1 Kor 7,23: Ihr seid teuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte.

Wir wissen, Knechte und Mägde sind solche, die anderen untertan sind, ihren Herren dienen müssen, ob sie wollen oder nicht. Sie haben keine Möglichkeit, selbst zu entscheiden, was sie tun oder lassen wollen. Sie sind in diesem Sinn unfrei. Der Apostel Paulus warnt davor, in solche Unfreiheit zurück zu fallen. Daraus ist zu schlussfolgern, dass die Christen in Korinth, denen er das schreibt, frei sind, obwohl viele unter ihnen Sklaven sind. Sie alle sind befreite Menschen. Ihre Freiheit wurde teuer erkauft. Daran erinnert er sie.

Wir merken daraus, Paulus hat hier eine ganz bestimmte Vorstellung von Freiheit.
Er meint jedenfalls nicht die Freiheit, sich in einer bestimmten Situation so oder auch anders entscheiden zu können, Freiheit also im Sinne von Wahlfreiheit.
Er will Freiheit hier auch nicht verstanden wissen als ein Freisein in dem Sinn, etwas ungezwungen aus eigenem Antrieb zu tun (Freiheit zur Spontaneität und Selbstverwirklichung).
Dann kennen wir noch die Lebensfreiheit. Bei ihr ist der Mensch dann frei, wenn er so leben kann, dass sich die wahre Bestimmung seines Lebens erfüllt. Unfrei ist er, wenn er im Banne von Mächten und Menschen lebt, die ihn von dieser Bestimmung fernhalten, entfremden.


Paulus denkt, wenn er von Freiheit spricht, immer im Sinne von Lebensfreiheit, bringt aber Gott dabei mit zur Sprache. Die Freiheit oder Unfreiheit eines Menschen entscheidet sich an seinem Verhältnis zu Gott. Denn der Mensch erreicht seine wahre Bestimmung erst, wenn er dem Ruf Gottes folgt und sich ihm, dem Schöpfer des Lebens, zuwendet. Seine wahre Bestimmung besteht in der Teilhabe am ewigen Leben und somit dem Ende aller Übel, die es in der Welt gibt. Darauf ist im Grunde genommen auch all seine Sehnsucht gerichtet. Lässt er sich von Christus rufen und folgt ihm, glaubt also an ihn und lässt sich taufen, so bricht der Bann der Sündenmacht, die ihn bisher von Gott entfremdet hat. Solche Freiheit ist ein Geschenk, denn der Mensch kann sich zu seiner wahren Bestimmung nicht selbst befreien. Sie bekommt er nur geschenkt durch den Kreuzestod Jesu und seine Auferstehung. Das ist das teure Lösegeld, von dem Paulus spricht. Erst so wird der Mensch frei, frei von der Macht der Sünde, und wird nun ein Kind Gottes in seinem ewigen Reich. Kinder Gottes sind befreite Menschen, befreit zu einem Leben, das sich nun am Evangelium Jesu orientieren kann. Der gesellschaftliche Status, den die Christen im Einzelnen haben, ist dann nicht mehr entscheidend, weil er nicht zu ihrer wahren Bestimmung verhilft. Christen leben ihr Christenleben, so können wir Paulus interpretieren, in den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen sie sich jeweils vorfinden.

Viele von uns wissen freilich, dass dies oft genug auch missbraucht wurde. Gesellschaftlich Unterprivilegierte und Ausgebeutete wurden und werden niedergehalten sogar mit der Begründung, es sei gottgewollt. Daher hätten sie sich in ihr Schicksal zu fügen. Im Neuen Testament würde schließlich nirgends der Sklavenbefreiung das Wort geredet. Das Letzte stimmt. Doch zu Paulus´ Zeiten waren Gedanken über eine allgemeine Sklavenbefreiung ganz und gar utopisch. Deshalb können wir heute im Sinne von Paulus ergänzen: Wenn allerdings die Verhältnisse für einen Wandel erfüllt sind und die Stunde gekommen ist, dann kann der Wandel auch vollzogen werden, dann soll die Gelegenheit auch ergriffen werden, Freiheiten zu erlangen.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich, dass in der ehemaligen DDR oft heftig diskutiert wurde, wie sich die Christen gegenüber dem Staat verhalten sollten. Viele leisteten damals passiven Widerstand gegen politische und gesellschaftliche Entscheidungen und Maßnahmen der Staatsführung oder ertrugen sie einfach und machten noch das Beste daraus. Schon damals, aber besonders nach der friedlichen Revolution, wurde ihnen und auch den Kirchenleitungen oft der Vorwurf gemacht, sie seien letztlich zu feige gewesen, um dem Staat Paroli zu bieten. Sie hätten einen Schmusekurs gefahren, um ernsthafte Schläge gegen die Kirche und gegen sich selbst zu vermeiden. Darauf kann man nur erwidern, dass viele Christen die Verhältnisse deutlich beim Namen genannt hatten, jedoch vor einem gewaltsamen Widerstand gewarnt hatten. Die Verhältnisse für einen Wandel reiften erst wenige Zeit vor der Wende heran. Erst da war die Stunde gekommen, diese Mächtigen abzuschütteln und die gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern.

