Lieben Sie Opern von Bellini, Rossini, Donizetti, Auber, Meyerbeer oder Spontini? Dann werden Sie Wagners „Liebesverbot“ mögen! Der 22-Jährige hat sich nicht bemüht, italienische oder französische Anklänge zu vermeiden, sondern probiert sich im Belcanto. Das Ergebnis klingt sehr schön, an einigen Stellen natürlich auch schon nach dem späteren Wagner. Im Vorspiel fällt sofort die Liebe des Komponisten zu Quarten (1. Thema!) als konstituierendes Element auf.

Auch die Arbeit mit Leitmotiven (z.B. das Motiv für den gefangen gesetzten Claudio) ist zu beobachten. Zu Beginn der 2. Szene fühlt man sich mitten in „Tannhäuser“ versetzt, weil Wagner schon hier das Dresdner Amen verwendet (auch später im Gralsmotiv von „Parsifal“). Mit Isabella, der Novize von Palermo (so der 2. Titel der Oper), gestaltet er seine erste Frauenfigur, die – wie später Senta oder Elisabeth – die Handlung vorantreibt, alle Probleme löst, ja als Erlöserin auftritt. Sie steht zwischen Friedrich, dem Statthalter und seinem Gegenspieler Luzio, der das Volk anführt.

Ansgar Haag lässt die Oper in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg spielen, zeigt Sittenverfall ebenso wie die Ohnmacht des Volkes, Gewaltausbrüche (die Ouvertüre und Finale verknüpfen) und das Agieren von Emporkömmlingen zu verhindern. Das steht nicht im Libretto, ist aber nicht ungeschickt. Die Inszenierung erschließt sich freilich erst vom Ende her. Da wird der direkte Zusammenhang zwischen der Angst des Volkes vor offener Rebellion und der Ausbreitung des Bösen ganz klar. Haag lässt am Ende statt Musikkorps mit Karnevalszug quasi aus dem Nichts wie ein böses Omen eine Braunhemden-Blaskapelle aufmarschieren. Pontio Pilato schneidet Friedrich die Kehle durch und der Polizei- und Geheimdienstchef Brighella schreitet wie der große Diktator mit der Prostituierten Dorella am Arm über einen Platz voller Leichen. „Wo soll das noch mit Allem hin?“ Diese Lesart des Regisseurs überholt endgültig die Behauptung des 22jährigen Wagner, das Volk sei weiser als seine Regierung und deren verrückte Gesetze, und findet eine Lösung für das dramaturgisch nicht wirklich glücklich machende Finale, die unter die Haut geht.

Kann es sein, dass sich deshalb Liebe, um die es ja nicht nur im Titel der Oper geht, weniger frei entfalten konnte? Auffallend war, dass in vielen Szenen die Beziehungen unter den Protagonisten seltsam unterkühlt wirkten. Da wurde keine Hand gereicht, keine Umarmung gewährt, das wird nur gesungen. Die Blicke gingen überall hin, nur nicht zum Partner.

Wie auch immer: im speziellen Meininger „Fall“ erweist sich „Das Liebesverbot“ als exzellente Möglichkeit, nach einer Umbauzeit von 17 Monaten die neue Bühnentechnik gleich bis an ihre Grenzen auszutesten und den Zuschauern geräuschlos eine Vielzahl an Ortswechseln bei offenem Vorhang zu präsentieren: das Rotlichtmilieu von Palermo, das Kloster der heiligen Elisabeth, die Weinstube des Herrn Dorelli, den städtischen Marktplatz, das Gerichtsgebäude mit Gefängnis, Saal und Nebenzimmer, die Gemächer des Stadthalters Friedrich und im Finale den sogenannten Corso (Stadtpark). Alles Notwendige: Hubbühnen, Drehbühne mit doppeltem Kranz (darauf ein ganzes Colosseum!), 4 Hubpodien (darauf Glaspalast und Gefängnis zugleich), Moving Lights (ferngesteuerten Lichtsysteme, programmierbar) sind dazu vorhanden. Die Hinterbühne wurde spürbar vergrößert, der Platz im Orchestergraben reicht nun für 70 Musiker, damit für großes romantisches Repertoire, und der Plexiglas-Schallschutz für Musiker lässt sich auch noch aufstellen.

Unter der Leitung des gebürtigen Salzburgers und stellv. GMD Alexander Steinitz spielt die Meininger Hofkapelle engagiert und klangstark. Die Partitur (583 Seiten!) wird auf 2,5 h Spieldauer gestrichen, die Handlung in 9 Szenen stringent gefasst, z.T. von kurzen Dialogen begleitet. Einzig die neue Übertitelungsanlage kann mit den Tempi nicht Schritt halten.

 

Als Statthalter Friedrich zeigte Dae-Hee Shin erneut sein stimmlich wie darstellerisch herausragendes Format, mit dem er auch an größeren Häusern reüssieren kann. Nuanciert, sicher und wortdeutlich gestaltet er die Partie, zeigt nicht nur den Despoten, sondern auch dessen menschlich-verletzliche Seite. Bettine Kampp ließ sich zwar ansagen, sang dann aber mit faszinierender Leuchtkraft und teils furioser Stimmstärke, souverän zwischen allen Tonlagen wechselnd, die Isabella. Ihre stärkste Szene, die Verführung Friedrichs, geht emotional und stimmlich unter die Haut, weil sie hier die zarte warme Seite ihrer Stimme einsetzen kann. Camila Ribero-Souza sang eine manchmal verhaltene, manchmal verträumt lyrische Mariana. Sonja Freitag fasziniert als gewandte und attraktive Dorella, beide Adjektive beschreiben auch ihren Sopran. KS Roland Hartmann als Brighella zeigt in der Rolle erneut seine Wandlungsfähigkeit. Darstellerisch überdeutlich und stimmlich nuanciert, changiert er zwischen Machtwahn und Lächerlichkeit. Rodrigo Porras Garulo als Claudio (ältere Meininger Theaterbesucher erinnert er mit Sicherheit an Helmut Weidel) muss noch an seiner Phrasierung arbeiten. Xu Chang als Luzio hatte nicht seinen besten Tag und klang zeitweise angestrengt. In der Faschingsszene waren seine Probleme mit den Tempi nicht zu überhören und im Ganzen war es nicht leicht, ihm den Verführer (Wagner beschreibt die Rolle „junger Edelmann und jovialer Wüstling“) abzunehmen. Rollendeckend besetzt seine Freunde Antonio (Maximilian Argmann), Angelo (Francis Bouyer), der Wirt Danieli (Ernst Garstenauer) und Pontio Pilato (Stan Meus), Gefängnisschließer und Zuhälter. Erfreulich präsent und bestens studiert der Chor (Leitung: Sierd Quarré).

Fazit:
Meiningen ist wieder einmal der Zeit voraus. Während Bayreuth und Leipzig noch in der Planungsphase der Inszenierung von Wagners Jugendwerken war (jetzt erst, Mitte Februar, wurden Einzelheiten und Besetzungen online veröffentlicht) kann man in Meiningen schon seit Dezember eines sehen.