Im Jahr 2017 soll uns als Losung das Wort des Propheten Ezechiel begleiten: Gott spricht: Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben. (Ez 36,26).
Kaum jemand unter uns wünscht sich nicht, dass unter uns ein neuer Geist herrsche und die Menschen liebevoller miteinander umgehen. Viele klagen: „Die Welt ist aus den Fugen geraten.“ Sie haben Angst, weil so viel Schreckliches und Bedrohliches passiert in unserem Land und in der ganzen Welt. Die Zeiten des relativ friedlichen Zuammenlebens nach der Auflösung der Ost-Westblöcke und ihrer politischen Regime sind Geschichte. Der Frieden ist in weiten Teilen der Welt bedroht. Und in unserem Land wie in vielen anderen gehen Risse durch die Gesellschaft. Viele sind unzufrieden mit Entscheidungen der Politik und Wirtschaft, fühlen sich benachteiligt und in ihrem täglichen Leben mit all den Schwierigkeiten oft nicht mehr wahrgenommen und zudem nun nach den Terroranschlägen und anderen Übergriffen nicht mehr sicher. Hass und Hetze, bewusste Falschmeldungen und Verletzung der persönlichen Würde über das Internet, dies und vieles andere drohen das Klima im Land zu vergiften.


„Was ist nur in die Menschen gefahren!“ Das hören wir in dieser Zeit öfters. Und: „So kann es doch nicht weitergehen. Wo soll das noch enden?“ In der politischen Diskussion und auch von so manchem Kirchenrepräsentanten hören wir immer wieder: Die Menschen sollen sich auf Werte besinnen, die dem Wohle aller dienen, und so leben. Wir sollen uns auf das besinnen, was dem Wohl, dem Frieden und dem Glück der einzelnen dient, und dann für unsere Demokratie mit den Grundwerten Freiheit und Würde des Menschen immer wieder eintreten. Ich halte dies für richtig und wichtig, so kompliziert und langwierig sich das auch gestalten lässt.
Ob sich dadurch kalt gewordene Herzen aber wirklich erwärmen lassen? Und ob dem Geist des Egoismus, der Herrschsucht, die nur den eigenen Interessen dient, der Gier, der Lieblosigkeit, der Verwirrung, Verblendung und Verführung der Menschen – es ist ein wahrhaft teuflischer Geist -, ob dem auf diese Weise wirklich wirksam beizukommen ist? Oder auch anders gefragt: Verändern solche Appelle unser Verhalten tatsächlich grundlegend, wo doch Appelle grundsätzlich zu keinen tiefgreifenden Veränderungen führen können und in manchen Fällen „gut gemeinte“ Ratschläge sogar schädlich sind[1]?

Mir sind all diese Gedanken durch den Kopf gegangen, als ich mich mit der Jahreslosung auseinanderzusetzen begann. Und bei manch anderem hat sie ähnliches ausgelöst - diese Rede von einem neuen Herz und einem neuen Geist. Doch was meint der Prophet eigentlich damit? Wir können es so auf den Punkt bringen: eine Veränderung des Willens und der Gesamtverfassung der Menschen. Beides ist – das werden nur wenige infrage stellen –dringend nötig für Frieden im Land und in der Welt, für Solidarität mit denen, denen es nicht so gut geht, für das Wohl aller Menschen und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.
Doch gegenüber den Appellen ist nun das wahrhaft andere am Prophetenwort, dass die Veränderung, die Erneuerung von außen kommt, nicht ein Produkt menschlicher Willenskräfte ist. Sondern er, Gott, gibt sie. Ezechiel mit all den damals vor etwa 2.600 Jahren aus Juda ins babylonische Exil Verbannten ist sich im Klaren, dass menschlicher Verstand, auf sich allein gestellt, nicht zu einer grundlegenden Veränderung des Verhaltens der Menschen führt – sowohl in der Beziehung zu Gott als auch in den Beziehungen zu den Mitmenschen und zur ganzen Schöpfung. Genau das lehrten ihnen die uralten Erfahrungen ihres Volkes Israel mit seinem Gott. Von daher bekamen sie jetzt, mitten im Exil, durch dieses Wort Gottes, vom Propheten verkündet, wieder eine begründete Hoffnung und eröffnete eine neue Zukunft. Denn Menschen, mit einem neuen Herz und einem neuen Geist beschenkt, können die alten, unheilvollen Verhältnisse überwinden. Ihnen steht nun ein neuer Raum offen, in dem sie ihr Leben anders, besser, freundlicher, friedlicher zum eigenen und zum Wohle aller gestalten können.

