Es kommt nicht häufig vor, dass mich ein junger Sänger schon bei der ersten Begegnung derart fasziniert, dass ich seine Entwicklung weiter verfolge. Doch wenn ein Mittdreißiger den Gurnemanz nicht nur in bester artikulationsklarer Gesangskultur zu singen vermag, sondern sich so stark in die Partie hineingibt, dass niemand an der Echtheit seines tiefinneren emotionalen Beteiligtseins zweifelt (so geschehen 2009 in Meiningen), dann ist die Merkerin am Ort.

 Operndirektor Dr. Klaus Rak war schon damals überzeugt: „Hier reift eine Stimme heran, die in 10 Jahren wohl an Karl Ridderbusch und Kurt Moll anknüpfen kann.“ - Und wie sie inzwischen herangereift ist! Ob Landgraf (Tannhäuser), Ochs oder Don Pasquale (letztere in Linz) – wer Dominik Nekel hört, merkt auf. Nobel, voluminös, lyrisch, wunderbar legatofähig und überzeugend in Timbre und Ausdruck – so wird seine Stimme in zahlreichen Kritiken beschrieben. Man hört, dass er sich bei den Schöngeistern im Gesang, bei Franz Crass und Karl Ridderbusch, daheim fühlt, deren Farbenreichtum und intensives musikalisches Ausgestalten er liebt.

 Dass er eine ebenso charmante wie tiefsinnig reflektierende Persönlichkeit ist, erlebe ich bei unserer Begegnung in Linz. Es ist seine 3. Spielzeit am Landestheater, wo er u.a. als Pogner, Ferrando, Don Alfonso, Don Pasquale und natürlich Baron Ochs auf Lerchenau zu hören ist. Letzteren hat er quasi Autodidakt in einigen Monaten studiert. Vom Erfolg habe ich mich im Mai vorigen Jahres überzeugt. Ein junger Ochs, wie ihn sich Strauss gewünscht hat! Er singt ihn auf Linie, weich und lyrisch, mit langem Atem für das E am Ende des 2. Aktes. Und mit der selbstverständlichsten Natürlichkeit eines echten Wiener Kindes, das er ja ist, zeigt er beide Seiten dieser Rolle, den noblen Baron und den liebenswerten „Augustin“ – bestens ausgewogen.

 Werdegang und Lehrer

Die Musik war ihm als Kind von Musikern schon in die Wiege gelegt. So begann er mit 6 Jahren, Cello zu lernen (Abschluss mit Diplom), das Singen war im Hintergrund aber immer vorhanden. Als Ziehsohn von Kammersänger Helmut Wildhaber aufzuwachsen, bedeutete, sehr früh und sehr gut zu wissen, was dieser Beruf hergibt und was nicht. Was er erfordert und wo er Freiräume bietet. Eine gute Schule! Aber selber Sänger werden? Nach AHS und Celloausbildung studierte Dominik Nekel zunächst Musikwissenschaft, Publizistik und Psychologie, bis er mit 21 Jahren schließlich seinem inneren Drang nachgab, nun „doch singen zu müssen“, und so wurde er nach erfolgreicher Aufnahmsprüfung im Konservatorium der Stadt Wien in die Klasse von Helga Wagner aufgenommen und 8 Jahre später mit Auszeichnung diplomiert. Parallel zur Gesangsausbildung erfolgten 4 Jahre Opernschulbesuch ( eine Tournee durch verschiedene Theater inbegriffen), der mancherlei Gelegenheit bot, sich Rollen- und Bühnenerfahrung anzueignen. Unter diesen quasi professionellen Konditionen konnte er sich Figaro, Bartolo, Kezal, Sir John Falstaff sowie Sarastro erarbeiten – eine große Hilfe für den baldigen Berufseinstieg.

Lehrer auch lange nach selbigem Einstieg noch regelmäßig aufzusuchen ist für DN eine Selbstverständlichkeit, und so wird er neben KS Helmut Wildhaber heute vor allem von KS Artur Korn regelmäßig betreut und künstlerisch geprägt.

 Stationen und Rollen

Nicht immer „beginnt‘s in Linz“! Dominik Nekel begann mit der Spielzeit 2005/06 seine Bühnenlaufbahn in Ulm (nach einem vom ZBF vermittelten Vorsingen). Ein großes Haus mit großer Bühne und reduziertem C-Orchester – das verlangt Durchsetzungsvermögen vom Anfänger – als Ramphis, alter Hebräer, Raimondo, Alaskawolfjoe und Masetto. Alle Rollen in einem Jahr, insgesamt 92 Vorstellungen, daneben permanent Proben und keine Zeit zur eigenen Entwicklung. Manche Wochen, in denen man bei laufenden Proben fünf, sogar sechs Vorstellungen en suite singen musste waren eine harte, auch sehr gefährliche „Schule“.

Die Entscheidung, in der folgenden Spielzeit mit Intendant Ansgar Haag nach Meiningen zu gehen (keinem Österreicher ist man böse, wenn er nicht weiß, wo das liegt) erwies sich als Glücksfall. Das etwas kleinere Haus, das gute Orchester, schöne Partien und ein wesentlich reduzierteres Maß an Vorstellungen machten Entwicklungen möglich. Leporello, Orest, Collin, Guardian, Rocco, Daland, Doktor und 1. Handwerksbursch (Wozzeck) – schließlich Gurnemanz und Landgraf. Operndirektor Dr. Rak pflegte bei seinem umsichtigen Walten zuweilen ein System der „gezielten Überforderung“, welche bewirkte, dass Dominik Nekel auf der Bühne anhand großer Aufgaben auch schnell große Fortschritte erzielte. Die Rahmenbedingungen und das Team stimmten.

