Ein jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn. Dass der Verfasser des Jakobusbriefes irgendwie Recht hat mit seiner Mahnung, sieht wohl fast jeder ein. Selbst derjenige, der seinem Chef einmal nach einer kontroversen Diskussion den Rat gab, mal richtig auf den Tisch zu hauen, die Querulanten mit Macht in die Knie zu zwingen, damit ein für alle Mal Ruhe ist, sagte ihm später, dass er froh sei für seine Gelassenheit. Sonst wäre der Gesprächsfaden endgültig gerissen und das Klima nachhaltig vergiftet. Da könne keiner mehr mit dem anderen.

Langsam zum Zorn, rät Jakobus. Er meint nicht, du darfst überhaupt nicht zornig werden. Zorn schon, aber einen gemäßigten. Auch die Bibel erzählt, dass Zorn aufkommt in Beziehungen. Vielmals erzählt sie uns, dass selbst auch Gott zornig wurde, und zwar dann, wenn Menschen sich quer stellten zu ihm und mutwillig seinen Willen und seine Heilswege mit ihnen missachteten. Und auch Jesus wurde oft zornig. Wir denken da besonders an die Geschichte, als er die Geldwechsler aus dem Tempel trieb. Zorn gehört zum menschlichen Leben. Ihn gewaltsam zu unterdrücken, das führt zu psychischen Störungen.


Doch Zorn ist nicht gleich Zorn. Wir wissen: Wer seinem Zorn nicht sofort freien Lauf lässt, sieht die ganze Sache anschließend schon viel gelassener. Der Epheserbrief lenkt unseren Blick noch weiter. Er rät: Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen. (Eph 4,6). Damit wird uns der Grund angedeutet, weshalb es nur langsam zum Zorn kommen soll: Unser Zorn soll und darf unsere Mitmenschen nicht verletzen.

Ähnlich ist es mit unserem Reden. Da sollen wir ebenfalls langsam sein, und zwar aus demselben Grund. Worte können sehr verletzen. Ja, sie wirken manchmal zerstörerisch. Beziehungen gehen kaputt. Menschen leiden, wenn sie an den Pranger gestellt werden. Wir hören täglich vom Leid der Menschen, die z.B. in den sozialen Medien unmöglich gemacht und niedergemacht werden. Rufmord kann man dazu auch sagen. Das kann so weit gehen, dass Betroffene bis in den Tod getrieben werden. Weil Worte eine solche Wirkung entfalten können, warnt Jesus mehrfach scharf vor solchem Gebrauch der Worte. Nimm deine Zunge in Zucht, so ist seine eindringliche Mahnung zu verstehen.

Anders ist es mit dem Hören, bei dem wir schnell sein sollen. Dem anderen sollen wir unser Ohr leihen, ganz Ohr für ihn sein. Wir spüren ja selbst, wie wichtig das ist, wenn uns jemand durch sein Zuhören seine ganze Aufmerksamkeit schenkt. Wenn er mich nicht unterbricht, sondern mich ausreden lässt, mir nicht besserwisserisch über den Mund fährt und mir nicht das Wort abschneidet, so wie es heutzutage leider üblich ist, nicht nur in Talk-Shows. Menschen, die zuhören können, tun uns gut. Sie halten mich aus auch dann, wenn ich etwas sage, was nicht ihrer Meinung entspricht. Und wer mir gut zuhört, lässt mich auch nicht im Regen stehen. Wer also schnell zum Zuhören ist, dem ist derjenige, der etwas sagt, nicht gleichgültig, sondern er achtet ihn und zeigt an, dass er Anteil nehmen will an seinen Gedanken, an seinem Ergehen. Schnell zum Hören ist letztlich auch ein Akt der Nächstenliebe, in der Zorn und ein schnell daher gesagtes, verletzendes Wort keinen Platz haben.

Schnell zum Hören, langsam zum Reden und langsam zum Zorn. Sind das nicht Verhaltensweisen, die jeder vernünftige Mensch einsieht, so wie Ähnliches z. B. auch in der Weisheitsliteratur der Bibel steht, die uns ebenso gut einleuchten und nützlich erscheinen? Z. B. Sirach 5,11-13: Sei bereit zu hören, und gib deine Antwort mit Bedacht. Verstehst du etwas von der Sache, so antworte deinem Nächsten, wenn nicht, so halte deinen Mund. Reden bringt Ehre oder Schande, und seine Zunge bringt den Menschen zu Fall. Oder Kohelet 9,17: Der Weisen Worte, in Ruhe vernommen, sind besser als des Herrschers Schreien unter den Törichten. Die Frage, jetzt aber anders gestellt: Worauf hat es Jakobus, der uns unbekannte Schreiber dieses Briefes, darüber hinausgehend abgesehen? Die Antwort darauf ist nicht leicht zu finden in diesem Brief, den Martin Luther eine stroherne Epistel nannte, weil er keine evangelische Art an sich hat.[1] Sie ergibt sich aus dem etwas schwer verständlichen Vers 18, auf den die ganzen vorherigen Verse hinlaufen. Er ist im Übrigen eine Art Schlüssel zum Verständnis des gesamten Briefes. Dem Briefschreiber ging es, nur ganz kurz skizziert, darum, dass die Christen, denen doch die christliche Heilsbotschaft bekannt ist (d.i. das Wort der Wahrheit) und die Gott sich doch als sein Eigentum selbst geweiht hat und nun aus der Welt Herausgehobene sind, sich auch heilig halten müssen. Der Christ muss sich deshalb von der Welt abkehren, d.h., anders leben als die übrige Welt, damit sein Gottesverhältnis nicht zerbricht. Daraus folgt ein bestimmtes Ethos des Christen. Er wird daher vom Briefschreiber zu einem dementsprechenden Verhalten und zu Taten aufgefordert, damit er sein Heil nicht wieder verliert. Wir sehen das heute allerdings differenzierter als Jakobus, worauf ich hier jedoch nicht weiter eingehen will. Der Ton bei Jakobus liegt nicht darauf, ob Werke irgendwie heilsnotwendig sind, sondern darauf, dass für Christen die Gefahr besteht, in der Welt aufzugehen, so dass ihr Gottesverhältnis zerbricht und sie von Heiden nicht mehr unterscheidbar sind. Deswegen auch seine Mahnung, schnell zum Hören, langsam zum Reden und langsam zum Zorn zu sein, weil es in der Welt so nicht zugeht. Mahnungen, als Christ in der Welt auch als solcher zu leben, kennen wir auch von Luther, so z. B. in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“: Der Christ „soll sich nichts anderes vorstellen als das, was den anderen not ist, das heißt dann ein wahrhaftes Christenleben. Und da geht der Glaube mit Lust und Liebe ans Werk, wie der heilige Paulus die Galater lehrt.“[2]

Nächstenliebe praktizieren heißt die Aufgabe für einen Christen. Und seinen Nächsten zu lieben, d.h., sein Gutes zu wollen, zeigt sich auch daran, wie wir mit ihnen umgehen: nicht zornig und nicht mit Worten verletzend, sondern ihm zuhören, um seine Not, seine Probleme und sein Denken erkennen zu können. Deshalb: Ein jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn.

 

[1]      Vgl. Luthers Vorrede zum Neuen Testament, 1522: WA DB 6, 10,33-35.

[2]      WA 7, 34, 29-34.