„Die Letzten werden die Ersten sein“, sagt eine Läuferin, die – völlig ausgepowert – nicht aufgibt und sich Runde um Runde im Stadion abquält, bis sie als Letzte im Ziel unter riesigem Beifall der Zuschauer ankommt, viele Minuten nach der Siegerin. Letzte, die ist sie wahrlich geworden. Aber die Sympathie der Menschen wegen ihres zähen Durchhaltens hat bei ihr Gefühle der Anerkennung, des Triumpfes und des Sieges ausgelöst. So viel Anerkennung und Beifall habe selbst die Siegerin des Laufes nicht bekommen, sagte sie. „Die Letzten werden die Ersten sein.“ Sie hatte für sich diesen Spruch Jesu jedenfalls so empfunden, wenn auch die Realität ganz anders war.
Das gibt es aber nur selten. Zum Beispiel, eine lange Schlange im Flughafen zum Einchecken. Auf einmal wird ein weiterer Schalter geöffnet und die Letzten in der Schlange werden dorthin beordert – begleitet von neidischen, z.T. grimmigen Blicken der anderen. Ja, manchmal gibt es das– diese Umkehrung der uns gewohnten und unser Leben bestimmenden Ordnung, die unser Verhalten bestimmt.

Letzte werden Erste sein. „Ja, soweit kommt´s noch“, sagen welche, die da ganz oben sitzen, „schließlich bin ich da auch irgendwie zu Recht da oben, da vorn dran.“ Die, die nicht in solchen Komfort-Zonen leben, sondern eher zu den Letzten, zu denen in der Gesellschaft ganz unten gehören, hätten es natürlich gern, dass sich das auch mal herumdreht – und dies ist ja auch völlig verständlich. Doch selbst der Sozialismus, in dem alle Menschen gleich sein sollen und jeder die gleichen Chancen haben soll, hat eine solche Umkehrung dieses Prinzips des menschlichen Lebens nicht gebracht. Das hatten selbst überzeugte Kommunisten sich eingestehen müssen. Viele von ihnen wandten sich dann gegen diese hochgestellten Ideologen und sorgten mit dafür, dass sie aus der Komfort-Zone entfernt wurden. Es ist wohl so, dass es dieses paradoxe Umkehrprinzip, Letzte werden Erste sein, in dieser Welt nicht geben wird. Es gibt immer welche, selbst solche mit hehren Absichten, die die Ersten sein wollen, um Vorteile zu haben.

Der Satz, siehe, es sind Letzte, die werden die Ersten sein; und sind Erste, die werden die Letzten sein, steht am Ende eines Gleichnisses Jesu. Er wurde von einem Menschen, der ihm auf dem Weg nach Jerusalem begleitete, gefragt: „Herr, meinst du, dass nur wenige gerettet werden?“ Jesus muss wohl in seiner Frage mitgehört haben, ob es sich wohl lohnen wird, mit ihm weiter mitzugehen. Denn Jesus antwortet auf die Frage mit einem Gleichnis: Die Pforte des Reiches Gottes, in dem man gerettet ist, ist eng. Da sind schon welche drin und viele wollen noch rein. Der Hausherr aber lässt nicht alle durch. Etliche aber halten ihm vor, er müsste sie doch kennen, müsste wissen, was für Verdienste sie haben, weil sie sich um seine Sache gemüht haben. Da hätten sie doch ein Vorrecht gegenüber anderen, die schon drin sind, obwohl die doch erst viel später die Bekanntschaft mit dem Hausherrn gemacht haben. Doch dieses Vorrecht bekommen sie nicht. Die Tür bleibt ihnen verschlossen.

Jesus spricht: Siehe, es sind Letzte, die werden die Ersten sein; und sind Erste, die werden die Letzten sein. Letzte sind z.B. auch die Verlierer, die Schwachen, die Abgehängten in der Gesellschaft. Sie werden leicht und gern übersehen. Wir kennen viele Erzählungen aus den Evangelien, die uns darüber berichten, wie Jesus nun aber gerade für sie da war. Er erzählte vom Reich Gottes, von seiner Liebe und Gnade, die gerade den Schwachen, den Abgehängten gilt. Und oft erfuhren sie diese Liebe und Gnade Gottes dadurch, dass er Heil und neues Leben in ihr Leben brachte. Und alle konnten hören und sehen: Er kehrt die selbstverständlich geltenden Maßstäbe und Ordnungen der Welt um.

Siehe, es sind Letzte, die werden die Ersten sein; und sind Erste, die werden die Letzten sein. Was wir für selbstverständlich halten –unser Denken, unsere Maßstäbe, unsere Lebensordnungen – stellt Jesus auf den Kopf. All unsere Urteile über Menschen, die auf Moral, Sitte und Gerechtigkeit zu basieren scheinen, werden von Gott überholt. Nicht der Erste oder der Starke hat zwangsläufig bei Gott einen vorderen Platz. Denn da Gott die umfassende Wirklichkeit ist, weil er aus seiner Höhe bis hinab in die Abgründe menschlichen Lebens reicht, kann er Letzte zu Ersten und Erste zu Letzten machen – aus Liebe und Gnade.

Und wie ist es bei uns? Wir sind ja nicht Gott. Doch soll denn nicht durch uns, die wir zu Christus gehören, etwas von der Liebe, Gnade und Großzügigkeit Gottes in die Welt kommen? Können wir nicht auch Letzte so behandeln, dass sie wissen, sie sind bei uns nicht die Letzten? Dass sie Liebe erfahren, die sie spüren lässt, dass das Oben und Unten in der Welt kein ehernes Gesetz ist, sondern auf dem Kopf stehen kann?