Fast immer bieten Operninszenierungen in Erfurt viel für das Auge. Dazu musste Regisseur Markus Weckesser, seit 2012/13 Regieassistent und Abendspielleiter im Haus, die Möglichkeiten des großen Bühnenraumes und seiner modernen Technik nicht einmal nutzen! Er holt die Oper fast ins Publikum. Dazu wurde der Orchestergraben ca. 1/3 überbaut und aus der neu gewonnenen Spielfläche mit wenigen Tischen und Stühlen der Ort für die „Händel“ von Hans und Marie, Kruschina und Ludmila, Micha und Agnes und natürlich Kezal gestaltet. Zum Greifen nah sind sie uns und da der Zuschauerraum im 1. und 2. Akt nicht abgedunkelt wird, fühlen wir uns als Gäste in der Schänke.

Ein riesiges Scheunentor hinter dem Proszenium gibt den Blick frei; in die Bühnentiefe führt eine idyllische Dorfstraße mit Bank unterm Apfelbaum und Kornfeldern am Straßenrand. Oder trügt die Idylle?


Wenn sich nach der von Zoi Tsokanou, seit 2014/15 2. Kapellmeisterin am Theater Erfurt, mit schönen Steigerungen gestalteten Ouvertüre der Vorhang öffnet, huscht ein kleiner Junge mit einer Gans im Arm über die Bühne, die er offensichtlich vor dem Geschlachtetwerden schützen will. Meine Sympathie hat er und die Sache wird ihre Fortsetzung haben, aber zunächst lenkt der Chor (Einstudierung Andreas Ketelhut) in wunderbaren folkloristischen Kostümen (Mila van Daag) die Aufmerksamkeit auf sich.

Doch statt des erwarteten „Seht am Strauch die Knospen springen, hört die munter‘n Vögel singen...“ höre ich „Warum sollten wir nicht singen, wenn uns Gott Gesundheit gibt, Freude gibt...“. Der erste Eindruck bestätigt sich am Ende: Die Übersetzung von Winfried Höntsch und Carl Riha irritiert, sie hat ihre Stärken in den gesprochenen Dialogen, aber in Chören und Arien klingt für mich manches sehr sperrig. Ich gestehe, dass ich aufgeatmet habe, als Florian Kontschak, ein junger Bassist aus dem Ensemble des Theaters Nordhausen, als Kezal im Duett mit Hans im 2. Akt bei dem Text der mir vertrauten Übersetzung des Brahms-Freundes Max Kalbeck blieb. Sie hat Poesie, wortgetreu, auch nur sinngetreu ist sie, zugegeben, nicht. Warum die m.W. bisher nur unter Nikolaus Harnoncourts Produktion (Styriarte 2011, Regie Philipp Harnoncourt) verwendete Übersetzung von Emanuel Züngel, die Smetana selbst hat anfertigen lassen und in seine handschriftliche Originalpartitur mit roter Tinte eintrug, nicht verwendet wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.


Dem Auge ging es an diesem Abend besser als dem Ohr.

Ob es an dem überbauten Orchestergraben lag oder an den nach vorn geholten Sängern, deren Lautstärke sich dadurch potenzierte: das „laute Holz“ (franz. Übersetzung von Oboe!) war häufig nicht laut genug, um sich auf Ohrenhöhe mit den Sängern zu behaupten. Viele schöne Farben der Holzbläser gingen unter, bestimmt nicht nur wegen der einfachen Besetzung in den Stimmen. Schade, die 2. Kapellmeisterin versteht sich nämlich auf klare Zeichengebung (auch wenn noch nicht immer alles zusammen ging) und leidenschaftliche Tempi (manche fielen wegen der sperrigen Übersetzung allerdings gebremst aus).

Gerade bei den starken Stimmen des wirklich bildhübschen Paares Marie (Margrethe Fredheim) und Hans (Thomas Paul) zog das Orchester des Öfteren den Kürzeren. Was die Norwegerin und der Österreicher, der von 2012-15 dem Ensemble der Volksoper Wien angehörte, stimmlich und darstellerisch bieten, war freilich große Klasse!

„Die verkaufte Braut“ ist ein Stück über Schicksale, das zugleich heiter und zugleich sehr tiefgehend ist. Hans nimmt in Kauf, als Verräter zu erscheinen, um seine höheren, ehrenhaften Ziele zu erreichen. „Hans verkauft seine Braut, aber er liefert sie nicht“ (Max Brod, in: Die verkaufte Braut. Der abenteuerliche Lebensroman des Textdichters Karel Sabina“).

Die Regie steht freilich überdeutlich an der Seite von Wenzel (stimmlich und darstellerisch hervorragend Julian Freibott, Jahrgang 1990), der zu Beginn des 3. Aktes träumen darf. In einer musikalisch mit dem Anfang der Tondichtung „Die Moldau“ unterlegten Traumsequenz wird er zum Helden, Siegfried gleich, mit Schwert, begegnet in einer surreal beleuchteten Szene Pferden, schönen Frauen und einem Kürbis, dessen Gesicht fatal dem des Mondes in der aktuellen Wiener „Hänsel und Gretel“ Inszenierung gleicht. So „sparte“ man geschickt die Wanderzirkus-Szene ein, ohne auf Esmeralda (glamourös kostümiert Emma Moore vom Thüringer Opernstudio) und den Prinzipal (KS Jörg Rathmann) gänzlich verzichten zu müssen. Die Regie nimmt sich diesbezüglich später selbst auf die Schippe, wenn quasi mitten im Finale eine kleine Zirkustruppe (mit Bär!) über die Bühne zieht, „wir sind der gestrichene Zirkus“ skandierend.

Und wie geht es der Gans? Nicht gut! Im 2. Akt geschlachtet (Junge heult), gerupft, gestopft (Dank an die Frauen von der Statisterie, das sah sehr fachmännisch aus), wird sie nach dem Segen, den Micha seinem „verlorenen“ Sohn Hans erteilt, fertig gebraten den Eltern des glücklichen Paares (sämtlich rollendeckend Juri Batukov/Kruschina, Stéphanie Müther/Ludmila, Vazgen Gazaryan/Micha und Astrid Thelemann/Agnes) serviert.

Bei Wenzel aber hat der Traum Spuren hinterlassen. Er flieht aus der dörflichen Enge und springt in die Freiheit.