Sie sind schon so etwas wie ein „dreamteam“ für das Meininger Theater: Gerd Heinz (Regie), Rudolf Rischer (ein Einheitsbühnenbild gibt es bei ihm nicht! ) und Gera Graf (historisierende, aufwändig gearbeitete Kostüme, selbst für die Matrosen). Nach „Parsifal“ (2009) ist ihnen erneut eine werkgerechte Inszenierung gelungen, die der Regisseur selbst als „aufregend altmodisch“ bezeichnet hat.

Für mich ist sie spannend, sie geht an manchen Stellen unter die Haut und entwickelt eine ganz eigene Faszinationskraft, denn es wird weitestgehend mit der Musik inszeniert. Die klingt gut aus dem mit der Sanierung erweiterten tiefen Graben! Die Meininger Hofkapelle musiziert überraschend kultiviert, mit warmen Klang, sich von Akt zu Akt mehr einfühlend. Philippe Bach (seit 2011 in Meiningen GMD) hat mit dem Orchester intensiv gearbeitet. Er ist 39 und es ist sein erster „Tristan“. Er dirigiert äußerlich unaufgeregt, ja, er scheint geradezu gelassen. Das Vorspiel nimmt er bis zum Takt 36 in sehr langsamem, nicht sehnsüchtig, eher schwerblütig wirkendem Tempo, um es danach (zu) kräftig anzuziehen –was für die Intensität der rauschhaften Steigerung bis Takt 84 jedoch eher hinderlich war. Die finale Steigerung am Ende des 1. Aktes zur Anlandung des Schiffes hätte ich mir von den Blechbläsern noch etwas kompakter und in der Dynamik kräftiger gewünscht, das 2. Akt-Finale gelang bestens. Ausgezeichnet, um nur einige Beispiele zu nennen, auch die 16tel-Violinläufe, etwa bei der Auseinandersetzung zwischen Tristan und Isolde um den Trank, wunderschön gespielt das Violinsolo zu Brangänes Habet-Acht-Rufen und König Markes orchestrale Begleitung durch die Bassclarinette. Das Englischhorn im 3. Akt darf ruhig noch verträumter klingen und die Einleitung zum 3. Akt, in der Celli und Violinen einander vom Leid erzählen, dichter. Ganz ausgezeichnet dirigiert Philippe Bach Isoldes Liebestod, behält das Tempo bei und erreicht damit jenen abhebenden, ins Jenseits führende Klangeffekt, den Wagner komponiert hat. Nicht zuletzt ist er ein guter Sängerdirigent, der jederzeit Halt (und Einsätze) gibt.

Szenisch dominiert und fasziniert im 1. Akt ein die Bühne füllender Schiffsbug mit 2 Spielebenen, der rückseitig Isoldes ganz in Blau gehaltene Kajüte birgt. Dank der Drehbühnentechnik kann zwischen beiden Orten rasch gewechselt werden. Dies ist nur einmal „tödlich“ für die Musik, als das Orchester erzählt, wie der Trank in den Protagonisten wirkt. Da ist ein Zittern in ihnen komponiert (Tremoli der Streicher, die immer heftiger, konvulsivischer werden und mit Liebesmotiven abwechseln), ein Innehalten, Abwarten, nicht mehr. Stattdessen müssen sie an die Reling stürzen. Auch die anderen Personen auf der Szene brechen auf , dazu ist die Drehbühne in Aktion und die Musik dabei im Getrampel auf dem Schiffshohlkörper unter. Schade. Diese Takte vertragen kein Geräusch.

Wenig später brechen alle Dämme – leidenschaftlich, immer höher aufpeitschend, trägt das Orchester Tristan und Isolde in einen seligen Taumel. Sie halten einander fest, umklammern sich (auch musikalisch) mit jedem Takt mehr. Nicht wenige Kritiker haben, Phantasie-beflügelt durch die von Licht und Bühnenbauten geschaffene Atmosphäre, von „like Titanic“ geschrieben.

 Nun, um ihr Leben gesungen haben die Protagonisten an diesem Abend wohl auch, weil Eva Wagner-Pasquier in der Fürstenloge saß. Die Schweizerin Ursula Füri-Bernhard trumpfte mit ihrem hochdramatischen Sopran auf, der schöne satte Tiefen aber auch machtvolle und raumfüllende bis (–sprengende) Power bis hin zu den Spitzentönen hat, die sie allerdings nur kurz ansingt. Manchmal schien sie mit der Stimme zu spielen – man war (v.a. im 2. Akt) nie sicher, ob der nächste Satz mezzavoce oder im Sprechgesang, im Piano oder Forte kommt und ob er verständlich sein wird. Umwerfend intensiv ihre Bühnenpräsenz. Diese Isolde ist ein Ausbund an Lebendigkeit, ungestüm, euphorisch, unkonventionell. Mit dunklen Augen und Locken kann sie alles sein, stolz wie Cleopatra, wütend wie ein Raubtier. Gerd Heinz brauchte diese Frau nur agieren zu lassen. Der ganze Körper singt nicht nur, er interpretiert, Satz für Satz, oft mit großer Gefühls-Spannweite. Warum fand ich vieles überzogen? Weil sie das Gefühl, was die Musik längst erzeugt hat, nun noch einmal auf ihre Art singt und spielt, also Dramatik zur Dramatik fügt? Sie wollte an diesem Abend und für ihre erste Isolde einfach zu viel und hat die Partie noch nicht ganz in der Kehle.

