Wenn ihr beten wollt und ihr habt einem anderen etwas vorzuwerfen, dann vergebt ihm, damit auch euer Vater im Himmel euch eure Verfehlungen vergibt. So lautet der Spruch für diesen Monat.

Wie halten wir es mit der Vergebung? Neulich sagte einer zu mir und zeigte dabei auf einen anderen herbeistürmenden jungen Mann: „Was will der denn noch. Ich hab´ mich doch bei ihm wegen meiner derben Wortwahl entschuldigt. Das genügt doch wohl!“ Kann man da bereits von Vergebung reden? „Sorry! Entschuldigung! Alles klar. Es war doch nur ein Ausrutscher, ein Versehen!“ Mit solchen oder ähnlichen Redewendungen kommt der Betroffene in der Regel gar nicht mehr zu Wort. Er muss akzeptieren, dass für den anderen die Sache damit erledigt ist. Der Schuldiggewordene lässt den anderen einfach stehen und hat sich quasi nun selbst vergeben. Ein solcher Umgang ist unter uns leider gang und gäbe geworden.

Es ist klar, dass wir in solchen Fällen nicht von Vergebung reden können. Vergeben ist ja ein Akt, der eine eingetretene Ungerechtigkeit, eine Störung der Beziehung durch Vertrauensbruch oder eine folgenschwere Verletzung der Normen des Zusammenlebens wieder in Ordnung bringt – sowohl durch den, der sein Verhalten bereut und um Vergebung bittet als auch durch den, der betroffen ist und Vergebung gewährt. Anders kann Schuld nicht beseitigt werden, um das zerbrochene Vertrauen zu heilen und Harmonie wieder herzustellen.

Was so leicht aussieht, ist meist jedoch ein schwerer Akt. Nicht zuletzt auch dadurch, dass man eben auch eine gewisse „innere Größe“ oft nicht voraussetzen kann, die angebotene Vergebung auch wirklich anzunehmen. Eine solche innere Einsicht und Haltung muss dann erst heranreifen. Dann aber erleichtert das oft den Akt der Vergebung. Denn es hilft bei der Überwindung des Scham- und Schuldgefühls und auch des Gefühls, dass man so „klein“ und unbedeutend doch gar nicht sei, um das nötig zu haben.

Vergeben ist daher manchmal sogar Schwerstarbeit. Wird sie gelingen ohne Impuls von außen? Wird es möglich sein, erschüttertes Vertrauen ohne Hilfe von außen wieder vollends herzustellen? Anders gefragt: Nach welchen Maßstäben sollen sich beide, sowohl der Schuldiggewordene als auch der Betroffene, im Prozess des Vergebens richten? Nach den Normen der Zeit, die doch Schwankungen unterworfen sind? Nach den Meinungen der Mehrheit? Nach den individuellen Wertmaßstäben, auf die man sich gemeinsam geeinigt hat und die doch nur so lange gelten, wie es der einzelne nützlich für sich erachtet? Es wird deutlich: Ohne Impuls von außen, von einer unbestechlichen, unwandelbaren Quelle her, wird Vergebung brüchig bleiben und somit auch ein harmonisches, konfliktfreies Zusammenleben.

Eine solch unwandelbare, unbestechliche Quelle haben wir mit Gott. Sein Wille, seine Maßstäbe zeigen uns an, wie wahres Leben aussieht und gelingen kann. Dass wir nicht oder nur ungenügend nach ihnen leben - in Bezug auf ihn und auf unsere Mitmenschen -, diese Schuld dürfen und sollen wir vor ihm aussprechen, auch im Gebet. Bereuen wir sie aufrichtig vor ihm, so vergibt er sie uns im Glauben an ihn und seinen Sohn Jesus Christus. Das um Vergebung bittende Gebet eröffnet einen neuen Aufbruch – hin zu Gott und zugleich hin zu unseren Mitmenschen. So wird möglich, dass aus Fehlern und Schuld Neues wachsen darf, weil Zerbrochenes heilen kann. Der Glaube entfaltet die Kraft, unseren Mitmenschen zu vergeben, so wie auch Gott uns vergibt. Wer mit Gott im Gespräch ist (also betet), wird immer vergebungsbereit bleiben und den Weg zum anderen, der um Vergebung bittet, suchen, damit zwischen ihnen Zerbrochenes auch wieder heilen kann.

In diese Richtung ist der Monatsspruch zu verstehen. Das rechte Beten zu Gott ist dadurch gekennzeichnet, dass es das rechte Verhalten zum Mitmenschen mit einschließt. Der Beter kann von Gott nicht Vergebung erwarten, wenn er selbst nicht zur Vergebung bereit ist. Daran werden wir durch dieses Wort erinnert: Wenn ihr beten wollt und ihr habt einem anderen etwas vorzuwerfen, dann vergebt ihm, damit auch euer Vater im Himmel euch eure Verfehlungen vergibt.