er zu den herrlichen Einleitungstakten der 1. Szene des 3. Aktes „Siegfried“ mit dem Spaten auf der Bühne und begann, Erda auszugraben und sie dann aus der weißen Hülle herauszuholen, in die sie sich eingesponnen hatte wie in einen Kokon. Später hörte ich in ihn als geradezu edlen Jochanaan (Wien) und Wotan (Frankfurt und Berlin). Endlich ein Göttervater, der diese Rolle nicht nur sang, sondern verkörperte, der mit Stimme und Persönlichkeit überzeugt - ein Sängerdarsteller, der unabhängig (!) von der jeweiligen Inszenierung berührt.

Nachdem Terje Stensvold während eines Interviews im Herbst 2013 in Oslo (nachzulesen http://www.operafocus.com/#!terje-stensvold/c1aa) angekündigt hatte, 2014 seine Sängerlaufbahn beenden zu wollen, wurde mir bewusst, dass er im Berliner Götz Friedrich - Ring am 9. Januar seinen letzten Wotan („Walküre“) singen würde. Am Tag davor war er zu einem Interview bereit.

Eine neue Rolle

Ich treffe einen glücklichen Menschen! Bestens auf meine Fragen vorbereitet, beginnt er sofort, von seiner neuen Rolle zu erzählen. „Ich bin froh, dann (nach dem Sprecher in der „Zauberflöte“ in Paris, Holländer in Oslo und Barak in Frankfurt) an meiner noch besseren Rolle zu arbeiten – als Opa.“ Ich spüre seine Vorfreude, die 6 Enkelkinder häufiger sehen zu können, als das jetzt möglich ist und mehr Zeit miteinander zu verbringen. Denn neben seiner positiven Grundeinstellung ist seine wunderbare Familie der Hauptgrund dafür, dass er so lange mit Freude hat arbeiten können. „Begeisterung ist ein gutes Wort dafür.“

Seine Frau begleitet ihn bei den Engagements, sein Sohn Håvard steht selbst als Opernsänger auf der Bühne. 2002 sangen sie beide in „Cosi fan tutte“ (Oslo) – der Vater Don Alfonso, der Sohn Guglielmo. Håvard hat nicht nur die gleiche Stimmlage, sondern – das beweist mir der Vater mit einem Video auf seinem Handy – ein verblüffend ähnliches Timbre. Natürlich wird viel gesungen, wenn die ganze Familie zusammen kommt. Die gemeinsame Zeit ist kostbar.

Wotan

Gestern habe ich gedacht: das war meine letzte Probe als Wotan - und das bereue ich nicht. Das ist gut so.“ Götz Friedrichs Inszenierung ist ihm schon vertraut, denn er hat 2011 Wotan und Wanderer in dem von Götz Friedrich und Gottfried Pilz für die Finnische Nationaloper Helsinki erarbeiteten „Ring“ gesungen. Zwischen beiden Inszenierungen bestehen viele Ähnlichkeiten. Vom „Rheingold“- Wotan, sagt Terje Stensvold, habe er sich in Melbourne (Nov./Dez. 2013, Regie: Neil Armfield) ohne jede Sentimentalität verabschiedet. Er wird den jungen, unerfahrenen, ja fast unsympathisch wirkenden Gott, den er, beginnend in Stockholm 2005/06, insgesamt 35 Mal gesungen hat, überhaupt nicht vermissen. Erst recht nicht die vielen schweren Pelzmäntel, die er in den verschiedenen Inszenierungen tragen musste.