Mit dem Wechsel nach Linz (2010) ändern sich die Bedingungen erneut und bald zum Besten: Dominik Nekel freut sich auf das neu erbaute Musiktheater mit seiner tollen Akustik und seinen gewaltigen Dimensionen. Auf dieser Bühne, die mit dem alten Landestheater nichts mehr gemein hat, wird seine Stimme noch einmal gut profitieren können. Das Charisma, das für den Sängerberuf unverzichtbar ist, hat er längst.

 Bühnen-Erfahrungen

In den Gurnemanz, sagt Dominik Nekel, sei er auf der Bühne – nicht immer bewusst - durch Wagners Musik zur kontemplativen Versenkung geradezu gezwungen gewesen. Er meint, dass diese Partie unter den richtigen Vorzeichen zu singen einem spirituellen Erlebnis sehr nahe kommen kann, und so bleibt den Gurnemanz zu singen für ihn immer eine Herzensangelegenheit (gar nicht sentimental gemeint), während der Ochs sicher zu seiner Parade-Partie wird.

 Als auditiver Typ ist es die musikalische Struktur, die ihn „anfasst“. Sechs Wochen Wozzeck-Proben etwa hatten etwas Zerrüttendes, obwohl er die Musik letztendlich sehr gemocht hat. Scheinbar nicht zuzuordnende atonale Systeme, wie Berg sie zusammenzimmerte, vermitteln subtil eine in ihrer Wirkungskraft schon abgründig zu nennende Emotionalität, derer man sich nicht immer bewusst ist, und derer man sich folgerichtig auch nicht immer erwehren kann.. Er findet Vergleichbares (fast) nur bei Mozart, der mit scheinbar simpelsten Strukturen emotionale Berge im Zuhörer versetzt. Das wäre, so meint er, für ihn eines der wahren Verdienste der Zwölftontechnik.

Inzwischen mag er sogar Donizetti (ein wenig) und meint, man muss auch das bedienen können, aber noch vier Mal Pasquale in dieser Saison, dann sei es auch wieder einmal genug mit dem italienischen Bassbuffo-Dasein. Sein Feld sind die seriösen Partien im deutschen Fach. Ihm fehlen nicht mehr viele davon: König Heinrich, Marke, Hagen – letzterer hat noch viel Zeit. Einmal wird sich die Frage nach dem Sachs stellen.

 Überzeugungen

Es ist seine 8. Spielzeit und sein drittes Haus, und er meint von sich, dass er - wenn auch kein Spät-Entwickler - so doch zumindest ein bedächtiger sei: „Gut Ding braucht Weile – ich hab‘s net eilig.“ Die sogenannte „Ochsen-Tour“ hat er gerne gemacht, und sie wurde ihm in seiner 7. Spielzeit prompt mit dem Ochs vergolten. Er kann gelassen sein, denn er wird gebraucht. Es gibt im deutschen Fach nicht mehr allzu viele Bassisten mit seinen Qualitäten. Wie viele Hände braucht es, um die Kollegen zu zählen, die auf europäischen Bühnen den Ochs mit der Liebe eines Richard Strauss-Fans, den korrekt intonierten Tönen, einer subtilen darstellerischen Gestaltung und nicht zuletzt dem so dringend erforderlichen ost-österreichischen Idiom singen ?!

Natürlich widmet er seinem Beruf großen inneren Aufwand. Opernsänger zu sein erfordert neben Stimme und künstlerischem Anspruch, Musikalität, Nervenstärke und technischer Musikalität ebenso Körpergefühl, Feinsinnigkeit, Emotionalität und - Glück.

Für Waage-Menschen wie ihn ist das rechte Maß wichtig, die Balance zwischen künstlerischer Befriedigung und dem Privatleben. Sein Ziel ist, bei bestmöglicher Lebensqualität gute Musik zu machen. Lebensqualität – das heißt Zeit haben für die Familie, für seine Frau, die als Ärztin selbst einen zeitintensiven und schweren Beruf betreibt, und nicht zuletzt für seine zweijährige Tochter. Das heißt, in einem Umfeld arbeiten zu können, dass einen weiterbringt und privates Leben außerhalb des Theaters gestalten zu können.

 Perspektiven

Dass ihm Freunde und Kollegen aufgrund der (meistens) seriösen Facetten seiner Persönlichkeit immer wieder einmal einen Intendanten-Job zusinnen, kann er nachvollziehen. Und er glaubt auch daran, dass es einem Opernhaus durchaus gut tun kann, wenn an seiner Spitze ein ehemaliger Sänger wirkt. Reizvoll fände er es aber auch, später einmal selbst Regie zu führen. Nur die Zeit ist momentan nicht da – vielleicht in 25 Jahren?

 Künftige Aufgaben

Dominik Nekel ist bereits mittendrin in den Proben für die Eröffnungspremiere des Linzer Musiktheaters mit Philipp Glass „Spuren der Verirrten“ (Libretto von P. Handke) – eine große Aufgabe für das gesamte Ensemble (einschl. Ballett und Schauspiel) und freut sich auf die WA des Rosenkavalier. Die kommende Spielzeit bietet ihm den Sarastro und Fasolt, später Hunding im „Ring“. In weiterer Zukunft sind Morosus und Giulio Cesare im Gespräch.

Nach unserem Treffen finde ich unterhalb des Linzer Schlosses auf einer Informationstafel ein Zitat, dass es aufs Schönste abrundet:

Kein Weg ist zu lange für den, der langsam und ohne Eile vorwärts schreitet; kein lockendes Ziel liegt zu fern für den, der sich mit Geduld rüstet.(Jean de La Bruyerè)