Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und die Alten ehren und sollst dich fürchten vor deinem Gott; ich bin der Herr. So lautet der Monatsspruch.
Ist es nicht selbstverständlich, den älter gewordenen und den alten Menschen respektvoll zu begegnen und in Ehrerbietung mit ihnen zusammen zu leben? Die allermeisten Menschen werden es bejahen, obwohl wir täglich auch anderes erfahren: Alte Menschen werden von anderen im eigenen Interesse geflissentlich übersehen in Straßenbahnen und Bussen, im öffentlichen Leben und manchmal sogar auch in den eigenen vier Wänden. Oder ihre nachlassenden Sinnes- und Geisteskräfte werden zum eigenen Vorteil ausgenutzt, manchmal sogar mit krimineller Energie. Dennoch: Der Respekt und die Ehrerbietung gegenüber älteren Menschen gehört zu unserer Kultur. Das ist Teil der Würde eines jeden Menschen, die zu achten den allermeisten von uns nicht fern liegt.


„Nichts Neues, was uns da die Bibel sagt“, wird mancher nun konstatieren. Nun, neu ist das nicht, aber in dreifacher Hinsicht bemerkenswert.
Zum einen zeigt sich darin eine der bedeutendsten Wurzel für das, was wir heute mit Menschenrechten und Menschenwürde bezeichnen, auch wenn die meisten heutzutage diese Vorstellung über den „Wert- und Achtungsanspruch, der jedem Menschen allein kraft seines Menschseins zukommt“ (Definition des BGH) nicht mehr mit Gott in Verbindung bringt. Die Satzungen Gottes, komprimiert z.B. in den zehn Geboten wie auch hier im 19. Kapitel des sogenannten Heiligkeitsgesetzes, spiegeln dies bereits in aller Klarheit wider. Und durch das Reden und Tun Jesu Christi hören und erfahren wir, wie das aussieht, seinen Mitmenschen so zu begegnen und mit ihnen so zusammen zu leben, und was das bewirkt. Es sind Lebensangebote Gottes, die, wenn wir danach leben, uns allen zum Wohle und zum Frieden im Kleinen wie im Großen dienen. Im 4. der 10 Gebote Gottes wird dieser Zusammenhang besonders deutlich, auch wenn es zunächst erst einmal sprachlich gesehen „nur“ um den Umgang der Kinder mit den Eltern geht.
Zum anderen dürfen wir die zweite und dritte Satzhälfte nicht vorschnell „überlesen“. Du sollst dich fürchten vor deinem Gott; ich bin der Herr. Gott verknüpft seine ethischen Weisungen mit sich selbst. Sie haben immer mit ihm selbst zu tun. Denn wer an Gott glaubt und nach seinem Willen fragt, wird von ihm stets an den Mitmenschen und die Verantwortung für seine Welt und seine Schöpfung verwiesen. Den Bibellesern wird das immer wieder deutlich. Die Begegnung der Glaubenden mit den Mitmenschen und den Umgang mit ihnen soll von solcher Zugewandtheit und Güte bestimmt sein, wie sie sie von Gott her selbst immer wieder erfahren. Ja, die anderen sollen am Verhalten der Glaubenden zu ihnen und z.B. auch zu den Alten erkennen, zu wem sie gehören, nämlich zu dem, der Leben schafft und Leben erhält und der dem Leben eines jeden Einzelnen Würde verleiht. Und dass ihm diese Würde niemand nehmen darf, so wie sie Gott selbst auch von keinem wieder zurücknimmt. Im Verhalten der Glaubenden auch zu den Alten soll sich zeigen, wie Gott selbst zu ihnen steht. So lesen wir bei Jesaja 46,4 Gottes Wort: „Auch bis in euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr grau werdet. Ich habe es getan; ich will heben und tragen und erretten.“


Und drittens soll im Handeln der Christen eben auch immer etwas davon aufleuchten von der Ehre, die sie mit einem solchen Verhalten ihrem Gott entgegenbringen. In diesem Sinn sind diese beiden Satzteile auch zu verstehen, nämlich Gott auf diese Weise in Ehren halten als den, der ihr Herr ist und aus dessen Quelle sie leben. Die Mitmenschen sollen erkennen, dass sie zu diesem Gott gehören und ihn ehren und ihm dankbar sind. Sie zeigen das gerade auch dadurch, dass sie das tun, was er für einen jeden Menschen getan haben will, besonders auch für die, denen gegen Ende ihres Lebens eine besondere Achtung und Aufmerksamkeit zukommen soll.


Ich kenne viele Menschen, die den Alten mit Respekt und Ehrerbietung begegnen. Die sich um sie kümmern, weil sie mindestens genau so viel Achtung und Ehre verdienen wie die anderen, die noch leistungsfähig und ohne nachlassende Sinnes- und Geisteskräfte sind. Gott sei Dank. Doch wenn es noch mehr von ihnen gäbe, so wäre unsere Gesellschaft noch humaner, gäbe es noch ein friedlicheres Zusammenleben untereinander, auch zwischen solchen, die im besten Schaffensalter sind und denen, die Rentner sind und oft von anderen als hinderlich und belastend empfunden werden. Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und die Alten ehren und sollst dich fürchten vor deinem Gott; ich bin der Herr. So zu leben, darauf liegt viel Segen.