Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst. (1 Kor 6,19)

Wir leben in einem Land, in dem die Würde des Menschen als höchster zu schützender Grundwert im Grundgesetz verankert ist. Sie ist die Wurzel für das ebenfalls grundgesetzlich geschützte Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die nur in ganz bestimmten Fällen begrenzt wird bzw. werden kann. Dass uns das Grundgesetz das so zusichert und es nur in bestimmten Fällen einengt, ist uns allen sehr wichtig. So haben wir auch die Freiheit, unser Leben selbst bestimmen zu können. Wer in der DDR oder anderen Diktaturen oder totalitären Staaten lebte, weiß das sehr zu schätzen. Selbstbestimmtheit des Lebens. „Was mir vorschwebt, will ich (natürlich im Rahmen der Gesetze) in meinem Leben bis hin zum Tod verwirklichen. Daran darf mich niemand hindern.“ So oder mit der in Klammern stehenden Einschränkung verstehen wir unsere Freiheit zur Selbstbestimmtheit unseres Lebens.

Und nun hören wir von Paulus: Ihr gehört nicht euch selbst. Also nun doch Einschränkung. Denn wenn wir einem anderen gehören, müssen wir letztlich auch das machen, was der will, auch wenn uns das nicht gefällt. Das uns das nicht schmeckt, ist nur zu verständlich. Ob Paulus es wohl wirklich so gemeint hat?

Der Schlüssel zum Verständnis ist das Wort „Leib“, im Griechischen soma. Darunter ist nicht nur unser Körper mit all seinen biologischen Funktionen zu verstehen einschließlich Essen und Trinken, um ihn zu erhalten und zu pflegen. Sondern Kennzeichen der Leiblichkeit des Menschen ist, dass er sowohl ein Individuum als auch ein Beziehungswesen ist und in Beziehungen lebt. So ist er geschaffen - als Kreatur, die nur in Beziehungen existieren kann. Nur weil wir leiblich sind, haben wir Kontakt zur Welt, können die Dinge berühren, damit etwas machen. Nur weil wir leiblich sind, können wir Gemeinschaft haben, können reden, hören, lachen, weinen und uns an den Händen fassen. Nur weil wir leiblich sind, sind wir Mensch. Nur weil wir leiblich sind, können wir streicheln – allerdings auch foltern, Unrecht tun, betrügen, uns und auch anderen Schaden zufügen. Was auch immer wir tun, dieses oder jenes, das bestimmt allein der Geist, mit dem wir eine Beziehung eingegangen sind. Er herrscht dann in uns. Der Mensch ist also keineswegs so autark, so unabhängig und frei, wie er meint. Er wird gelenkt und regiert. Auch unsere Redewendung, „wes Geistes Kind“ der- oder diejenige ist, verrät uns das.

Martin Luther hat das in ein Bild gekleidet: Es ist so wie bei Pferd und Reiter. Das Pferd ist stark, viel stärker als der Mensch. Wohin es aber hingeht, das bestimmt der Reiter. Ob wir, so Luther, vom Teufel geritten sind – oder vom Geist Gottes.
Das Bild können wir weiter ausschmücken: Ob es die Gier ist, egal welcher Art, die nach allem greift, um etwas in den Griff zu kriegen. Oder ob es das Vertrauen ist, das uns in die Freiheit führt, das Gottvertrauen, das uns frei macht von den Mächten, die uns letztlich nicht gut tun, so verlockend und faszinierend sie uns auch erscheinen mögen. Das Gottvertrauen, das frei macht von der Sorge und von der Angst, wir könnten zu kurz kommen, wenn wir nicht nach allem greifen, erhaschen und nachjagen.

Das soma, die Leiblichkeit ist der Schnittpunkt zwischen der Existenz sowie dem Handeln des Menschen in der Welt und dem Handeln Gottes an ihm. Daher gilt es - so Paulus -, der Versuchung zu widerstehen und nach dem Willen Gottes zu leben. Deshalb erinnert Paulus die Korinther daran, dass sie doch nicht sich selbst gehören, weil sie nun zu einem Tempel des Heiligen Geistes geworden sind. Durch den Glauben und die Taufe hat er Wohnung in ihnen genommen. So gehören sie nicht sich selbst. Paulus muss sie daran erinnern, weil sie durch ihren schlechten Lebenswandel, den er wenige Verse davor anspricht, dabei waren, sich diesen Mächten und z. T. faszinierenden Einflüssen auszuliefern und sie ihre Beziehung zu Gott, zu Jesus Christus in ihrem Leben nicht mehr wichtig nahmen.

Nun wird uns deutlich, welche Bedeutung die leidenschaftlich-mahnenden Worte des Paulus haben - für die Korinther damals, für uns heute.
Zum einen: Nur wenn wir Gottes Geist in uns wohnen lassen, haben wir eine Chance zum wahren, wirklichen Leben. Wo wir es selbst erhalten wollen, ist alles dahin. Es ist ein Trugschluss zu meinen, dass der Mensch so frei ist, selbstherrlich all das tun und lassen zu können, was ihm nutzt und ihm dient, egal auch, was es für negative Auswirkungen hat und es die anderen kostet. Es ist ein Trugschluss zu meinen, dass wir in der Lage sind, unser Leben selbst erhalten können. Wo wir das wollen, ist alles dahin. Da werden wir es letztlich verlieren. Denn wer nicht mehr in der Beziehung zu Jesus Christus sein Leben gestaltet, für den ist er umsonst gestorben und auferstanden, ist auch im Tod ohne Beziehung zu ihm, abgeschnitten von Gott, bei dem allein es ewiges Leben gibt.

Nicht nahezu grenzenlose Freiheit und Selbstbestimmtheit geben unserem Leben Bestand - so bedeutsam dieses Gut ansonsten auch sein mag -, sondern Gottes Geist, der in uns wohnen und wirken will, um uns zu einem wahren, wirklichen Leben zu verhelfen und ewiges Leben zu schenken.