Im Monat November mit seinen kurzen Tagen, seiner düsteren Stimmung durch das Zurückziehen der Natur in den Winterschlaf werden wir unserer Vergänglichkeit in besonderem Maße bewusst. Häufiger als sonst kommen uns Bilder und Situationen vor Augen über die Brüchigkeit unseres Lebens und das Leid, das wir in solchen Zeiten ertragen müssen. Es gibt eben in unserem Leben nicht nur Sonnenschein, sondern auch Abschnitte, die uns schier verzweifeln lassen. Beispielsweise der Verlust eines geliebten Menschen oder gar der Tod des eigenen Kindes, eine schwere Krankheit, das Auseinanderbrechen der Familie, die Verarmung und Vereinsamung im Alter. Es sind Ereignisse, die uns den Boden unter den Füßen wegziehen. Das ganze Leben wird auf einmal infrage gestellt. Alle Gewissheiten und Hoffnungen sind dahin. Bitterkeit kommt auf. Trostlos sind die Tage und werden zur Qual. Kein Licht am Ende des Tunnels.
Gerade in solchen Zeiten suchen wir nach Erklärungen. Es lässt sich das leidvolle Schicksal ja leichter ertragen, wenn wir eine Erklärung dafür haben und Zusammenhänge erkennen von Ursache und Wirkung. Dann könnte man sogar etwas dagegen tun. Doch es gibt Leid, für das es überhaupt gar keine Erklärung gibt, wo wir auf unsere Warum-Fragen keine Antworten finden und unser Nachforschen an einer undurchdringlichen Wand endet. Wir werfen unser Warum Gott entgegen. Er aber scheint zu schweigen. Mancher hat deswegen seinen Glauben an ihn verloren, erwartet nichts mehr von ihm und will von ihm nichts mehr wissen.

Der Mann Hiob tat das nicht. Das Hiobbuch im Alten Testament erzählt seine Geschichte. Er ist allerdings keine historische Person, sondern eine erfundene. In seiner Geschichte wurde der Frage nach dem Leid der Menschen nachgegangen und versucht, den Umgang mit ihm zu bewältigen. In Hiob können auch wir uns wiederfinden. Und deswegen können auch wir heute Wichtiges und Hilfreiches für uns herauslesen.
Zu Beginn befindet sich Hiob auf der Höhe irdischen Glücks. Er ist in allem reichlich gesegnet. Doch dann kommt es anders. Ihm wird alles genommen, was er hat. Seine Kinder kommen durch einen Unfall zu Tode. Er verliert sein ganzes Vermögen. Schließlich quält und entstellt ihn eine schreckliche Krankheit. Er wünscht sich von Gott sogar den Tod– quasi wie eine Art Gnadenstoß, der ihn von seinen Qualen erlöst. Wir erkennen in seinem Ergehen die ganze Brüchigkeit menschlichen Lebens und die bei vielen leidenden Menschen vorhandene Sehnsucht nach einem Tod, der von Krankheit und Leid befreit und erlöst.
Dabei klagt Hiob immer wieder Gott an. Er, der nie Unrechtes getan hat, wird von Gott so gestraft – totales Unrecht. Seine Freunde wollen ihn trösten, indem sie ihm erklären, dass seine Sicht der Dinge falsch ist. Es kann ja doch gar nicht anders sein, als dass er Unrechtes getan haben muss. Dass Gott Vergehen der Menschen straft, das ist auch für Hiob zunächst unumstößlich. Dass Gott aber ihn ins Unglück gestürzt hat, empfindet er als ungerecht, da er nie Unrechtes getan hat. Den Vorwurf seiner Freunde, ein Frevler zu sein, findet er daher als ungeheuerlich, zumal ihn deswegen nun auch seine Mitmenschen im Stich gelassen und ihn aus ihrer Gemeinschaft ausgestoßen haben. Niemand ist da, der seine Unschuld anerkennt. Und wenn er erst einmal gestorben ist, bleiben die Verleumdungen unwiderlegt und werden fortgesetzt.
Hiobs Lebens- und Überlebenswille ist jedoch nicht gebrochen, im Gegenteil. Hoffnungsvoll spricht er: Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt (Monatsspruch) und äußert sodann den Wunsch, dass er zu seinen Lebzeiten Gott als diesen Erlöser schaut. Er kennt ja aus der Geschichte seines Volkes Gott als einen erlösenden und befreienden Gott.

Wir Christen denken bei dem Wort Erlöser unwillkürlich an Jesus Christus. Doch von ihm wusste Hiob noch nichts, auch nichts von einer Auferstehungshoffnung und dem ewigen Leben. Hiobs Hoffnungen richteten sich hier darauf, dass Gott ihn von den Verleumdungen und seinen Verleumdern löst, so dass alle Menschen seine Unschuld anerkennen müssen – und zwar noch zu seinen Lebzeiten. Hiob ist sich dessen gewiss, Gott wird quasi als Schutzzeuge und Anwalt einschreiten, um allen zu zeigen, wie recht er mit seinen Unschuldsbeteuerungen hat und wie unrecht auch Gott handelt, der ihn leiden lässt trotz seiner Unschuld. Er setzt auf Gott gegen Gott – und wird enttäuscht.
Hiobs Verhalten und Enttäuschungen sind uns Menschen nicht fremd. Das Bild, das viele von Gott haben, ist ähnlich dem des Hiob: Gott ist in der Weise gerecht, dass er Gutes belohnt und Böses bestraft. Mit diesem Gottesbild kommt Hiob angesichts seines Leides überhaupt nicht mehr klar, so wie auch wir heute nicht. Den Bösen geht es doch oft besser als denen, die sich zu Gott halten. Und in ihrem ungerechten und böswilligen Verhalten stiften sie Unfrieden, schüren Neid und Hass und zerstören menschliche Gemeinschaft. Die bunte Welt Gottes ist nicht eine heile Welt. Unheil geschieht und bleibt ohne Happy End. Menschen müssen grundlos und sinnlos leiden. Die Rätsel des Lebens werden nicht aufgelöst. In den Wirrnissen und Tragödien der Welt scheint Gott so unendlich fern zu sein. Das ist auch uns ein Stachel, eine Anfechtung. Auf unsere Warum-Fragen gibt es keine vernünftigen Antworten. Jeder Versuch zerbricht an diesem Gottesbild. Das hat schon so manchen in Verzweiflung getrieben.

