„Ein Wunder! Ein Wunder! Ein Wunder ist gekommen…“

Für die Protagonisten, Margrethe Fredheim und Uwe Stickert, grenzt es vielleicht wirklich an ein Wunder, dass sich ihre Herzenswünsche, Elsa und Lohengrin singen zu dürfen, erfüllt haben. Es ist für beide die erste Wagner-Partie und die Debüts gelangen!

Uwe Stickert kenne ích seit vielen Jahren als Solist in Oratorien, Passionen, Kantaten und Motetten und staunte, als ich von seiner Besetzung erfuhr. Da erst begann ich zu realisieren, dass er quasi „nebenbei“ eine sehr kluge Entwicklung im Bereich der Oper genommen hat: über Rodrigo, Ferrando, Ernesto (Weimar), Tamino, Belmonte (Weimar und Erfurt), Don Ottavio (Münster), David , Steuermann (Budapest), Titus und Idomeneo (Würzburg ), Flamand (Innsbruck), Heinrich (Lanzelot) in Weimar und Erfurt und einige weitere Rollen aus dem französischen Repertoire (Gounod, Meyerbeer). Uwe Stickert ist längst in der Oper angekommen. Im März folgt der Florestan in Cottbus.
Seine helle Stimmfarbe mit metallischem Kern, der zur Attacke fähig ist, seine perfekte Phrasierung, seine strahlenden nie gefährdeten Höhen und absolute Wortverständlichkeit machen seinen Lohengrin zum Genuss!

Margrethe Fredheim als kongeniale Partnerin mit schon nicht mehr „nur“ lyrisch-leichtem, sondern starkem, strahlendem Sopran meistert die Partie ebenso gut. Wie richtig, dass Intendant Guy Montafon ihr sie zugetraut hat. Es ist die bisher größte Rolle der gebürtigen Norwegerin, die seit der Spielzeit 2015/16 zum Erfurter Ensemble gehört.
In einem Interview mit der Thüringer Allgemeinen Zeitung vom 31.1.2020 ist nachzulesen, dass Wagner für sie überhaupt der Grund gewesen sei, warum sie Sängerin wurde – nach einer Tannhäuser-Aufführung in Oslo war das alternativlos. Aber der große Respekt vor ihm ist geblieben. Drei Stunden ist Elsa auf der Bühne, da sind volle Präsenz und Konzentration erforderlich. Optisch bleibt sie in der Inszenierung, anfangs barfuß im weißen Kleid, die Menschlichste unter seltsam gleichgeschaltet wirkenden „Cyborgs“ der Zukunft.

In der Regie muss man das Wunder lange suchen. Ich habe leider keines gefunden.
Hans-Joachim Frey versetzt die Handlung in das Jahr 2050, doch was ich da sehe (rauschender Verkehr einer Megacity), bleibt mir emotional fern. Ohne Gegenwartsbezüge gerät alles statisch, fremd und auf eine Weise technisch (Ausstattung Hartmut Schörghofer), die nichts Faszinierendes mehr hat. Anspielungen auf Klassiker des Science-Fiktion-Genres, teils sehr aufwändig gestaltete futuristische Kleidung, leider nicht immer kleidsam, Videokunst (es landet eine scheibenartige Raumschiffkonstruktion und bleibt kreisend über der Szene gegenwärtig) – all das diente weder dem Verständnis der Oper noch dem der Musik. Die ferne Zukunft liegt mir fern.

Für szenische Momente, die unter die Haut gehen, haben Telramund (Máté Sólyom-Nagy) und Ortrud (Anne Derouard) mit ihrer ausgezeichneten Interaktion in der 1. Szene des 2. Aktes gesorgt, Die Beleuchtung (Torsten Bante) machte ihre Schatten übergroß und als Telramund seinen Ahnen aus dem gläsernen Sarg nahm und sich selbst hineinlegte, war plötzlich eine Verbindung zu Amfortas hergestellt.
Leider greift Frey am Ende wirklich noch ganz daneben. Die „Weh!“ Klage des Chores gilt hier nicht nur dem schwindenden Lohengrin. Elsa sinkt nicht entseelt in Gottfrieds Arme, sondern Lohengrin reicht ihr die Hand, sie besteigt mit ihm die Gangway zum Raumschiff. Nimmt er sie mit in seine Sphäre? Dieser Bruch mit dem, was Wagner geschrieben und komponiert hat, zeigt nicht nur wenig Verständnis für den Stoff, sondern dieser Schluss bricht das Drama, nimmt ihm den Sinn. Die gesamte Opernhandlung basiert auf der tragischen Spannung zwischen dem Auftrag des Helden und seinem unausweichlichen Scheitern. Bedingungslose Gefolgschaft kann der Mensch, gar eine liebende Frau wie Elsa nicht leisten. An ein Wunder kann sie glauben, aber ein Wunder kann sie nicht lieben. Elsas Schuld folgt die Strafe für sie und Lohnengrin: Trennung auf immer.
Und in Erfurt Happy End? Wie banal ist das denn!

Es bleibt noch zu sagen, dass mich das Philhamonische Orchester Erfurt mit der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach unter der Leitung von GMD Myron Michailidis nicht in den Himmel geschickt hat. Vor allem im 2. Akt waren Tempi oft zu getragen, die Musik kam nicht in Fluss. Ganz enttäuscht war ich von der Einleitung des 2. Aktes: Die komponierte unheimliche Stimmung stellte sich nicht ein. Auch Ortruds Ausbruch, bevor Elsa sie zu sich einlässt, klang im Orchester eher holperig. Dabei ist der Ausbruch des finsteren Fis-Moll, das Orchestertutti, in das sich der unheimliche Klang gestopfter Blechblasinstrumente einmischt, die schneidend hohen Flötentriller, das ist wie ein schriller Spuk, bevor nach lichter Flötenfigur Elsas G-Dur alles in sich zusammenfallen lässt, einer der spannendsten Momente der Oper.
Gut gelang (bis auf die technisch übersteuerte elektronische Orgel) das Finale des 2. Aktes, das „gesegnet sollst du schreiten“ des durchweg ausgezeichneten singenden Chores (Leitung Andreas Ketelhut).
Rollendeckend die Besetzungen des Heerrufers (Siyabulela Ntlale) und König Heinrich (Kakhaber Shavidze).

Erfurts letzte Lohengrin-Inszenierung liegt 17 Jahre zurück, damals in der Ersatzspielstätte vor der Thüringenhalle. Es debütierte Klaus Florian Vogt als Lohengrin. Uwe Stickerts Timbre erinnert mich sehr an ihn. Grund genug, nach Erfurt zu fahren.
Weitere Vorstellungen 14.3., 05.04., 17.04., 03.05.2020