„Preis und Dank!“ „Der Freischütz“ war aus einem Guss - musikalisch und szenisch! Kurz nach Ende der Premierenserie erhielt die Inszenierung bereits einen (wohl manchem noch unbekannten) Leser-Preis: den Bachtrack Opera Award 2015 für die beste deutsche Operninszenierung!The production was praised by our reviewer for its "thrilling sets and clever direction". („Bachtrack“ wurde von Alison und David Karlin, London, im Januar 2008 als größtes Veranstaltungsportal für Klassik online mit dem Ziel gegründet, mehr Menschen in Opernhäuser und Konzerthallen zu locken, damit sie die Wunder von Klassik, Oper und Tanz live erleben können. Inzwischen umfasst die Plattform über 12.000 anstehende Konzerte, Opern- und Tanzveranstaltungen; etwa 200 Konzertkritiken werden pro Monat veröffentlicht.)

Axel Köhler, Sänger (Altus) und Regisseur, hat mit seinem Team (Bühnenbild: Arne Walther, Kostüme: Katharina Weissenborn) mehr als diesen Preis verdient. Seine Fest-Inszenierung zum 30. Jubiläum der Wiedereröffnung der Semperoper ist klug und es gibt viel zu entdecken bei einem Regisseur, der das Stück ernst nimmt und daraus Ideen entwickelt; einem Künstler, der uns wieder an die Oper glauben lässt. „Wie kann ich mein Publikum überraschen, ohne es zu verstimmen?“ fragt er sich und inszeniert den „Freischütz“ in der Spannung von Kriegsfolgen (Angst und Schrecken vieler Art) und der Sehnsucht nach Hoffnung und Lebenssinn. Daraus entwickelt er alles. Das kommt an.

Schon in der 1. Szene liegt Gewalt unter dem scheinbar festlich-friedlichen Sternschießen. Mehr und mehr lädt sich die Stimmung zwischen Bauern und Jägern auf und mit Beginn des (noch hörbar aus dem Ländler herkommenden Walzers) geraten sie aneinander. Statt eines Tanzes gibt es eine handfeste Prügelei.

Durch die Einführung der stummen Rolle einer hinkenden Magd (Juliana Brunzlaff) macht Köhler deutlich, wie Menschen „verteufelt“ werden. Diese Magd ist nicht „wie alle“. Sie hinkt. Und weil sie nicht ist wie alle, wird sie mit dem Bösen in Verbindung gebracht. Als sie mit dem bestellten Wein plötzlich hinter Kaspar auftaucht, entfährt ihm erschrocken der Fluch „Samiel!“ Wann immer diese Frau auftaucht, einfach dazugehören möchte, scheint ein Unglück zu geschehen. In der Brautchor-Szene zeigt sie ihre Freude am „Jungfernkranz“-Lied, tanzt zum Refrain linkisch alleine, während die anderen Frauen eine Art line dance probieren. Einmal Braut sein dürften…! Sie schnappt sich das Brautkleid und hält es sich an. Schnell wird es ihr entrissen und wenig später landet die Totenkrone in ihrem Schoss. Wieder muss sie als Sündenbock herhalten. Da bricht sie zusammen. Noch im Sterben verflucht Kaspar sie, dem sie doch nur beistehen will. Dann wird sie endgültig verjagt. Für sie gibt es keine Perspektive.

Es sind diese kleinen Geschichten in der Geschichte, die Köhlers Inszenierung für mich zu etwas Besonderem machen. Eine anrührende und eine mir ärgerliche Geschichte seien noch vermerkt.

Während Agathe noch auf die Ankunft von Max (Tomislav Mužek) wartet, schreibt er ihr einen Brief, einen Zettel nur, herausgerissen aus einem alten Buch. Was mag er schreiben? „Doch hast du auch vergeben den Vorwurf, den Verdacht?“ (Terzett 2. Akt) Zu diesen Worten gibt er Agathe den Brief – und geht in die Wolfsschlucht.

Wenn sich der Vorhang zum Beginn des 3. Aktes öffnet, sieht man in die Diele der vom nächtlichen Unwetter mitgenommenen Förstervilla. Äste liegen umher, der Sturm hat eine Bank umgeworfen. Inmitten dieses Chaos kauert Agathe (Ute Selbig) am Boden. Mit unglaublich konzentrierter Innigkeit singt sie „Und ob die Wolke sie verhülle“ (Kavatine Nr. 12, As-Dur). Ihre Stimme strahlt und scheint zu schweben. Diese Ruhe, diese Hoffnung wider den Augenschein ist ein Höhepunkt des Abends. In den Händen hält sie die Rosen des Eremiten und den Brief des Geliebten: irdischen und himmlischen Halt! Die Magd bringt Agathe ihre eigene wärmende Decke, beugt sich lange zu ihr hinunter. Möchte sie auch so sein können?! Noch einmal spielt der Brief eine Rolle, sozusagen als Beweis dafür, dass Max verführt worden ist. Agathe gibt ihn dem Fürsten, doch der lässt sich durch nichts von seinem (Vor-)Urteil abbringen.

