(Text Jes 11,1-10 verlesen)

Liebe Gemeinde!
Nicht wahr, diese Bilder sprechen uns besonders in der Weihnachtszeit an. Bilder von einer friedvollen Welt, einer Welt voller Glück und Harmonie. Mancher von uns sehnt sich gerade in diesem Jahr danach, wo doch durch die Corona-Pandemie vieles nicht mehr so ist wie vorher – trostloser, heilloser. Selbst die sonst gewohnte Weihnachtsstimmung will sich deshalb nicht einstellen. Doch vielleicht ist dadurch bei manchem die Sehnsucht nach einer solchen Welt stärker geworden. Die Sehnsucht nach einem Leben ohne Angst davor, dass Krankheitserreger wie Corona und Krebs uns oder anderen Menschen und auch Tieren etwas antun könnten. Die Sehnsucht nach einem Leben ohne jeglichen Mangel und Not, ohne Benachteiligung, ohne Unterdrückung, ohne Verletzung der Würde des Menschen, ohne Gewalt, sondern voller Frieden und Glück. Ja, solche Sehnsuchtsbilder haben wir, auch wenn unser Verstand sagt, dass es wohl ein utopischer Traum bleibt. Aber träumen darf man ja, gerade zu Weihnachten, auch wenn die Realitäten in unserer Welt seit Menschengedenken hart dagegen stehen.

Und träumen soll man sie, solche Zukunftsträume. Das ist nicht sinnlos. Denn wenn wir ihnen nachgehen, so entfalten sie Kräfte in uns zu Veränderungen, und das selbst dort, wo es so aussieht, als wären irgendwelche Notwendigkeiten und Zwänge alternativlos – wie es heute so oft heißt -, oder wo es aussichtlos und vergeblich erscheint. Zukunftsträume, Visionen bringen etwas in Bewegung, auch wenn das visionäre Ziel letztlich nur bruchstückhaft und gänzlich unvollkommen erreicht wird.

Viele kennen Martin Luther Kings Rede im Jahr 1963 in Washington über seinen Traum, dass Erwachsene und Kinder aller Rassen und Religionen gleichberechtigt und friedlich miteinander aufwachsen und leben. Der Traum wuchs zu einer Bewegung an, die bewirkte, dass in den Jahren danach die Rassentrennungs- und Diskriminierungsgesetze in den USA aufgehoben wurden.

Jesajas Visionen können ebenso Kräfte zu Veränderungen entfalten. Visionen können uns nämlich stimulieren und motivieren, uns überall dort, wo wir leben und arbeiten, einzusetzen für ein gerechtes und friedvolles Zusammenleben, und für die Achtung der Würde eines jeden Menschenlebens. Sie können unsere Bereitschaft wecken, gegen Elend, Hunger und Armut etwas zu tun und ebenso für den Weltfrieden und die Bewahrung der Schöpfung.

Jesaja hat den ganzheitlichen Frieden und die vollkommene Gerechtigkeit vor Augen, einen Endzustand mit paradiesischen Verhältnissen, wie wir Menschen sie selbst bei bestem Willen und größtem Einsatz nie schaffen können. Jesaja macht die totale Verwirklichung seiner Vision an einem göttlichen Zukunftsherrscher fest. Hunderte Jahre später verkündeten Engel seine Ankunft in unserer Welt mit der Weihnachtsbotschaft: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ Und: „Friede auf Erden.“

Ein neuer Mann bringt eine neue Ordnung für die ganze Welt und uns Menschen. Darauf wollen die verschiedenen Bilder, die Jesaja benutzt, im Endeffekt hinweisen. Der Zukunftsherrscher ist mit dem Geist Gottes ausgerüstet. Er ist deshalb in der Lage, in einer bisher nie dagewesenen Weise Frieden und Gerechtigkeit zu verwirklichen. Macht und Gewalt, Täuschung und List haben dabei ausgedient. Allein mit dem Wort schafft er das, so dass nahezu paradiesische Verhältnisse eintreten. Frieden zwischen allen Geschöpfen. Kein „Fressen-und-gefressen-Werden“ mehr. Keine Arglist, kein Misstrauen unter uns. Keine Angst in uns, weil es nichts und niemanden mehr gibt, was bedrohlich werden könnte. Ungestörtes, glückseliges Zusammenleben mit Gott und mit unseren Mitmenschen. Mit anderen Worten: Keine Sünde mehr unter uns. Wir Menschen – totalerneuert und in unmittelbarer Vertrautheit mit Gott. Das alles ist es, was Gott uns verspricht: Er will die Welt zu einer Welt des totalen Friedens umschaffen.

