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    Familie Voigt

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    Weihnachtlicher Domplatz Erfurt im Lockdown 2020

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    Restaurierte Strobel-Orgel in der Unterkirche zu Bad Frankenhausen

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    Konzert der Meininger Hofkapelle im Dampflokwerk Meiningen

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Noch vor dem Auftrittsapplaus für den Dirigenten nimmt auf einem weißen Ledersofa am vorderen Bühnenrand ein alter Mann Platz. Er erlebt die dann folgende Einleitungsmusik intensiv, scheint mit seinen Händen nach ihr greifen zu wollen - man sieht geradezu sein Erinnern… Ist es der alt gewordene Alfredo? Solchermaßen von Christian Poewe, jung (41) und talentiert (seit 2005 inszeniert der gelernte Schauspieler erfolgreich in Magdeburg, Halberstadt, Detmold, Köln und Graz) in die Geschichte hineingezogen, die er von Anfang an mehrdimensional erzählt. Wesentlich unterstützt wird er vom Bühnenbild (Christian Rinke) - einem aus verschiedenen Versatzstücken (Treppen, Hauswände, übergroße Bilder und, sehr wichtig, eine übergroße Uhr) zusammengesetzten „Montmartre“. Dank Drehbühne mit separatem Drehring ergeben sich verschiedenste Einblicke in die verschachtelte Welt, die fortwährend durch „die Gesellschaft“ - Statisterie (pantomimisch) und/oder den Chor (mit Extrachor), mit sehr ästhetischen weißen Kostümen von Tanja Hofmann ausgestattet - belebt wird.

Wie minutiös Christian Poewe mit den Darstellern gearbeitet hat, zeigt sich schon im 1. Akt bei Alfredos Liebesgeständnis im Duett mit Violetta. Alfredo, eben noch einer, der überhaupt nicht in die Glamourwelt passt, sich dort auch nicht entsprechend bewegen kann und wie ein Bauernbub wirkt, der sich verlaufen hat – dieser Alfredo wird von einem Moment zum anderen unerwartet direkt zum ehrlich und kompromisslos liebenden jungen Mann (auch musikalisch authentisch in F-Dur). Vielleicht wäre hier ein wenig mehr mezzavoce angebracht gewesen, aber der impulsive Mexikaner Rodrigo Porras Garullo hätte sich dafür wohl Gewalt antun müssen. Er steigert sich noch einmal im 2. Akt (Aufbruch nach Paris) und fordert mit Emphase und Intensität den Beifall des Publikums geradezu heraus, schont sich keine Sekunde, geht immer bis ans Limit – wie Violetta (Elif Aytekin), die Poewe nicht als Opfer der Verhältnisse zeigt, sondern als eine starke Frau, die bis zuletzt aktiv und klar Entscheidungen trifft. Vielleicht wirkt deshalb in der 4. Szene des 3. Aktes ihre Verzweiflung so intensiv. Mit schönen Bögen und langem Atem singt sie „Addio del passato“ mit dem Ausdruck absoluter Hoffnungslosigkeit, einsam unter einer Straßenlampe auf einem Stuhl sitzend, und zerreißt dann langsam einen Brief nach dem anderen. Annina (Girn-Young Je) tut es ihr gleich, auch sie hat keine Hoffnung mehr – wie Violettas Arzt Dr. Grenvil (Ernst Garstenauer), der zwischen den zerrissenen Briefen auf Violettas Ende wartet. Wenn sie Alfredo „dieses Bild aus glücklichen Zeiten“ gibt, ist im Orchester schon der Trauermarsch zu hören. Ebenso überrascht wie überzeugt hat mich, dass Violetta nicht auf ihrem Bett und nicht in den Armen ihres Alfredo stirbt, sondern aus der Zeit geht. Wie schon am Ende jedes Aktes, so durchschreitet sie im Finale ein letztes Mal die Tür der riesigen Standuhr, deren Zeiger unerbittlich weiter gerückt waren.