Für mich schon grenzwertig gerät die Gewalt in der Wolfsschlucht. Sie öffnet sich unter Agathes Dachkammer, zerreißt ihre kleine Welt. Optisch zerbricht der Raum in zwei Teile, die auseinander driften. Wir schauen in einen Wald, der voller Leichen ist. Kaspar schneidet einem der Toten, die dort liegen, den Kopf ab (er tut das sehr lebensecht!) und ruft Samiel herbei. Von Kugel zu Kugel stärker wird die Szene dann mit Kriegsbildern aus dem brennenden Dresden aufgeladen. Nach der 3. Kugel mischt sich das Dröhnen von Panzern in die Musik, nach der 4. Kugel das Geräusch der Flugzeuge im Luftangriff. Die Szene überblendet ein Feuerbrand. Am Ende stehen die Toten wieder auf. Irritiert wurde dieses Grauen allerdings durch Samiel. Seine Stimme verdarb mir jedenfalls die Stimmung. Abgesehen von ihrem technischen Klang: sie changiert zwischen Desinteresse und Spott („fünf“ im Falsett). Das passt nicht zu Webers Musik, die das Böse ernst nimmt und damit Recht hat.

Zu weit geht mir die Parallelhandlung einer von Kindern dargestellten Jagd während des als Fürstenbegrüßung inszenierten Jägerchores. Die Mädchen mit Spießern und anderen Tierattributen werden von Buben mit Holzgewehren gejagt. Am Ende bilden die Mädchen die „Strecke“ und die Buben dürfen sie mit ihren Messern ausweiden.

Da nützt es nicht viel, wenn wenig später der Eremit (sein Kostüm, ein heller Soldatenmantel, könnte ihn als die helle Seite des dunklen Fürsten im schwarzen Soldatenmantel ausweisen) eines der Spielzeuggewehre zerbricht. Sekundenbruchteile nach dem Finalakkord kommt (leider doch noch) die belehrende Ohrfeige, das berühmte Quäntchen zu viel. Einer der Buben schießt – diesmal mit der Büchse des Fürsten, der sie ihm in die Hand gedrückt hat. Finis: Die Gewalt bleibt in der Welt. Krieg kennt kein Ende.

Axel Köhler hat eine Inszenierung geschaffen, in die sich die zahlreichen Besetzungen (die Protagonisten sind drei- bis vierfach besetzt!) problemlos einfügen können.

Für mich ist Ute Selbig die ideale Agathe, kein leidendes Sensibelchen, sondern eine junge Frau, der Lebens- und Glaubensgewissheit abzuspüren sind. Ihre traumhaft klare, ausdrucksstarke und höhensichere Stimme zu hören und ihre darstellerische Sicherheit zu sehen, ist eine einzige Freude. Tomislav Mužek (Max) hat eine weiche, schöne Stimme, darf aber darstellerisch gern noch etwas zulegen (v.a. im Terzett 2. Akt). Christina Landshamer erfreute als Ännchen mit leichtem, lyrischen Sopran und präsentem Spiel. Meine anfänglichen Zweifel, ob Georg Zeppenfeld, den wir doch als würdigen Sarastro, väterlichen Rocco, eindrucksvollen König Heinrich oder Landgraf Hermann kennen, auch „böse kann“, ist schnell verflogen. Er war meisterhaft. Als Erbförster Kuno verlässlich Albert Dohmen. Sebastian Wartig vom Jungen Ensemble der Semperoper blieb als Fürst Ottokar auch stimmlich zu mild und jovial - das gibt die Musik so nicht her. Rollendeckend Kilian (Pavol Kuban) und Eremit (Tilmann Rönnebeck) und die Brautjungfern (Gabriele Berke, Rahel Haar, Jana Hohlfeld und Heike Liebmann).

Die Sächsische Staatskapelle Dresden musizierte unter der Leitung von Peter Schneider exzellent. Auch wenn die musikalische Faszination deutlich von den „Nachtseiten“ der Partitur herrührt – Weber hat die Phantasie des Dichters vor allem bei dem Melodrama der Wolfsschlucht tonal um ein Vielfaches übertroffen – es braucht die kundige Hand auch für die liedhaften und volksliedhaften Teile, die das Gegengewicht bilden. Bei Peter Schneider bleibt alles in einem natürlichen Fluss, nichts stockt, die Tempi stimmen, Ausdruck wird nicht erzeugt, sondern entsteht – und dies alles in spürbarer Harmonie von Intellekt und Emotionalität.

Großartig das Finale mit dem Übergang aus dem irrealen H-Dur (Max/Agathes Verzaubertsein) zum C-Dur des Eremiten. Dass ausgerechnet der Gottesmann nicht den Boden unter den Füßen verliert (dafür steht diese Tonart wohl), ist, wie ich finde, eine erstaunliche Aussage.

Axel Köhler, der im kommenden Jahr seinen Posten als Intendant der Oper in Halle aus Protest gegen seitens der Landesregierung aufoktroyierten Etat-Kürzungen und in der Folge die hohe Zahl betriebsbedingten Kündigungen nicht mittragen und seine künstlerische Heimat verlassen wird, wird künftig häufiger als Regisseur tätig sein. Wir sehen gerne mehr von ihm! Die nächste (es ist lt. seiner Homepage die 38.) Regiearbeit führt ihn nach Graz („Der Barbier von Sevilla“, P.22.10.15). In Halle verabschiedet er sich mit „Cosi fan tutte“ (Bad Lauchstädt, 30.4.16). Im Mai 2016 inszeniert er in Dresden „Carmen“. Derweil ist am dort noch immer der Intendantenstuhl zu besetzen – naheliegende Wünsche darf man da haben.