Andreas Schager, für den der Meininger „Rienzi“ im Sommer 2011 der „Türöffner“ seiner Karriere war, ist (nach seinem 1. Tristan in Minden) jetzt ganz in der Rolle angekommen und gibt an diesem Premierenabend wirklich alles. Mit so einem stabilen stählernen Tenor voller Kraft und Power konnte Gerd Heinz den auch körperlich Durchtrainierten nur als „jungen Wilden“ auf die Bühne stellen - als Getriebenen, der innerlich nicht so stabil ist wie das für ihn komponierte Auftrittsthema (nach „Herr Tristan trete nah“). Wie viel vom „Holländer“-Wesen ist in seinem Tristan? Bis zu den letzten Sätzen im 3. Akt, die nicht nur an die Grenzen der Tonalität, sondern auch an die der Kraft gehen, lassen seine Riesenstimme und seine klare Diktion nicht nach. Manchmal macht es fast Angst, weil Kraft und Spannung, unter der er steht, sich bis ins Publikum hinein übertragen. Ruhige Momente hat er selten, aber wenn (z.B. 3. Akt: „Muss ich dich so verstehn, du alte Weise…“), singt er sie zart wie eine Vision. Ganz gelöst, ganz ruhig ist er nie, auch nicht bei dem schönsten Liebesduett der Opernliteratur im 2. Akt. Die zwei starken Stimmen wollen nicht recht verschmelzen, sie folgen immer wieder ihrem eigenen Klang, fließen wenig ineinander auch wenn sie davon singen („sel‘ges Träumen: Tristan du, ich Isolde, nicht mehr Tristan!“). Beide sind (premierengeschuldet?) viel zu angespannt, um sich auf dem in Stufen abfallenden Weg (eine Parklandschaft, später ein See im Mondschein werden auf Vorhänge projiziert) wirklich hinein sinken zu lassen in die Nacht der Liebe. Manches klang wenig ernsthaft, eher spielerisch („Laß den Tag dem Tode weichen“) – aber hier geht es um eine ernste Grenzerfahrung der Liebe! Schnell singen sich beide wieder in einen Rausch (der aber nicht zur Transzendenz führt), zum Strudel der Musik weitet sich per Videoprojektion der Blick ins All und man erlebt eine leider viel zu temporeiche Sternenfahrt und – mit Erscheinen von Kurwenal –den Sturz aus dem Himmel.

Ernst Garstenauer ist ein Marke voll von überzeugender Traurigkeit. Leider hat seine Stimme nur noch wenig Spannkraft. Mir fehlten die weichen lyrischen Bögen. Eine kleine, anrührende Geste von ihm im 3. Akt hat sich in meine Erinnerung eingebrannt. Da nimmt er still seine Krone ab und legt sie auf Tristans Totenbett. Der riesige dunkle Baumstamm, aus dessen unsichtbarer Krone bunte Herbstblätter auf Tristans Totenbett fallen und an dessen Fuß Isolde im Schoß von Brangäne Tristan in die Nacht-Welt folgt, assoziiert die Weltesche (und manches gelungene Ring-Bühnenbild). Berührend schlicht, ebenso sparsam wie natürlich agierend, singt Dae-Hee Shin einen vornehmen klingenden Kurwenal.

Christina Khosrowi gestaltet die Brangäne mit schönem Mezzo-Klang. Ein gelungenes Rollendebut! Nur bei den Habet-Acht-Rufen, die sie von der linken Bühnenseite singt, fehlen der Stimme noch Stabilität und der tragende lange Atem; daran wird sie noch arbeiten müssen.

Rodrigo Porras Garulo interpretiert das Lied des Seemanns verträumt, ohne das Spöttische darin zu bemerken und war leider hörbar aufgeregt. Besser gelang ihm der Hirt im 3. Akt. Durchweg rollendeckend Stan Meus (Melot) und Lars Kretzer (Steuermann) und Herren- plus Extrachor des Meininger Theaters (Leitung: Sierd Quarré).

Großer Jubel, bravi und standing ovations für Ensemble, Orchester und „dreamteam“. Auch wenn dieser „Tristan“ musikalisch (noch) nicht aus einem Guss ist: werktreue Inszenierungen lohnen sich für alle! In verschiedenen Interviews haben die Protagonisten betont, wie sie von einem Regisseur mit 50jähriger Bühnen- und Regieerfahrung profitiert haben. In zweiter Besetzung (P. am 10.3.) singen Hans Georg Priese (Tristan), Bettine Kamp (Isolde) und Anna Maria Dur (Brangäne).

 Eine kleine, am Premierenabend eröffneteAusstellung im Foyer des 3. Ranges belegt den beachtlichen Beitrag des Meininger Theaters zur Wagnerpflege ab den 50er Jahren.