Den Satz „Wissen ist Macht“ kennt jeder. Er geht zurück auf den englischen Philosophen Bacon (1561-1626), um den Menschen in einen höheren Stand des Daseins zu bringen. Denn nur wer die Natur kennt, kann sie auch beherrschen, so seine Devise. Karl Liebknecht hatte diesen Satz in der Arbeiterbewegung sehr populär gemacht. Wer in der DDR lebte, hatte diesen nun ideologisch aufgeladenen Satz gleichsam mit der Muttermilch vorgesetzt bekommen.
Doch was ist mit Nichtwissen? Die Antwort ist logisch gesehen eindeutig: Nichtwissen ist Ohnmacht und bedeutet nichts als Inkompetenz. Nichtwissen führt dann zur Stagnation im Fortschritt. Oder hat Nichtwissen etwa auch positive Seiten?

Dass dieser Slogan „Wissen ist Macht“ wirklich stimmt, wird seit längerem stark bezweifelt. So liest man zuweilen z.B., wichtiger als ein Faktenmensch zu sein und „unnützes Wissen“ zu sammeln, sollten wir lieber unseren Verstand zum Denken verwenden. Gern wird in diesem Zusammenhang auch auf Albert Einstein verwiesen. Der Satz „Wissen ist Macht“ wird also quasi umformuliert in „Verstand ist Macht“. Gebrauche also deinen Verstand, dann kannst du in rechter Weise Macht und Herrschaft ausüben. Martin Luther könnte diesen Satz so ähnlich auch gesagt haben, und zwar, wenn er über die gottgewollten Aufgaben und Pflichten des weltlichen Regiments gemäß seiner Zwei-Regimenten-Lehre spricht.


Doch lassen wir es hier, diesen Fragen weiter nachzugehen. Denn der biblische Spruch für den Monat Mai geht – wie überhaupt die ganze Bibel – in eine andere Richtung. Er lautet: Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. Dieser Satz ist, wenn man ihn im Zusammenhang mit anderen Aussagen des Hebräerbriefes über den Glauben liest, jedoch keine Definition über den Glauben, sondern er stellt die grundlegenden Wesenszüge des Glaubens heraus. In dem genannten Zusammenhang wird dann deutlich: Der Glaube ist eine von Gott her dem Menschen zukommende hilfreiche Macht. Mit ihm werden Kräfte in ihm wirksam, die ihn befähigen, Unmögliches zu bewirken, Unvorstellbares zu erfahren und schier Unerträgliches durchzustehen. Es ist einleuchtend: Solche Macht kann kein Wissen entfalten. Wir könnten in diesem Sinn nun sogar formulieren: „Glauben ist Macht“; Macht als eine von Gott herkommende hilfreiche Kraft, die so felsenfest ist wie er selbst und dem Menschen Anteil gibt am Heil. Oder noch anders gesagt: Die im Heil erhofften Dinge werden in solchem Glauben Wirklichkeit. Sie werden Wirklichkeit durch diese göttlich hilfreiche Kraft für die, die sein heilbringendes Wort annehmen und nicht loslassen, selbst wenn alle Widerwärtigkeiten des Lebens dagegen sprechen, wenn einem schier Unerträgliches widerfährt und Leid, Not, und Bedrohung des Lebens kein Ende haben wollen, wie es denen erging, an die der Hebräerbrief zunächst gerichtet war.
Dann kommt es auch dazu, dass durch den Glauben, also durch die von Gott herkommende hilfreiche Kraft Dinge gesehen, erkannt werden, die der Welt verschlossen und somit unsichtbar sind. Der an solcher Kraft Anteil habende Mensch erkennt das Reich Gottes und die Herrschaft seines Sohnes Jesus schon jetzt, obwohl in der sichtbaren und erfahrbaren Weltwirklichkeit davon nichts erkennbar ist. Er aber weiß es. Und er weiß, dass er dazugehört zu diesem Reich. Und in solcher Gewissheit ist er imstande, die Widerwärtigkeiten des Lebens zu ertragen.
Das alles vermag der, der sich an Gottes hilfreicher Kraft fest macht, so wie Jesus Christus, dem Anfänger und Vollender solchen Glaubens (Hebr 12,2). So wie er in solchem Glauben imstande war, größtes Leid und größte Anfechtung zu ertragen, so ist es auch anderen in solchem Glauben möglich. Dazu muss sein Wort allerdings gehört und angenommen werden, wozu auch der Verfasser des Hebräerbriefes mehrfach aufruft. Sonst ist es nicht möglich, zu widerstehen und standhaft zu bleiben.