Sind wir da nicht doch wieder bei einem utopischen Traum? Nein, denn was dem Menschen unmöglich ist, ist bei Gott Wirklichkeit, auch wenn wir noch heute auf seine Vollendung warten. Gott hat nichts davon zurückgenommen. Seine Verheißung bleibt.
Ja, sie hat bereits begonnen – mit dem in Bethlehem geborenen Kind. Der Zukunftsherrscher kommt allerdings arm, schwach, wehrlos und niedrig in unsere Welt - anders, als es sich Jesaja gedacht hatte. Seine göttliche Kraft und Herrlichkeit, die die Engel den Hirten auf dem Felde verkündeten, ist noch ganz verborgen. Davon wird erst etwas sichtbar, als er mit seinen Anhängern durchs Land zog mit der frohen Botschaft: Gott selbst wird die unseligen Verhältnisse in der Welt beenden und die verlorenen Menschen und die verlorene Welt total erneuern, weil er euch liebt. Und mit mir, Jesus, beginnt das bereits schon jetzt.

Mit seinen machtvollen Taten, seinen Wundern, zeigte er, wie sich die Dinge ändern, wenn Gott Menschen und die Welt total erneuert: Frieden und Gerechtigkeit werden einziehen. Wir Menschen werden heil. Keine Sünde, kein Frevel mehr unter uns. Nichts Störendes mehr zwischen Gott und uns. Leben ganz aus ihm – ewiges Leben, das nicht mehr vom Tode bedroht ist, denn er selbst hat durch Kreuz und Auferstehung dem Tod die Macht genommen. Kein Traum, sondern Gottes Zusage. Mit Weihnachten hat die Erfüllung begonnen – für uns alle. Lasst euch deshalb im Leben wie im Sterben ganz und gar von diesem Jesus Christus bestimmen. Er ist es, „der Heil und Leben mit sich bringt“ inmitten einer Welt, die von Ungerechtigkeit, Unfriede, Elend und Heillosigkeit durchzogen ist. Das Kind im Trog, in der Krippe gibt uns Menschen unsere Würde wieder, auch in unmenschlichen und unwürdigen Verhältnissen Mensch zu sein. Das macht glücklich und froh. Unzählige Christen können erzählen, wie sich ihr Leben durch den Glauben an Jesus Christus bereits heute verändert hat und sie gewiss sind, dass Gottes Zusage kein frommer Traum bleibt. Er wird seine Schöpfung vollenden, in der sie in Heil, Frieden, Gerechtigkeit als neue Men-schen auf ewig geborgen sein werden.

Liebe Gemeinde, in dem Kind in der Krippe in Bethlehem erkennen und glauben wir den, den Gott gesandt hat, um die Welt zu erneuern, um den tot geglaubten Baumstumpf, um im Bild von Jesaja zu bleiben, zu neuem Leben zu verhelfen. Denn in ihm kommt Gott selbst.
Unser Leben hat also Sinn, trotz allem Widerwärtigen, das uns immer wieder umgibt. Gott hat sich uns Menschen in Jesus Christus zugewandt. Als Gerechter und Friedensbringer überwindet er, was uns voneinander und von Gott trennt. Deshalb feiern wir Weihnachten, damit wir auf dem Wege bleiben zu der neuen Welt, die uns von Gott schon entgegenkommt – allem Augenschein zum Trotz.

Mit dieser Zusage Gottes ist und bleibt Weihnachten der Stachel im Fleisch unserer Wirklichkeit mit ihren festgefahrenen Strukturen und scheinbaren Sachzwängen. Denn Weihnachten hält die Sehnsucht, den Traum in uns wach, dass es schließlich nur noch die andere, die neue Welt geben wird. Weihnachten heißt: Lasst euch nicht einreden, dass alles so bleiben muss, wie es ist – die Gesellschaft, die Verhältnisse, die Menschen, die Not, das Elend und Leid. Mit Weihnachten hat die Zukunft Gottes mit uns längst schon begonnen.
Amen.