Ein andres ist‘s …mit dem „Walküren“-Wotan. „Es gibt vieles zwischen ihm und mir“, meint Terje nachdenklich. „Er hat so viele Facetten, ist ein ganz normaler Mann mit Fehlern, und ich glaube, es muss sehr viel von Wagner in ihm sein“. Hoch interessant findet er es, den leidenden Wotan darzustellen. „Dann denke ich oft an meine eigene Tochter und frage mich, was das für ein Fundamentalist gewesen ist, dieser Gott, der sich selbst bestraft. Denn Brünnhilde hat verstanden, was er eigentlich will und er muss es zugeben. Aber es ist zu spät und er ist total gebrochen. - Man muss es spüren, dass er leidet.“ In der Nemirova-Inszenierung in Frankfurt darf er laut weinen. Bei Götz Friedrich zeigt er quasi erst im Gehen, bevor der Vorhang fällt, dass Wotan sich nach diesem Abschied kaum mehr aufrecht halten kann und sich voller Schmerz an die Brust greift.

Das wirklich Schwierige und Phantastische ist der große Bogen am Ende der ‚Walküre‘. Das zu singen“, sagte er, „ist meine größte Freude.“ Und er fühlt sich privilegiert, ihn tags darauf zum 46. Mal singen zu dürfen. Ich spüre, dass ihm diese Rolle viel (zurück-)gibt. „Ein Wotan wie aus dem Bilderbuch, mit dem richtigen Timbre und der gebotenen Bühnen-Persönlichkeit“, schreibt tags darauf Ingobert Waltenberger über ihn.

Als Wanderer stand Terje Stensvold 44 Mal auf der Bühne. Und er ist zu Recht stolz darauf, dass er zwischen seinem 62. und 70. Lebensjahr insgesamt 125 Mal Göttervater sein und singen durfte.

Seiner Stimme - „das ist mein bester Freund“, wie er sagt - konnte er mehr und mehr vertrauen. Sie ist ausdrucksvoll, warm und kraftvoll. Was er singt, und wie er es tut, ist glaubwürdig und intensiv gestaltet. Auch physisch ist er ganz präsent. So betrachtet, gibt es keinen Grund, die Sängerlaufbahn zu beenden. Zu Ende gekommen ist einzig das Beweisen. Terje Stensvold hat beweisen können, dass es möglich ist, mit 55 Plus eine internationale Karriere zu starten.

Wunder

Als er nach 27 Jahren Mitgliedschaft im Ensemble der Norske Opera Oslo (1972-1999), also mit 55 Jahren, Rentner wurde, begann seine internationale Karriere. Terje erzählt von einem Vorsingen in Frankfurt/Main., 1999. „Als ich gehen wollte, hörte ich von Operndirektor Udo Gefe folgenden Satz: Eine solche Stimme lassen wir nicht gehen. Was möchten Sie nächstes Jahr singen?

Die Frankfurter Oper ist seitdem nicht nur eine Station unter vielen seiner internationalen Karriere, sondern so etwas wie ein zweites Zuhause. Da sang er Holländer, Jochanaan, Balstrode, Alfio und Tonio, Dr. Schön und Jack the Ripper, Don Pizarro, Barak, Wotan und Wanderer.

Ich bin in das Heldenbariton-Fach sozusagen als Großvater eingestiegen und das ist ein Vorteil, denn es bedeutet, natürlich eine gewisse Gefühlsreife mitzubringen.“ Erst in den 90er Jahren, durch Scarpia (1992, Gastspiel an der Scottish Opera), aber besonders beim Holländer (1999 in Frankfurt/Main) ist Terje Stensvold bewusst geworden, dass sich seine Stimme zum Heldenbariton entwickelt hatte – mit großem Volumen, wunderbaren Höhen und runder, warmer Tiefe. Zwanzig Jahre hatte er als hoher Bariton eher lyrische und Buffo-Rollen gesungen: Tarquinius („The Rape of Lucretia“), Papageno, Danilo („Lustige Witwe“), Edwin („Cardasfürstin“), Bartolo und Barbiere (Rossini), Gianni Schicchi, Mustafa („Italienerin in Algier“), Marcello („La Boheme“), Escamillo („Carmen“), Figaro, Prof. Higgins, Sharpless, Onegin, Don Giovanni, Jochanaan, Iago - insgesamt etwa 80 Rollen. Das Ensemble(singen) war seine „Lehre“. Dort musste er alles singen – und Singen war sein Leben! Seine flexible Stimme hat all das abgedeckt – doch die Rollen, die ihm ganz besonders liegen, kamen ab Ende der 90er Jahre und damit fühlt sich seine Stimme besonders wohl. Er erzählt, dass Linda Watson, seine letzte Brünnhilden-Tochter, Ähnliches erlebt hat. Als Mezzosopranistin hat sich ihre Stimme nicht wohl gefühlt. Dann kam Isolde und alles war gut (nachzulesen: http://lindawatson.net/images/Dormady-Interview/interview8.htm). „So eine Entdeckung habe ich auch gemacht.“ Er war – das gilt bis heute - nie so krank, dass er auch nur eine Vorstellung hätte absagen müssen. Auch das - ein Wunder!