Doch Gott ist allemal anders. Das aber zu erkennen, so weit war Hiob noch nicht. Er kämpfte um sein Gottesbild. In diesem Kampf kam er an einen Punkt, wo er es sein ließ, nicht mehr über Gott zu reden, sondern ihm zuzuhören und mit ihm zu reden. Ihm ging dabei auf: Menschlicher Verstand, menschliche Einsicht und menschliches Können sind viel zu gering, als dass sie in der Lage wären, Gottes sinnvolle und für den Menschen gedeihliche Ordnung zu erkennen. Für den Menschen bleibt sie undurchschaubar.
In unserer heutigen Zeit können wir es so sagen: Die Vorstellung, dass das Leben planbar, dass die Lebensrisiken beherrschbar, das alles machbar ist, so als wären wir Gott, ist eine trügerische Vorstellung. Doch unser Stolz verbietet es uns häufig einzugestehen, dass es für uns Grenzen des Verstehbaren und Machbaren gibt, und werkeln munter drauf los, ohne zu wissen, was das alles für negative Auswirkungen auf menschliches Leben hat. Beispiele dazu kennt jeder.
Zurück zu Hiob. Er muss sich entscheiden, ob er seinem Gottesbild treu bleibt und sich folgerichtig als höchste Instanz über diesen Gott stellt und sein will wie Gott. Doch das würde nach seinem Gottesbild bedeuten, er müsste sich sogleich selbst richten. Denn nach diesem Gottesbild wäre er ein todeswürdiger Verbrecher. Hiob entscheidet sich, und zwar zu einer echten und radikalen Umkehr zu Gott hin, und wird dabei ein ganz Neuer. Nicht, indem Gott nun damit sein Leiden beendet. Sondern er wird ein ganz Neuer, weil nun durch die Gemeinschaft mit Gott in ihm eine innere Wandlung geschehen ist. In solcher vollen Gemeinschaft mit Gott verstummt auch seine Anklage gegen Gott. Er kann nun sein Schicksal annehmen und ertragen, auch wenn Gottes Handeln undurchschaubar und rätselhaft bleibt. Die Gemeinschaft mit Gott überwiegt alles – auch die Rätsel im menschlichen Leben. Äußere Not, auch wenn sie noch so sehr schmerzt, kann ihn nicht mehr quälen. Denn in der Gemeinschaft mit Gott besteht das eigentliche Wesen menschlichen Lebens. Das hat er nun erkannt und daraus lebt er nun. So bittet er schließlich Gott, von der Bestrafung seiner Freunde wegen ihres Verhaltens gegen ihn und Gott abzusehen.

Viele Menschen bis heute sind diesen Weg der Umkehr und des Glaubens gegangen, manchmal wie auf einem Weg durch die Hölle. Doch dann, in Gottes Gemeinschaft, öffnete sich das finstere Tal. Gott ist da, auch wenn ich ihn nicht verstehe. Gott ist da, auch wenn ich jetzt leide. Sogar noch mehr, Gott hilft mir und er trägt mich auch in den schweren Stunden meines Lebens.

Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt. Dieser Satz Hiobs ist in der Christenheit bis heute immer auch als Beweis für die Lehre der Auferstehung verstanden worden. Doch das ist unhaltbar, worauf ich hier aber nicht näher eingehen kann.
Er ist aber vor allem auf Christus hin verstanden worden. Und das nicht zu Unrecht, jedoch in einer anderen Bedeutung. Der Erlöser ist der vom Tod auferstandene Christus, Gottes Sohn. Er ist der einzige, der uns erlösen kann von den Übeln dieser Welt – von Sünde und Schuld, von Krankheit und Leid und vom Tod. Setzen wir unser Vertrauen allein auf ihn, wie gut oder schlecht es uns auch gehen mag, so eröffnet er uns Anteil an der Gemeinschaft mit Gott. Und das heißt, wir werden befreit von den Übeln menschlichen Lebens und in ewiger Gemeinschaft mit Gott leben.
Und so wie Jesus damals mit seinen Wundern einen Hinweis gab, wie ein Leben in voller Gemeinschaft mit Gott aussieht, so gab Gott dem Hiob auch einen solchen Hinweis: Er wurde geheilt. Sein Vermögen wurde überreichlich vermehrt. Seine Ehre und sein Ansehen wurden wiederhergestellt. Er bekam wieder 10 Kinder und wurde 140 Jahre alt. Sein Leben klang in Frieden und Harmonie aus – im kräftigen Segen Gottes, der immer anders ist, als wir ihn uns vorstellen: ein Gott der Güte, Liebe und Gnade. Und das auch in allem Leide, wie wir ihn beispielsweise im Lied „In dir ist Freude in allem Leide, o du süßer Jesu Christ“ (EG 398) dafür loben.
So ist Gott: In Jesus Christus ist er lebendig als unser Erlöser.