Fast jeder kennt die biblischen Geschichten über die zehn Plagen, die Gott über die Ägypter verhängte, weil der Pharao die Israeliten, die dort harte Fronarbeit leisten mussten, nicht aus dem Land entlassen wollte. Und erst recht kennen die allermeisten die Geschichte über das Schilfmeerwunder, durch das Gott die geflohenen Israeliten vor der Vernichtung durch die Ägypter rettete.

In meiner Kindheit hörte ich diese Geschichten vor allem in der Christenlehre[1]. Sie wurden so faszinierend von unserem Katechet erzählt, dass sich die Bilder, die vor meinem Auge entstanden, tief einbrannten und noch heute aufleuchten, wenn ich diese Geschichten lese oder höre. Dazu gehört auch das Bild über die Miriam, der Schwester von Mose.Nach dem glücklichen, rettenden Durchzug durchs Schilfmeer haute sie auf die Pauke und sang tanzend mit den Israeliten ein Sieges- und Loblied auf Gott (2 Mose 15,21). Ich sehe sie regelrecht hüpfend und übermütig vor Freude - quasi wie im Siegestaumel - vor mir. Diesem Miriamlied vorgeschaltet ist das Lied des Mose, in dem er mit den Israeliten diesen großen Sieg Gottes besingt und mit großen Worten Gott dafür dankt. Der Spruch für diesen Monat, Meine Stärke und mein Lied ist der Herr, er ist für mich zum Retter geworden, gehört zu diesem Lied.

Ja, Miriam, Mose und viele andere in späteren Zeiten, die Gott als Helfer, Retter und Bewahrer erfahren hatten, gingen solche Lieder ganz selbstverständlich aus dem Herzen und aus dem Mund. Ist ein Sieg errungen, ist Gefahr, Not und Leid überwunden, so werden Siegeslieder angestimmt. Die überschäumende Freude und das Glücksgefühl brechen sich Bahn und äußern sich oft im Lied.

Gott danken, weil er der Helfer, Retter und Bewahrer in Not, Leid und Elend ist. Die ersten Christen lobten Gott in Hymnen und Liedern, weil er Jesus Christus von den Toten auferweckte, damit alle, die an ihn glauben, ebenfalls nicht verloren sind. Seine Liebe zu uns ist so groß, dass er den Tod mit allen lebenswidrigen Mächten besiegte, um uns neues Leben zu schenken und zu ermöglichen. Kein Wunder, dass wir im Neuen Testament sehr viele solcher Lobes- und Dankeshymnen an Gott finden, der uns in unüberbietbarer Weise zum Helfer, zum Retter, zum Heiland geworden ist.

Christen besingen bis heute in vielen Liedern ihren Gott, von dem sie sich aus dem Todesverhängnis gerettet wissen. Viele Lieder darüber finden wir in unserem Gesangbuch. Es sind vor allem die Osterlieder, z.B. „Wir wollen alle fröhlich sein“ oder „Gelobt sei Gott im höchsten Thron“, die aber eben nicht nur zu Ostern gesungen werden, sondern auch in traurigen und leidvollen Zeiten, um sich Gottes Hilfe und Trost neu sagen und sich durch sie neu vergewissern zu lassen. Und wenn ich Bachs Osterkantate „Der Himmel lacht“ höre, so möchte ich am liebsten noch dazu tanzen, so sehr wirkt diese Botschaft, die mit dieser wunderbaren Musik einen gewaltigen Ausdruck findet, auf mich.

Allerdings steht Gottes machtvolles Wirken nicht ständig vor unseren Augen. Der Alltag mit all seiner Mühe und Plage nimmt uns sehr in Beschlag und lässt vieles vergessen oder übersehen, was Gott an Gutem uns täglich neu gibt. Das Klagen fällt uns sowieso leichter als das Jubeln.

Hilfreich ist es, wenn wir Gelegenheiten suchen, Gottes Spuren in unserem Leben nachzugehen - Spuren, in denen er als Helfer, Tröster, Retter einfach da war, oft unerkannt oder leicht übersehen. So freue ich mich immer wieder, wenn mir beispielsweise Jubelkonfirmanden nach dem Gottesdienst sagen, wie froh und dankbar sie diesen Gottesdienst gefeiert haben, wie ihnen die Worte und der Segen gut getan haben und ihnen geholfen hat, das viele Gute, was sie im Leben erfahren haben, viel deutlicher und dankbarer in den Blick zu bekommen. Und ihrem Singen ist das auch anzumerken. „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ wird von vielen mit Herzenshingabe gesungen; und bei der Zeile „In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet!“, da kommen manchem die Tränen.

Sich erinnern, was Gott an uns getan hat. Das ist zu tun, wenn wir sehen wollen, wie sehr Gott uns liebt. Solch erfahrene Liebe spinnt feine Melodien, die sich ins Herz setzen, sich Bahn brechen in unseren Liedern und die manchmal sogar wie mit Pauken und Trompeten aus uns herausquellen. Sie besingen diesen Gott, von dem es im Monatsspruch in einer textgetreueren Übersetzung heißt: Meine Verherrlichung und mein Gesang gehört dem HERRN, denn er ist mir zum Retter geworden.

 


[1]      In der ehemaligen DDR gab es keinen Religionsunterricht. Die Kirchen schufen mit der Christenlehre eine eigene Unterrichtsform, um Kinder zum Glauben zu führen und das Leben im Glauben einzuüben.