Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. Ein schöner Spruch Jesu für alle Tage im neuen Jahr. Er verheißt Freundlichkeit, Licht und Wärme, Hilfe und Geborgenheit. Zu ihm sollen besonders kommen die Mühseligen und Beladenen. Denn er will sie erquicken, wie wir im Matthäusevangelium lesen (Mt 11,28). Schön, dass der Spruch uns nun das ganze Jahr 2022 begleitet. Jesus lädt sie alle ein. Keinen wird er abweisen. Ja, das verspricht er.
So möchten und sollen wir als seine Kirche auch sein: offen und einladend für alle. Und wenn sich Menschen für Jesus interessieren – auch und gerade diejenigen, die wir sonst im kirchlichen Bereich kaum sehen – dann sind wir sehr erfreut und hoffen, dass der Weg dieser Leute einmal im Glauben endet. Für viele ist das, was wir in der Kirche im Namen Jesu machen, ja nicht ganz uninteressant. Etliche kommen quasi als Zaungäste – nicht zu nah, sondern mit einer gewissen Distanz zu uns. Besonders nahe aber kommen sie zu musikalischen Veranstaltungen. Schön, wenn unsere Einladungen an sie, auch unsere Gemeindeveranstaltungen zu besuchen, angenommen werden. Ansonsten aber halten sie sich oft sehr zurück. Dafür gibt es sehr viele Gründe. Manche z.B. verspüren eine gewisse Fremdheit bei dem, was wir da in unseren Gottesdiensten und sonstigen Veranstaltungen tun und möchten sich nur schwer auf das einlassen, was ihnen da begegnet. Manche haben auch abstoßende oder gar verletzende Erfahrungen mit Pfarrern, Pastorinnen, kirchlichen Mitarbeitern, Kirchenältesten, sonstigen Ehrenamtliche, mit der Kirche generell gemacht. So sagte mit einmal ein Mann, der mit viel Freude seiner Tochter beim Erstellen von Kulissen in der Kirche half und den ich dabei als kenntnisreichen Christ wahrnahm, dass er gern in der Gemeinde aktiv mitarbeiten würde. Aber alles werde dominiert von einer Handvoll Leuten, die seit vielen Jahren der ganzen Arbeit ihren eigenen Stempel aufdrückten und nichts anderes zuließen. „Wer sich da nicht unter- und einordnet, ist eigentlich draußen, auch wenn er noch so sehr in der Gemeinde mitmacht. Das vergrault einen jeden.“ Tja, das ist nicht einladend und freundlich – und leider auch kein Einzelfall.

Wie wirken wir als Jesu Schwestern und Brüder, als Glieder am Leib Christi, auf unsere Mitmenschen? Das ist eine Frage, die wir uns eigentlich immer stellen sollen, um Menschen zum Glauben zu gewinnen. Wir gewinnen sie nicht, wenn wir nicht einladend wirken. Dann klafft unsere Haltung gegenüber ihnen und der frohen Botschaft, die wir verkünden, auseinander. Dann sind wir mit dem, was wir sagen und was wir tun, nicht glaubwürdig. Und das wirkt gerade nicht einladend.

Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. So lädt Jesus ein, damit Menschen zum Glauben kommen können. In seiner Nachfolge sollen wir es ihm gleich tun: Türen unserer Kirchen öffnen, sie zum Eintreten bewegen, sie zum Mitmachen ermuntern, ihnen zeigen, dass wir offen sind für alle und jeder bei uns Hilfe findet.
In den Zeiten der Corona-Pandemie, die wir nun seit 2 Jahren erleben, ist das alles andere als einfach. Durch die notwendigen Kontaktbeschränkungen ist es schwerer geworden, Menschen einzuladen und zum Kommen zu bewegen. Die meisten bleiben verständlicherweise fern. Da ziehen auch die sehr kreativen und oft sehr aufwendigen Angebote nicht sonderlich – selbst wenn sie über die Medien und digital in die Wohnstuben erfolgen. Der Verlust an Gemeinschaft untereinander– ohne sie ist kirchliches Leben nicht möglich – erschwert es sehr, Menschen so einzuladen, dass sie den Weg zu Jesus Christus finden, zumal wenn mitunter sogar strenge Zugangsbeschränkungen ergriffen werden müssen. Das ist alles andere als einladend. Dass wir das in einer immer wieder neuen Art und Weise abmildern müssen, bleibt eine ständige Aufgabe, solange es Corona als Pandemie unter uns gibt. So hoffen und beten wir auch aus diesem Grund, dass die Pandemie in diesem Jahr ihr Ende finden möge und wir zu annähender Normalität zurückfinden können.
Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. Das ist eine bleibende Aufgabe für uns als Kirche und für jeden einzelnen, der in der Nachfolge Christi steht.

