Zürnt ihr, so sündigt nicht; sondern lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen (Eph 4,26).

Dass der Zorn des Menschen nicht generell verwerflich und schon Sünde ist, wissen wir alle. Die Bibel, so auch der Monatsspruch aus dem Epheserbrief, behauptet da nichts anderes. Und Martin Luther schrieb in seiner Genesisvorlesung über den Zorn so (WA 44, 493,34-36): „Der Zorn, wenn er maßvoll ist und in der Wahrheit bleibt und rechtmäßig ist, ist ein natürlicher Affekt, durch göttliche Fügung der Natur des Menschen eingepflanzt.“

Zornig werden wir, wenn wir mit Menschen oder auch wegen der Verhältnisse um uns herum unzufrieden sind, wenn nicht alles so ist, wie wir uns das vorstellen oder wir als richtig und gerecht empfinden. Wir erregen uns dann darüber und verschaffen unserem Ärger und unserer Unzufriedenheit Luft.
So wird unser Herz z.B. häufig zornig, wenn wir uns über liebloses Verhalten in der Verwandtschaft, unter Freunden, Kollegen und Nachbarn ärgern. Auch dort, wo die Würde des Menschen mit Füßen getreten wird – in der Gesellschaft, im Betrieb, in unserem Umfeld. Alle solche Konflikte können uns zornig machen.
Solchen Zorn brauchen wir nicht zu unterdrücken. Mal Dampf ablassen ist dann oft hilfreich, um einen Konflikt unter uns und in der Gesellschaft wirklich auch angehen und lösen zu können.
Dass Menschen beispielsweise deswegen, weil sie die Corona-Maßnahmen und die kommende Impfpflicht begründet ablehnen, voller Unmut und Ärger auf die Straße gehen und ihrem Herzen Luft machen, ist mehr als nur legitim. Auf diese Weise tragen sie mit dazu bei, dass Grundrechtseinschränkungen nicht ausufern können; dass also diesbezügliche Konflikte abgebaut und ausgeräumt werden können. Sich mal etwas Luft und Gehör zu verschaffen ist manchmal hilfreich, damit alle wieder frei atmen können. Aber...

Es gibt aber noch einen anderen Zorn als jenen zurechthelfenden Zorn, einen falschen Zorn. Er schädigt die Freundschaften und auch die Gemeinschaft oder zerstört sie gar. Er ist von Egoismus, Gier und Gewalt geprägt und äußert sich in einer aggressiven Haltung gegen den oder die anderen, die Mitmenschen.
Da werden, um beim obigen Beispiel zu bleiben, von Demonstranten und anderen zornigen Menschen völlig sinnlos Autos demoliert, Scheiben eingeschmissen, Feuerwerkskörper gezündet, Messer gegen Polizisten gezogen und wird zur Ermordung von Politikern angestachelt. Da wird mit hasserfüllten Worten so um sich geschmissen, dass sich die Atmosphäre unter uns vergiftet.

Die meisten Menschen wollen solche Verhältnisse nicht, in der andere Menschen zu Schaden kommen und die Würde der Menschen unter die Räder kommt – ob in unserer Verwandtschaft, Nachbarschaft oder im gesellschaftlichen Umfeld, weil es unser Zusammenleben erschwert oder gar zerstört und Unfrieden mit sich bringt. Obwohl viele Menschen das also nicht wollen, passiert es eben auch mal ihnen, dass ihnen vor lauter Zorn gegen andere der Kragen platzt. Dann heißt es: Der Mensch ist eben so, wie er ist. Wir müssen damit leben. Dagegen sagen wieder andere: Er kann aber was dagegen tun. Vor allem die großen Philosophen der alten Zeit präsentierten große ethische Entwürfe, ganze Tugendkataloge, die über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg galten und auch heute noch in den Werte- und Moralvorstellungen eine Rolle spielen. Manche gingen und gehen so weit zu sagen, dass der Mensch sich selbst durch die Einhaltung solcher Werte und Tugenden von solchen Untugenden befreien kann. Doch kann der Mensch aus seiner alten Haut heraus? Das ist eine Kernfrage der Menschheit. Kann er, um es zugespitzt zu sagen, seinen Zorn im Zaume behalten, so dass er seinem Mitmenschen nicht schadet?
Zürnt ihr, so sündigt nicht, heißt es im Monatsspruch. Es scheint, als würde der Verfasser des Epheserbriefes mit dieser Aufforderung diese Frage bejahen. Sind es also allgemeingültige moralische Werte, an die uns der Eph erinnert? Läuft also alles auf die Regel hinaus: Liebe Leute, seid nett zueinander!? Lehrt jedoch andererseits nicht auch die Erfah¬rung, dass sich dadurch nur sehr wenig oder überhaupt nichts ändert? Wir wissen aus der Bibel und aus anderen uralten Schriftquellen, dass die Menschheit immer schon mit der Einhaltung solcher Werte kämpfte.

Um auf diesen ganzen Fragenkomplex die richtige Antwort zu finden, bedenken wir, an wen der Epheserbrief gerichtet ist. Es werden Getaufte angesprochen. Sie gehören zu Christus, dem Auferstandenen. Von ihm sind sie angenommen, sind seine Schwestern und Brüder über den Tod hinaus, befreit schon jetzt von allen Fesseln des alten Lebens. Vorher war es ein Leben in Sünde zum Tod. Jetzt nun steht es in der Perspektive eines Lebens in vollem Sinn, d.h., hin zum ewigen Leben als „neue“ Menschen. Doch das soziale Verhalten des „alten“ Menschen muss noch von innen her überwunden werden. Dazu verhilft Gottes Geist. Er ändert den Menschen, wenn er das für sich will. So erneuert kann er auch sein soziales Verhalten nach dem Vorbild Christi ändern, nämlich in der Liebe zu Gott und zum Nächsten leben. Ohne die Hilfe durch Gottes Geist gelingt es dem Menschen nicht bzw. nur im Ansatz, von sich abzusehen und auf Gottes Willen hinzusehen. Daran erinnert der Epheserbrief auf seine Weise und legt den Christen ans Herz, nicht die Orientierung zu verlieren und nicht wieder zurückzufallen in ein Verhalten, bevor sie Christen wurden. Denn Gott will sie als „neue“ Menschen hin zum ewigen Leben führen, damit sie nicht wieder verloren gehen. Das alles gilt natürlich auch für uns Christen heute.

Im Blick auf den Zorn wird uns geraten: Zürnt ihr, so sündigt nicht; sondern lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen. Geraten wir in Zorn, so soll er nicht ausufern, indem Unfriede gesät und unseren Mitmenschen Gewalt angetan wird mit Worten oder gar Taten. Auch im Zorn sollen wir sie achten und lieben und alles daran setzen, dass die Sonne nicht über unserem Zorn untergeht. Das bedeutet ja nichts anderes, als dass wir uns spätestens am Abend mit unserem Streitgegner wieder versöhnen sollen. Manchmal ist das nicht möglich. Das weiß auch Paulus. Deshalb sagt er es so: Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden (Röm 12,18). Ja, es gibt Grenzen des Friedens. Aber ich soll alles daran setzen, diesen Frieden trotzdem zu leben. Und dazu dient auch, meinen Zorn so bald wie möglich abzulegen, in Gottes Hände zu übergeben. So kann er nicht weiterwirken und unser zwischenmenschliches Miteinander mehr und mehr vergiften. Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen. So lebt der „neue“ Mensch. Im Glauben an Christus kann er auch nicht anders.