Wenn sich der Vorhang öffnet, blickt man in einen bühnenfüllenden und bis auf die Hinterbühne reichenden grauen (Autobahn-)Tunnel mit Seitenausgängen rechts und einem kleinen Seitenpodest links, dessen Zugänge in die Welt der Chrysothemis führen.

Die fünf Mägde sind als Tunnelarbeiterinnen kostümiert, Elektra ist mit ihrem Koffer beschäftigt, in dem sich das Beil und der Mantel von Agamemnon befinden, den sie überstreift, bis Orest sie daraus befreit.

Gleich ein mehrfaches Déjà-vu! Der Tunnel und die wie Tunnelarbeiter kostümierten Nibelungen im Berliner Götz-Friedrich Ring; Koffer und Mantel  für Elektra, der Rollstuhl für Klytämnestra wie in Lauffenbergs Wiener Elektra-Inszenierung. Sie alle passen, szenisch wie musikalisch, hier. Vor allem der Tunnel(trichter) entspricht der monumentalen Klangfülle und wirkt zugleich stimmenverstärkend.

Die die düstere, spannungsgeladene Bedrohung, die sich schon am Beginn in dem mächtigen Orchesterschlag (d-moll-Akkorde, Agamemnon-Thema) manifestiert, brach im Verlauf jedoch immer wieder ein. Für mich jedenfalls hat sich die sprichwörtliche „soghafte Wirkung“ zwar bildlich, aber musikalisch nur phasenweise eingestellt. Wohl vor allem deshalb, weil Alexander Prior, 29 und neuer GMD des Philharmonischen Orchesters Erfurt, verstärkt durch Mitglieder der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach, an einigen Stellen auffällig langsame Tempi wählt. Auffällig in Elektras Monolog, späterhin fallen Generalpausen als spannungsstörend auf und vor allem die zu getragen zelebrierte Schlusstakte.

Es war Jessica Rose Cambio, als Chrysothemis die mit ihrem Auftritt für den ersten Spannungsschub des Abends sorgte. Die Partie liegt voll in ihrer stimmlichen Reichweite.

Erst recht Klytämnestra – Ursula Hesse von den Steinen holt wirklich alle Nuancen aus der Partie. Überrascht hat mich, dass Elektra ihr die Bühne bis zu ihrem Ausbruch „Was bluten muss? Dein eigenes Genick…“ überlässt und über weite Strecken auch mimisch sehr zurückgenommen agiert. Wollte es die Regie so? Wo bleibt hier das Königskind?! (Dass sie ganz anders kann und ein Energiebündel ist, hat sie beim Schlussapplaus so wunderbar gezeigt!)

Dass bei der von Strauss vorgegebenen Lautstärke Textverständlichkeit oft nur aus dem mitzulesenden Text kommt, ist klar, aber GMD Prior hat sich keinerlei Rücksichtslosigkeit den Sängern gegenüber schuldig gemacht – wobei Aile Asszonyi (Elektra) wahrlich keine Schonung benötigte. Es war ein Abend, der vom Orchestergraben her stark zusammen gehalten wurde – was beim Schlussapplaus von nahezu allen Protagonisten dankbarst zum Ausdruck gebracht wurde. Für das erste Operndirigat des jungen GMD in Erfurt eine beachtliche und stark akklamierte Leistung.

Volle Applausstärke gab es aber nicht nur für die Sängerinnen und Sänger und das Orchester, sondern ebenso für den Regisseur Giancarlo des Monaco, der die Premiere aus der 5. Parkettreihe heraus erlebt hat, und sein Team. Mich hat seine Sicht auf Orest, den er wie einen griechischen Gott auftreten lässt (Kakhaber Shavidze hat Gestalt und Größe dafür!), überzeugt. Vom Moment seiner Enttarnung an steht er wie ein marmornes Standbild auf der Bühne. Dafür nehme ich in Kauf, dass die musikalisch so starke Seligkeit (das wiegende Motiv der Geschwisterliebe (S. Bayerlein) oder Familienharmonie (St. Mickisch), das die Oper vielfach durchzieht) nur Elektra zu bewegen scheint, die sich ihrem Bruder gänzlich anvertraut.

Folgerichtig das Finale: Blutüberströmt zieht Orest, der Gott, (von Kritikern auch als Henker mit Richtschwert gedeutet) die von ihm Getöteten im Leichentuch auf die Bühne, Elektra malt mit ihrem Blut mehrfach ein großes A an die Tunnelwand und zu den Finaltakten stürzen beide Schwestern voller Verehrung in seine Arme. Der Albtraum ist ausgeträumt.

Hier wird eine ganz andere Art von Ekstase gezeigt, die – anders als im Libretto – weder auf Tanz setzt noch Elektras Zusammenbruch/Tod zur Folge hat. Die furchtbaren Akkorde und  Schläge des Blechs in den letzten Takten lassen sich hier auf das beziehen, was dieser „Gott“ künftighin tun wird.