Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod. (Hld 8,6)

Liebe ist stark wie der Tod. Brautpaare suchen sich oft diesen Spruch zu ihrer Trauung aus. Etliche von ihnen, so meine Erfahrungen aus Traugesprächen, haben ihn bewusst gewählt, weil ihre Liebe in den Zeiten davor ganz starken Belastungen ausgesetzt war, die Liebe zueinander trotzdem standgehalten hatte. Da muss doch die Liebe eine große Macht haben, eine, die dem Tod ähnelt. So ähnlich sagten es manche.
Wie auch immer. Alle wünschen sich, dass ihre Liebe alle Höhen, Tiefen und Krisen überdauern möge. Dass sie lebendig bleibt und immer wieder die Kraft entfalten möge zu gegenseitiger Anziehung, zur Vertrautheit und zur Geborgenheit, was auch immer kommen mag. Und am Ende des Lebens wünschen sich Menschen, dass etwas von der Liebe zueinander die Zeit überdauern kann und etwas spürbar bleibt von der Liebe, die man nach dem Tod des Geliebten schmerzlich vermisst.

Liebe ist stark wie der Tod. In der Tat ist es so: Liebe und Tod haben etwas Gemeinsames. Sie sind unwiderstehlich. Sie haben eine Macht in sich, der sich schließlich alle beugen müssen. Gegen den Tod anzukämpfen ist letztlich genauso aussichtslos wie der Liebe zu entgehen. „Liebe überwindet alles, und wir beugen uns ihrer Macht“, sagte auch Vergil (70 v. Chr – 19 n. Chr.).

Liebe ist stark wie der Tod. Dieser Satz stammt aus der Bibel, dem Hohelied. Das Hohelied ist eine Sammlung von erotischen Liebesgedichten.
Hin und wieder bin ich gefragt worden, warum solch eine rein profane Literatur, in der es von Anfang bis Ende um nichts anderes als um die Liebe zwischen Mann und Frau geht, in die Bibel aufgenommen wurde. In der damaligen Zeit gab es dafür jedoch Gründe, die allerdings dem heutigem Erkenntnisstand nicht mehr gerecht werden. Doch eines bleibt und ist wichtig: Das Hohelied ist geeignet, in der Christenheit das Wissen zu erhalten oder auch zurück zu gewinnen, dass die erotische Liebe weder etwas Dämonisches noch etwas Göttliches ist. Sie hat in der Begegnung von Mann und Frau ihren eigenen Ort in Gottes Schöpfung. So sieht es auch Paulus, der in 1 Kor 11,11f. schreibt: „Im Herrn ist weder die Frau ohne den Mann noch der Mann ohne die Frau; denn wie die Frau von dem Mann, so ist auch der Mann durch die Frau; aber alles von Gott.“ Nach göttlichem Willen sind Mann und Frau füreinander da und aufeinander angewiesen. Das schließt aus, dass einer von beiden nur die Übersteigerung des eigenen Lebens sucht und sie zum Selbstzweck wird. Sondern vielmehr soll es nach göttlichem Willen so sein, dass seine oder ihre Liebe darauf aus ist, gemeinsam glücklich zu sein. In solcher Liebe sind die Partner füreinander da mit allem Guten und Beglückenden, auch mit ihrer Sexualität.

Das erschließt sich uns auch aus der ersten Satzhälfte unseres Monatsspruches, wo die Frau den Mann bittet: Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Das bedeutet: Der Mann möge sie so wert halten wie seinen Siegelring, den er zur Beglaubigung von Urkunden an einer Schnur um den Hals trägt, so dass er auf seiner Brust ruht. Sie lechzt aus lauter Liebe zu ihm danach, dass er sie ebenso liebt und sie glücklich vereint sind. Liebe also, die gemeinsames Glück anstrebt und von beiden so gelebt wird. Solche Liebe, so sagt sie, ist stark wie der Tod.

Sie ist allerdings nicht stärker als der Tod. Denn der Tod macht es unmöglich, dass die Liebe vom Verstorbenen erwidert wird. Es bleiben nur die Erinnerungen an den Geliebten, die Geliebte. Sie werden gepflegt, denn in ihnen werden die vergangenen Liebes- und Glücksmomente lebendig, trösten, machen dankbar und helfen, nun auch ohne ihn oder sie den weiteren Lebensweg zu gehen und zu gestalten.

In Jesus Christus ist zu uns Menschen jedoch eine Liebe gekommen, die doch stärker ist als der Tod. Es ist die göttliche Liebe, über die wir im Johannesevangelium lesen: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ (Joh 3,16) Durch Jesus Christus, Gottes Sohn, sollen wir wissen: Bei Gott hat der Tod keine Macht. Seine Liebe ist stärker als der Tod. In ihr werden alle, die an Christus glauben, ins ewige Leben mit hineingenommen, das Christus, der Auferstandene, für uns bereithält. Da gibt es keinen Tod mehr.

Solche Liebe kann natürlich kein Mensch aufbringen. Aber wie sie unter uns Menschen wirksam werden will, das beschreibt der Apostel Paulus in seinem Hohelied der Liebe in 1 Kor 13: Sie ist langmütig, gütig, sie neidet nicht, tut nicht groß, bläht sich nicht auf, benimmt sich nicht unanständig, sucht nicht das Ihre, lässt sich nicht bitten, rechnet das Böse nicht an, freut sich nicht über Ungerechtigkeit, freut sich mit der Wahrheit, erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, erduldet alles. Sie wird nicht hinfällig, hört also niemals auf.
Können wir unsere Mitmenschen so lieben? Als Aufforderung zur richtigen Lebenshaltung, zum richtigen Handeln, überfordert uns das und kann sogar in unserem Unglück und einer Katastrophe enden. Paulus fordert hier jedoch nicht zu solcher Liebe auf, sondern er spricht von der göttlichen Liebe, die er allerdings als Triebkraft zur richtigen Lebenshaltung unter uns Menschen versteht.
Die göttliche Liebe, sie offenbart sich in der Welt im Gegensatz zur Darstellung unserer eigenen Liebe also auf leisen Sohlen. Sie bleibt leicht unbemerkt. Denn sie achtet nicht auf sich selbst. Gott hat die Welt geliebt (Joh 3,16) und nicht sich selbst. Und sie hört niemals auf. Auch wenn sie die Grenzen bis zum Äußersten des Menschlichen überschreitet, verliert sie sich nicht und geht nicht unter.

Liebe ist stark wie der Tod. Oder nun durch Jesus Christus: Die Liebe ist stärker als der Tod. Auf jeden Fall ist die Liebe, die zwischen göttlicher Liebe und menschlicher Liebe sich bewegt, die unwiderstehliche Suche und das Begehren des anderen und zugleich die Hingabe an ihn. Sie kommt mit einer ganz elementaren, unwiderstehlichen Gewalt über den Menschen wie der Tod.