Die Zeit ist ein wesentliches Thema in dieser Inszenierung. Bevor der 3. Akt beginnt und der Dirigent ans Pult tritt, nimmt eine ältere Frau auf einem von 8 weißen Stühlen Platz (sie stehen am Rande des Festes von Flora Bervoix - Carolina Krogius) und näht an einem alten Zigeunerrock. Weitere ältere Damen und Herren kommen hinzu, letztere verwandeln sich noch einmal zu Matadoren. Mit dem Krückstock wird dem Stierkampf (bzw. der Erinnerung daran!) Nachdruck verliehen und dann verführen sie die zigeunerhaft gekleideten und tanzenden Frauen. Das schafft Heiterkeit im Publikum – ob auch Verständnis für die Doppelbotschaft in dieser 11. Szene?!

Die „High society“ bei Flora ist in bester Laune und selbst der Diener kennt kein Erbarmen und demütigt Violetta, indem er ihr einen Stuhl nach dem anderen wegnimmt, auf dem Sie Platz und Halt sucht. Die stärkste Wirkung wird erreicht, wenn Alfredo Violetta die Perücke vom Kopf reißt und sie – was für ein Kontrast! – mit Glatze im schwarzen Paillettenkleid dasteht. Elif Aytekin ist in allem souverän, überzeugt von der Lesart ihrer Rolle, und füllt sie stimmlich wunderbar aus – hat sowohl die zartesten Piani als auch die starken Spitzentöne im Bereich des b´´. Das Publikum belohnte sie mehrfach mit Szenenapplaus und großem Jubel am Ende der Vorstellung. Dennoch freute es mich besonders, dass das erste „Bravo“ an diesem Abend der Sänger erhielt, dessen kultivierter, technisch ausgezeichnet geführter, weicher Bariton seit 12 Jahren immer wieder begeistert: Dae—He Shin als Giorgio Germont. Ausgerechnet in dieser Szene fehlte mir ein stärkeres Mitgestalten durch das Orchester – es blieb – trotz sehr schöner Violinsoli von Ines-Sonja Schneider, stellv. 1. Konzertmeisterin der Meininger Hofkapelle, hier nur bei Begleitung.

Jung (32), talentiert (Assistant Conductor des Gustav Mahler Jugendorchesters) und geehrt (Gewinner des diesjährigen Deutschen Dirigentenpreises) ist Leo McFall, seit 2012/13 1. Kapellmeister der Meininger Hofkapelle. Er dirigiert diese Premiere mit sehr weichen Bewegungen, zugleich aber bestimmt, genau, sehr nah an den Sängern und mit spürbarer Emotionalität. Wunderbar, was z.B. 8 erste und 6 zweite Geigen unter seiner Leitung leisten! Mit dieser letzten Premiere der Spielzeit verabschiedet er sich aus Meiningen und wird künftig freiberuflich arbeiten. Zwei Operndirigate (Otello und Falstaff) in Wiesbaden, ein Sinfoniekonzert in Finnland und Verpflichtungen in der Schweiz und Frankreich stehen im Kalender – neben der Weiterarbeit mit dem Gustav-Mahler-Jugendorchester. Wünschen wir ihm, dass die Meininger Jahre für seine Karriere wichtige bleiben. Das Publikum schätzt ihn (auch seine Wagner-Dirigate!) und zeigte ihm das durch langen, starken Beifall. Eine sehens- und hörenswerte Leistung des ganzen Ensembles! Auch die kleinen Rollen waren ansprechend besetzt: Gastone: Stan Meus, Baron Douphol: Steffen Köllner
Marchese d’Obigny: Lars Kretzer, Giuseppe: Gerhard Goebel, Diener bei Flora: Sang-Seon Won, Kommissionär: Dimitar Sterev).

Nächste Termine: 05. und 11. Juli, 20. September, 10. Oktober, 8. November, 18. Dezember 2015, 26. und 30. März 2016, 7. April und 10. Juni 2016.