Wir sprechen über seine in Kritiken immer wieder lobend erwähnte Bühnenpräsenz. Es ist seine starke Persönlichkeit, die er in der Rolleninterpretation einsetzt.

Zu einem gewissen Teil kann sie sich entwickeln, aber nicht bei allen. Es hängt am Selbstbewusstsein und an der Stimme. Ich merke sofort, wenn ein Kollege seiner Stimme nicht vertraut – und das Publikum auch.“ Auch dafür war seine Zeit im Osloer Ensemble wichtig. „Wenn man nahezu jeden Abend auf der Bühne steht, lernt man auch, sich einzuteilen. Ein 70jähriger hat nicht so viel Energie wie ein 40jähriger, aber ein 70jähriger ist klüger und kann sich mehr auf das Wichtige konzentrieren.“

Auf meine Frage nach Regisseuren, mit denen er zusammengearbeitet hat, meint er: „Ich habe nur mit guten, musikalischen Regisseuren gearbeitet. Mein erstes Aha-Erlebnis war Willy Decker in Oslo 1986, „Figaros Hochzeit“, phantastisch! Er hat mir als Sänger und Darsteller Selbstvertrauen gegeben. Diese Inszenierung war sehr gelungen und wurde in Oslo in meiner Muttersprache gesungen.“ Auf youtube (http://www.youtube.com/watch?v=O7PMx8q_6Z4 ) ist nachzuhören, wie problemlos sich das singt. Für das Osloer Opernpublikum in den 80er Jahren war es völlig normal, Opern in der Muttersprache zu hören – so hat Terje in seinen ersten 10 Ensemble-Jahren auch nur Norwegisch gesungen. Als er einmal in Stockholm als Onegin einsprang, konnte er ihn auch nur auf Norwegisch singen. „Alle anderen sangen in Schwedisch, das ging ja noch, aber dann kam Nikolai Gedda und sang auf Russisch und bei drei verschiedenen Sprachen wurde es wirklich schwierig. Aber man kann es nicht bei Wagner machen und ich denke, auch bei Peter Grimes wird es schwierig.“

Auch mit Vera Nemirova und Stefan Herheim hat er sehr gute Erfahrungen gemacht. Letzteren schätzt er als sehr begabten, hoch musikalischen, klugen und phantasievollen Menschen, der nicht über die Grenze geht. „Es war toll, mit ihm zu arbeiten.“ Beide verbindet nicht nur „Lulu“ in Oslo und Dresden (Terje als Dr. Schön). Er kennt Stefan Herheim schon als Kind, da sein Vater im Orchester in Oslo spielte und Stefan häufig dabei war. Er erzählt, dass Stefan und sein Sohn Havard zusammen in die Schule gingen, sehr gut befreundet sind und beide schon in ihrer Jugendzeit verrückt nach Oper waren. Sie mussten unbedingt nach Salzburg zu Mozart.