Das sind natürlich nun große Worte und große Gedanken. Doch wer möchte sich denn eigentlich nicht an einem solchen Glauben festklammern können, wenn ihn wieder Zweifel überfallen? Es geschieht so vieles in der Welt und in unserem eigenen Leben, was uns an Gottes Zusagen zweifeln lässt. Wir fragen uns dann, ob Gott wirklich ernst zu nehmen ist, wo doch so vieles dagegen spricht. Gern hätten wir einen so starken, festen Glauben, der eine feste Zuversicht ist auf das, was man hofft. Denn so ist er oft nicht. Und wir wissen auch, wir können einen solchen nicht selbst aufbringen, sondern er muss uns immer wieder neu geschenkt und gestärkt werden. Wie aber kann das geschehen? Es geschieht durch Gott selbst. Sein Wort allein vermag, dass wir im Wirkungsbereich der von Gott herkommenden hilfreichen Kraft bleiben und wir gestärkt werden. Sein Wort lesen wir in der Bibel, hören wir in den Gottesdiensten und erreicht uns auch im Zusammensein mit anderen Christen, wo auch immer das geschieht. Viele Menschen und auch wir selbst haben das schon erfahren: Trost, Stärkung, Gewissheit, Hoffnung und Zuversicht durch Gottes Worte in der Bibel, die wir gelesen oder gehört oder über die wir mit anderen einfach gesprochen und uns ausgetauscht haben.
Und wie steht es mit dem Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht? Auch das ist ein Geschenk an die, die sich nicht aus dem Wirkungsbereich der von Gott herkommenden hilfreichen Kraft, also dem Glauben entfernen. Sie wissen sich in Gott geborgen – heute und in alle Ewigkeit, egal, was kommen mag. Oft wird in bildhafter Sprache darüber gesprochen, z.B. so: „Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.“ Sie wissen, sie gehören zu Gott. Sie wissen, er macht an ihnen das wahr, worin der Gottessohn Jesus ihnen vorangegangen ist: die Überwindung der Todesmacht. Sie wissen, die endgültige Gottesgemeinschaft in Christus ist eröffnet. Sie wissen, er vollendet alles. Es wird nichts mehr offen bleiben und nichts mehr zu tun sein. Sie wissen es, auch wenn sie es jetzt noch nicht sehen. Doch vielmals durchziehen auch diese Glaubenserkenntnisse Zweifel. Wir fragen uns dann: „Sind das vielleicht doch irgendwelche Hirngespinste? Alles um uns herum spricht doch dagegen!“ Die Realitäten dieser Welt lassen das unglaubwürdig erscheinen. Und so kann es sein, dass unser Glaube mit seinen Erkenntnissen verkümmert und für uns bedeutungslos werden kann. Da können wir Stärkung im Glauben auch wieder nur durch Gott selbst erfahren, durch sein Wort.


Noch heute erinnere ich mich an einen alten Mann, der aus Schlesien vertrieben wurde und der im Krieg und in den Nachkriegsjahren bitteres Leid erfahren hatte. Er sagte mir damals jungen Burschen: „Auch wenn ich vieles, was ich an Widerwärtigkeiten und Leid erfahren musste, nicht verstanden hatte, aber meinen Glauben habe ich nie weggeworfen. Sondern ich bin dran geblieben an Gott, am Bibellesen, am Gebet, auch wenn ich ihm über Jahre die Ohren vollgejammert habe. Ich hätte das sonst nie durchgestanden und hätte meine Heimat, meine Geborgenheit bei Gott verloren.“ An ihm hatte ich damals ein klein wenig davon begriffen, was es mit dem Glauben auf sich hat: Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.