Das Linzer Landestheater hat Richard Strauss einen Wunsch erfüllt! Der wünschte sich seinen Ochs als eine ländliche Don-Juan-Schönheit von etwa 35 Jahren. Dem kommt Dominik Nekel ganz nah – im besten Sinne! Wer in diesem Alter bereits ein herausragender Gurnemanz (Meiningen) war, lässt auch bei seinem ersten Ochs keine Wünsche offen. Es gelingt wenigen Sängern, sowohl den noblen Baron von Lerchenau als auch den Verlierer Ochs (hier wirkt er wie Don Quixote) mit einer solch selbstverständlichen Natürlichkeit darzustellen. Dass das Souper im Beisl in der schaumgefüllten Badewanne (!) nicht zum billigen Gag geriet, ist seiner großartigen Darstellung zu danken.

Dominik Nekel setzt seine warm timbrierte Bassstimme, die nie eines Forcierens bedarf, klug und ökonomisch ein. Wie gerne hätte ich gerade deshalb von ihm im 1. Akt den Monolog, der Ochs so herrlich als „Jupiter selig in tausend Gestalten“ charakterisiert und im „Heu“ endet

ohne die üblichen großen Striche gehört! Seine Stimme hat die nötige Höhe und Tiefe und er hat den langen Atem für das E am Ende des 2. Aktes. Was besonders glücklich macht: Er singt den Ochs auf Linie, weich und lyrisch. Ich entdeckte dadurch an manchen Stellen, v.a. im 2. Akt, ganze Melodiebögen, die andere Sänger im Parlando übergehen.

Astrid Weber ist eine Marschallin, bei der Ausstrahlung, Aussehen und Spiel wunderbar mit der Stimme harmonieren. Mit einem in allen Lagen klangvoll und kraftvoll tragenden Sopran, noch lyrisch, schon dramatisch, gestaltet sie sowohl die emotionale Berg- und Talfahrt in der Beziehung zu Octavian als auch ihre ganze Angst vor deren Vergehen/der Vergänglichkeit im Zeit-Monolog atmosphärisch dicht und anrührend. Ebenso ihre Herzensklarheit am Ende: über sie wird nicht entschieden (von Männern) – sie entscheidet! Freuen wir uns auf ihre erste Isolde im Wagnerjahr in Meiningen!

 

Zeit – Alter – Tod, das ist für Anthony Pilavachi (das Linzer Landestheater hat seine Lübecker Inszenierung übernommen) der Rote Faden im Stück, der vor allem am Ende zu dick gerät. Da ist nun wirklich nicht der Totentanz komponiert, den Pilavachi zeigt und in den sich die Marschallin resigniert einreiht. Ebenso wenig hat das Vorspiel zum 1. Akt mit Altersproblemen der Marschallin zu tun – da ist die gerade verbrachte Liebesnacht noch deutlich zu hören. Auch der Sänger, überraschend im Programmheft „Allegorie der Zeit“ genannt, wird zum Opfer des Regie-Leitfadens. Man enthält ihm ein Rokoko-Kostüm vor, steckt ihn in einen Straßenanzug und drückt ihm Sense und Stundenglas in die Hand. Jacques Le Roux wirkt damit nicht eben glücklich, schließlich sagen Text und Musik ganz anderes. Das muss er nun einerseits bedeutungsschwer und andererseits mit der komponierten Italianità singen.

 

Zurück zum Opernglück: Was für ein Octavian! Katerina Hebelkovas samtener und strahlender Mezzo ist durchaus für viel größere Häuser geeignet! Sie hat Esprit, die Ausstrahlung eines Grafen, agiert klug und dabei bestens wortverständlich. Dies schafft Mari Moriya leider nicht annähernd, was vor allem bei den kecken Dialogen, z.B. mit Faninal („Sie heirat‘ ihn als Toter…“) zu bedauern ist. Sie ist eine zauberhafte Erscheinung und besitzt eine schöne klare Sopranstimme, doch scheint sie mir schon fast zu schwer für die Sophie zu sein. Dass sie dem erschrockenen Rofrano die rote Rose (die die Marschallin gegen die silberne ausgetauscht hat) quasi aus der Hand reißen muss, ist ein netter Einfall. Dass Ochs ungeschickt rückwärts in seinen eigenen, von Leopold gezogenen Säbel läuft, ebenso.

Ganz und gar fürs Herz: Aus „a Mohr“ wird Amor bzw. eine zauberhafte Amorette (Victoria Nagler), die am Ende lachend ihren Pfeil ins Publikum schießt.

Deutlich über dem Durchschnitt agierten und sangen Cheryl Lichter (Leitmetzerin), Stefan Heidemann (Faninal), verblüffend groß der Chor/Extrachor (Leitung: Georg Leopold), dessen Tumult im 3. Akt nur die Solotrompete aus dem Orchester übertönen konnte. Überraschend hoch auch die Zahl der Lerchenauer (ich habe 10 gezählt), deren Markenzeichen „Veilchen“ und sonstige Schmisse waren.

Dennis Russell Davies leitet das Bruckner Orchester Linz mit flüssigen Tempi. Einiges klang noch scharf und angestrengt, im 1. Aktschluss gelingt es Solovioline/Bratschen/Celli noch nicht, zu schweben. Manche musikalische Raffinesse kann auch erst richtig genossen werden, wenn deren Interpret es tut. Wie schön wäre auch ein wenig mehr an Leichtigkeit bei den Walzern, dieses „klein wenig zu viel“ glissando-selige Lässigkeit, dieser Tropfen Sekt - und etwas mehr Atem (des Dirigenten!) und Spannung für die Steigerung im Terzett des 3. Aktes. Für mein Empfinden unter zu hohem Tempo gelitten und dadurch an Wirkung verloren hat das wunderschöne, nach A-Dur führende Duett Octavian-Sophie im 2. Akt („Mit ihren Augen voll Tränen“). Dies und der eine oder andere Wackler zwischen Bühne und Graben schmälert nicht die Gesamtleistung von 3 h 23 min Strauss pur - das ist Hochleistungssport für ein Orchester!

Hoch zu würdigen und ein Genuss für das Auge ist die Leistung von Tatjana Ivschinas ästhetische und Rokoko-zeitgemäße prächtige Bühnen- und Kostümgestaltung.

Viel Applaus, besonders für Octavian, Ochs und die Marschallin.