Von den Dirigenten, mit denen Terje Stensvold zusammengearbeitet hat, berichtet er nur Gutes. Als Höhepunkt in seinem Leben bezeichnet er die Arbeit mit Simon Rattle für die 2012 konzertant aufgeführte „Walküre“ in Berlin. In den zwei Stunden Arbeit am Monolog stimmte einfach alles - die Chemie, die Atmosphäre, die menschliche Beziehung – und der Humor. Als ein alter Stuhl knarrte, sagte Simon Rattle zu ihm „Shut up, Herbert“ (v.Karajan)!

Mit Sebastian Weigle verbindet ihn eine lange, freundschaftliche Zusammenarbeit. Er schätzt seine positive Art und Freundlichkeit, erlebt ihn als Sängerdirigenten, der mitatmet und nie nervös ist. In Melbourne leitete der 33 Jahre junge Dirigent Pietari Inkinen den „Ring“. Mit Erstaunen stellt Terje fest, dass die Finnen einen hohen Standard für Dirigenten haben und sagt dem jungen Mann eine Weltkarriere voraus.

„…weit wandert‘ ich schon, auf der Erde Rücken rührt‘ ich mich viel“

Am liebsten ist er in Deutschland und Wien zu Gast, auch in London. Er schätzt die Professionalität und großartige Disziplin in den Häusern – und ist selber sehr diszipliniert, trainiert seine Stimme täglich, denn die Stimme ist ein Muskel, der trainiert werden muss. „Muskeln, die nicht stark genug sind, führen zum langsamen Vibrato. Zwei Tage frei ist ein Tag zu viel. Vorstellungen und Konzerte sind immer Bonus, das andere ist harte Arbeit und Disziplin und Verzicht.“

Verzichten musste er leider auf die Rolle, die (abgesehen vom Wotan/Wanderer) zu ihm gepasst hätte wie ein Handschuh auf seine Hand: den Sachs. „2003 war ich zum ersten Mal in Mailand und da kam von Stockholm das Angebot, alle drei, Wotan und Wanderer, zu lernen und 2005/06 zu singen. Eine Woche später kam das Angebot von Bayreuth, 2007 den Sachs zu singen. Ich konnte nicht alle vier Rollen lernen, musste mich entscheiden.“ Wir sind uns einig: seine Entscheidung war die richtige.

Im November 2014 wird er sich in Frankfurt/Main mit Barak verabschieden.

 

 

Kurzbiographie Terje Stensvold

Geboren am 10. Oktober 1943 in Akershus, begann seine musikalische Laufbahn im bekannten Kinderchor »Solvguttene«. Nach dem Abschluss eines Lehramtsstudiums in den Fächern Deutsch und Englisch war er 2 Jahre als Stipendiat an der Oper in Oslo und von 1972-1999 Ensemblemitglied. Unmittelbar nach seinem 25-jährigen Bühnenjubiläum an der Norwegischen Nationaloper 1997/98 begann für ihn eine steile internationale Karriere. Der Bariton gastiert seit dem Jahr 2000 regelmäßig in Frankfurt, wo er sich mit dem Fliegenden Holländer als Wagner-Interpret vorstellte. In Frankfurt gab er zudem Jochanaan (Salome), Balstrode (Peter Grimes), Alfio und Tonio (Cavalleria rusticana / I Pagliacci), Dr. Schön und Jack the Ripper (Lulu), Don Pizarro (Fidelio) sowie Barak (Die Frau ohne Schatten), Wotan und Wanderer.

Weitere Gastspiele führten ihn nach Stuttgart (Scarpia), München (Holländer, Wanderer), Hamburg (Barak), Berlin (Wotan), Dresden (Wanderer, Dr. Schön), Wien (Wotan, Jochanaan), London („Zauberflöte“-Sprecher, Don Pizarro, Wanderer), Mailand (Wotan, Don Pizarro), Brüssel (Balstrode, Stockholm (Blaubart), Melbourne (Wotan, Wanderer), Paris (Sprecher/Zauberflöte).

2008 wurde er vom Norwegischen König zum Ritter 1. Klasse des St. Olav Ordens ernannt.