Gott gibt ein neues Herz und einen neuen Geist. Dieses befreiende, erlösende Geschehen hat einen schöpferischen Charakter. Es verändert uns zu solchen Menschen, die wir nach Gottes Willen sein sollen.

Das gibt Gott. Wir brauchen nichts dafür zu tun. Der neue Lebensraum ist da, steht uns offen.
Doch wie gelangen wir in ihn hinein bzw. wie geschieht unsere Erneuerung? Nun, es ist nichts weiter nötig, als Gott zu vertrauen, sich auf sein Wort und seine Zusage zu verlassen. Sie künden von dem neuen Menschen, der wir im Glauben, im Vertrauen auf ihn werden. Solche Worte finden wir in der Bibel. Z.B.: Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein (Ps 126,1f). Oder in bildhafter Rede: Gott spricht: Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Man soll … nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens. Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht. Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen... Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören. Wolf und Lamm sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR (Jes 65,17ff).
Inmitten einer Welt voller kalter Herzen und menschlicher Willenskräfte, die Leben erschweren oder zu zerstören versuchen, oder auch anders gesagt, inmitten einer Welt voller Unempfindlichkeit gegenüber Gott und den Mitmenschen werden mir neue Lebensperspektiven und damit neue Lebensräume eröffnet oder wieder neu eröffnet, und zwar im Hören und Vertrauen auf Gott. Dann leuchtet es in mir auf wie ein Licht in der Finsternis, erwärmt mich mit göttlicher Liebe und durchflutet mein Leben. Die Sorge, im Leben zu kurz zu kommen, die Angst um mein Leben und die Hoffnungslosigkeit mit allem, was das nach sich zieht, z.B. Egoismus, Lieblosigkeit, Streben nach Macht, Gier und Habsucht – all das wird seine beherrschende Macht verlieren. Im Hören auf sein Wort und im Vertrauen auf ihn werde ich wieder zu Gottes Partner. Als solcher ist mir sein Wille nicht egal. Sondern ich werde immer wieder neu fragen und dann erkennen, was zu tun ist zur Erhaltung seiner Schöpfung und insbesondere an Gutem für die Menschen. Denn als erneuerter Mensch kann ich deutlicher erkennen, was dem Heil, dem Frieden und dem Wohl aller dient und was ihm schadet. Und im Nachdenken darüber weiß ich wohl, wofür und in welcher Weise ich mich konkret einsetzen kann und wogegen ich mich erheben muss – in meinem Umfeld, in meinem Freundeskreis, im Ort, an meinem Arbeitsplatz, in den Vereinen, in der Kirche, in der Politik und in der Gesellschaft.

Gott gibt ein neues Herz und einen neuen Geist. Er gibt damit für uns alle neue Perspektiven zum Leben. Er eröffnet so neue Lebensräume, damit wir das Leben, das er für dich und mich und alle Menschen will, auch gestalten können – ein Leben in Freiheit und Achtung der Würde eines jeden Menschen, ein Leben, in dem keiner zu kurz kommt, ein Leben in Liebe zu Gott und zum Nächsten.

 


[1]      Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden 1 – Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation. Rowohlt, Reinbek, 1981, S. 209ff.