Dem griechischen Urtext dieses Satzes Jesu entspricht jedoch die Übersetzung in unserer Lutherbibel viel besser. Dort lautet der zweite Halbsatz: „ , den werde ich nicht hinausstoßen.“ Und wenn wir berücksichtigen, dass im Johannnesevangelium unter „dem Kommen zu Jesus“ „der Glaube an ihn“ zu verstehen ist, und zwar immer dann, wenn das Kommen nicht im wörtlichen, sondern im übertragenen Sinn gebraucht wird, so gibt Jesus hier den Seinen eine gewiss machende Zusage. Den Satz Jesu könnten wir dann wiedergeben mit: „Wer an mich glaubt, den werde ich niemals hinausstoßen.“
Im Blick auf die, die an ihn und seine Botschaft glauben, also sich von ihm in ihrem Dasein bestimmen lassen, geht es nun nicht mehr nur um das Einladen zu ihm, sondern um die feste Zusicherung an sie selbst, dass er sie niemals dem Verderben preisgeben wird. Er wird sie auf keinen Fall aus der Gemeinschaft mit ihm und dem Vater hinausstoßen, mag kommen was will.
Jesus sagte das einmal ähnlich, aber zu einer anderen Gelegenheit und mit anderen Worten: Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt; und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe… Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Was mir mein Vater gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann es aus des Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind eins. (Joh 10, 14.27-30).
Wir Christen sind, das sichert Jesus zu, nicht von Gott Verlassene, auch wenn wir uns manchmal verlassen vorkommen - auch im neuen Jahr. Da werden Zeiten kommen, die uns nicht gefallen: Ungerechtigkeit und Unfriede in unserem engsten Umfeld bis in die große Weltpolitik hinein. Krankheiten, die uns zusetzen. Leid, das über uns kommt. Kirchliches Leben, das hier und da immer mehr austrocknet. Wir werden hier und da ins Zweifeln geraten. Wir zweifeln dann an Gottes Güte und Liebe, zweifeln, dass er es dennoch gut mit uns meint und fragen vielleicht: „Warum geht es uns so, als gäbe es Gott nicht?“
Dieser Tage hatte ich ein sehr langes Gespräch mit einer ehemaligen Kirchenältesten. Sie klagte, darüber, dass die kirchlichen Angebote in ihrer Kleinstadt so sehr ausgedünnt sind. Selbst Gottesdienste werden weniger gehalten und seien obendrein sehr kurz. Und sie könne selten etwas für sich „mit nach Hause nehmen“. Anderen gehe es offensichtlich ähnlich. So bleiben viele weg. Schließlich sei keine lebendige Gemeinschaft mehr erlebbar. Das sei jedoch nicht erst mit Corona gekommen, sondern durch die Pandemie nur verstärkt worden. Dann: Sie habe einen solchen Hunger und einen solchen Durst nach Gemeinschaft mit anderen Christen und vor allem nach dem Evangelium, nach Worten Christi. Sie brauche solche Worte, die trösten und aufbauen, die Mut machen, Hoffnung vermitteln und gewiss machen, dass sie nicht verloren ist, sondern Christus sie dennoch begleitet bis ins ewige Leben hinein. Aufgegeben habe sie allerdings, von der Kirche mit ihrem ständigen Abbau von Mitarbeiterstellen vor allem im Verkündigungsdienst, Besserung zu erwarten. Und vom Pfarrer vor Ort und den Kirchenältesten kämen auch kaum Impulse, um diese negativen Auswirkungen abzufedern. Wir haben dann einige praktische Möglichkeiten erörtert, was sie selbst dagegen tun könnte. Allerdings weiß ich auch, dass sie längst nicht die einzige ist, die so oder so ähnlich darunter leidet.

Ihr und uns allen, die wir auch im neuen Jahr sicherlich hin und wieder in irgendeiner Weise an der Liebe und Güte Gottes zweifeln werden, hilft da nur heraus, uns an der Zusage Jesu festzuhalten, wie sie uns mit der Jahreslosung in Erinnerung gerufen wird. Denn der, der das verspricht, sagt zwei Verse vorher die Worte: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. Er gibt alles zu unserem Heil. Er gab sich sogar selbst für uns hin durch Kreuz und Auferstehung, damit wir das Leben haben, das in der Ewigkeit vollendet wird.

Das Gleiche gilt in Bezug auf unsere Schwachheit im Leben als Christen. Auch im neuen Jahr werden wir trotz guter Vorsätze als Christen versagen: Mangelnde Liebe zu Gott. Selbstgerechtigkeit und Egoismus, durch die wir andere verletzen oder ihnen Schaden zufügen. Taten der Nächstenliebe, die wir unterlassen. Hilfe, die wir verweigern. Stumm bleiben anstatt durchs Evangelium zu trösten, den Glauben zu stärken, neuen Sinn und neue Hoffnung zu wecken.
Martin Luthers Gedanken dazu in einer Wochenpredigt am 10.12.1530 zu diesem Vers (WA 33, 68,36-69,9): „Er (Christus) hat Vergebung der Sünden, und Christus wirft ihn (den Sünder) nicht so balde (= so leicht) weg. Wer einmal zu mir kommt, so er glaubet, so will ich also mit ihm handeln, dass, obgleich er ins Straucheln kommt, wie denn die Sünde an den Christen im Fleisch bleibet als böse Zuneigung, …, so soll´s ihm nicht schaden, das ist (= das bedeutet): die Sünde im Fleisch soll nicht über euch herrschen, denn (Röm 8,1): ,es ist nicht Verdammliches an denen, die Jesu Christo eingeleibet sind‘, obwohl sie noch nicht gar rein sein noch das Fleisch an ihnen getötet.“ (Text sprachlich leicht der Gegenwartssprache angeglichen, Text in Klammern Erläuterungen von mir)

So weit reicht die Liebe Christi! Er vergibt, wo wir schuldig geworden sind. Wir bleiben in seiner Gemeinschaft – auch als schuldig Gewordene. Er gibt uns nicht auf und gibt uns auch nicht dem Verderben preis. Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen, beziehungsweise, wer an mich glaubt, den werde ich niemals hinausstoßen. Mit diesen Worten Jesu können wir zuversichtlich ins neue Jahr gehen.