Der Monat November erinnert uns wie sonst keiner anderer im Jahr an die Vergänglichkeit. Das Laub fällt von den Bäumen. Die Tage werden kürzer und ungemütlicher. Die Natur zieht sich zurück. Sie erscheint zu ersterben. Mehr als sonst werden Menschen von dieser düsteren Stimmung erfasst. Sie erinnern sich an frohere, hellere Zeiten und an Menschen, mit denen sie glückliche Momente, Tage und Jahre gemeinsam erlebt hatten, und die nun nicht mehr leben.
In diesen Tagen schmücken wir ihre Gräber. Und wieder einmal wird uns besonders bewusst, welch eine Lücke unsere Verstorbenen in unserem Leben hinterlassen haben. Der Tod macht so unser Leben oft ärmer. Und eines Tages werden auch wir nicht mehr sein. Jeder wird diesen Weg einmal gehen müssen, auch wir. Dieser Gedanke ist vielen unangenehm. Ihm auszuweichen, ihn nicht zuzulassen, gelingt zwar manchmal, aber es hilft nichts. Der Tod macht vor keinem Menschen halt.


Für manche Menschen ist das eine Art Genugtuung für erlittenes Unrecht durch andere, für Benachteiligungen und Demütigungen. Denn so gesehen stimmt das Sprichwort: Das letzte Hemd hat keine Taschen. Kein Mensch, ob er nun in seinem Leben Gutes oder Böses getan hat, reich oder arm war, wird vor dem Sterben verschont. Keiner kommt daran vorbei. Dieses Sterben bedeu¬tet für jeden unwiderruflich die Grenze seines Lebens. Es stellt schon mit unserer Geburt unser Leben infrage. Es macht Gegenwart und Zukunft hoffnungsärmer. Und die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens über den Tod hinaus findet keine befriedigende Antwort. Die allermeisten Todesanzeigen in den Zeitungen offenbaren im Endeffekt solche Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeit, die die Menschen seit jeher als ihr Schicksal betrachten. Auch in der Bibel begegnen wir vielen solcher Menschen, die das beklagen und zunächst keinen Ausweg sehen.

Keinen Ausweg sahen zunächst auch nicht die ehemaligen Angehörigen der Oberschicht Jerusalems, die 597 vor Christus vom babylonischen König Nebukadnezar nach Babylonien ins Exil verschleppt wurden und nun, 10 Jahre danach, dort die Nachricht erhielten, dass Nebukadnezar nach einem neuerlichen Aufstand des von ihm eingesetzten jüdischen Königs die Stadt Jerusalem schleifte, den Tempel und den Königspalast zerstörte, die heiligen Geräte entfernte und einen Großteil der Bevölkerung des Landes ebenfalls ins Exil deportierte. Das war niederschmetternd. Sie waren nun aller Hoffnungen beraubt: Gott hatte sie verlassen; infolgedessen verloren sie die Heimat und das Land; der Tempel als Gottes Wohnung war zerstört und die Ausübung des Kultes nicht mehr möglich. Das Weiterleben erschien total hoffnungslos und sinnlos. So haben sie sich gefühlt.
Unter der Gruppe der zuerst Exilierten war ein Schriftgelehrter mit Namen Ezechiel (Hesekiel). Im Exil wurde er von Gott zum Prophet berufen und verkündete in dessen Namen zunächst Unheil, dann aber auch Gottes Heilswirken. Es soll, so seine Botschaft, nicht so bleiben, wie es ist. Sondern es kommt eine andere Zeit – die Zeit des Heils. Eines der Worte Gottes, die er zu verkünden hatte, war: Ich (Gott) will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein (Monatsspruch). Gott will damit sagen: Nein, meine Zeit mit euch und für euch ist nicht zu Ende. Ich meine es gut mit euch, mit den Menschen. Wenn ihr auch gemeint habt, ich hätte euch verlassen, so versichere ich euch, dass eine Zeit kommen wird, da werde ich sogar unter und mit euch wohnen. Dann ist alles gut, ist alles heil.

Gott meint es gut mit den Menschen. Das ist das Grundsätzliche der Botschaft, die Ezechiel zu verkünden hatte. Sie steht gegen Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeit. Ja, sie steht sogar gegen den Tod. Diese Botschaft gilt auch für uns und ist für uns Christen mit einem Namen verbunden – Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen. In ihm bekommen wir das Leben geschenkt, das es nur bei Gott gibt: ewiges, unzerstörbares Leben in der Gemeinschaft mit ihm.
In der Nähe Gottes, ja im vertrauten Umgang mit ihm wird alles, was wir noch an Kummer, Rätseln, Deformierungen und Unvollkommenheiten unseres Lebens mitgebracht haben, Anteil bekommen an der Vollkommenheit göttlicher Liebe. Im Licht dieser neuen Welt und im Glanz des Angesichts Gottes können sich keine Schatten halten. Da wird also auch der Tod nicht mehr sein. Er, der große Feind des Lebens, hat dort keine Bleibe. Er wird uns nicht mehr schrecken mit seiner furchtbaren Gewalt. Dann wird endlich vollendet, was Jesus Christus am Kreuz und im Auferstehungsgrab begonnen hat: Der besiegte Tod wird beseitigt sein: Keine Angst mehr vor ihm, kein Schmerz mehr durch ihn, kein Leid mehr durch ihn.

Gott spricht: Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein. Was schon der Prophet Ezechiel seinen Landsleuten im Exil ankündigte und zusagte, wird durch Jesus Christus an uns wahr. Und dies ist doch ein ganz anderes Lied als die Klagelieder über Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeit angesichts des Todes. Denn Gott meint es gut mit uns Menschen.