Werdet nicht der Menschen Knechte. Diesen Satzteil dürfen wir also nicht losgelöst vom vorderen Satzteil verstehen. Er wird falsch, wenn er generell benutzt wird, um sich Freiheiten mit Gewalt zu erkämpfen, um die Mächtigen in die Knie zu zwingen und die Ausbeutung und die moderne Sklaverei in den Betrieben und Institutionen auf diese Weise los zu werden. Natürlich will Christus nicht, dass Menschen durch die Mächtigen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft niedergehalten und ausgebeutet werden, dass man sie für einen Hungerlohn abspeist, dass sie mit Hass überzogen und ausgegrenzt werden, dass sie geknechtet und ihrer Würde beraubt werden, so wie wir das heutzutage leider eindrücklich und schmerzlich erleben. Jesus stand indes selbst an der Seite der Armen, Bedrängten, Verfolgten und Gebeutelten, setzte sich für sie ein, half ihnen weiter, sprach ihnen das Heil zu, z.B. in der Bergpredigt. Dass Veränderungen mit Gewalt erstritten werden, dagegen wandte er sich z.B. in seiner Rede an die Jünger mit den Worten: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. (Mk 10,42-44) Dienen statt Herrschen-Wollen. Macht und Gewalt ausüben ist nicht die Regierweise im Reich Gottes. Sondern es ist die Liebe Gottes zu uns Menschen, wie sie Jesus Christus lebte und austeilte. Er hat sie durchgehalten bis ans Kreuz und durch den Tod hindurch, damit wir zum wahren Leben gelangen. Von solcher Liebe sollen auch unsere Mitmenschen profitieren – durch uns. Liebe austeilen, anderen dienen. Dazu sind wir als Kinder Gottes befreit. Befreit zum Dienen.

Martin Luther brachte es in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ auf die prägnante Kurzformel: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“
Solches Dienen hat mit Knechtschaft nichts zu tun. Denn dahinter steht nicht ein Mächtiger, der dazu zwingt, sondern es geschieht aus freien Stücken, aus Liebe zu Gott, zu dem wir Christen als seine Kinder gehören.

Werdet nicht der Menschen Knechte. Knechte der Menschen werden Christen, wenn sie ihre Kindschaft Gottes gering achten oder vergessen. Das so gestörte Verhältnis zu Gott lässt sie wieder zurückfallen in die Fesseln, von denen sie befreit wurden. Sie werden wieder unfrei, Knechte von Mächten und Mächtigen dieser Welt. Das sind sie auch dann, wenn sie ihre Lebensgestaltung selbstbestimmt in die eigenen Hände nehmen – Selbstverwirklichung ist das Schlagwort. Die dadurch vermeintlich gewonnene Freiheit ist trügerisch. Denn in Wahrheit setzen sie sich an Gottes Stelle und verdrängen Gott, ihren Schöpfer, der dann nur noch wenig oder gar nicht mehr gehört wird.
Eigentlich wissen wir das. Aber wir sind nicht anders als die Korinther. Selbst Macht haben und herrschen wollen. Wer von uns ist denn frei davon? Über das eigenen Leben selbstverwirklichend bestimmen wollen und sich dabei von niemandem, auch nicht von Gott, reinreden lassen zu wollen. Wem ist das nicht schon in den Sinn gekommen? Wir stehen immer in der Gefahr, unsere Gotteskindschaft zu verlieren und damit unsere von Gott geschenkte Befreiung von Menschen und Mächten dieser Welt, die uns in ihren Bann ziehen und binden wollen. Dann aber verfehlen wir die wahre Bestimmung unseres Lebens. Paulus wollte nicht, dass es bei den Korinthern so weit kommt. Auch bei uns soll es nicht so weit kommen. Deshalb gilt auch uns seine Mahnung: Ihr seid teuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte.