Wenn sich Menschen versöhnen, so heißt das doch nichts anderes, als mit einander Frieden schließen und in Frieden miteinander leben und auskommen. Das, was bisher zu Unstimmigkeiten, zum Hass und zum Zorn führte, soll keine Rolle mehr spielen. Es soll nicht mehr zwischen den Betroffenen stehen.
Im Grunde seines Herzens wünscht sich wohl jeder Mensch, in Frieden mit anderen auszukommen. Aber die Realität sieht meist anders aus. Eigeninteressen, die gegen die Interessen des anderen stehen, und Misstrauen werden nicht überwunden. Oder die Kraft, um über den eigenen Schatten zu springen, fehlt. Wie auch immer: Zum Frieden, zur Versöhnung bisheriger Gegner müssen beide willig sein. Am eindrücklichsten kennen wir das aus unseren Familien. Da kehrt doch erst dann wirklich Friede zwischen Eltern und Kindern oder Geschwistern ein, wenn sich alle Betroffenen einig sind, dass die Gründe, die zum Streit und Unfrieden führten, ausgeräumt sind und keine Rolle mehr spielen.

Wir erleben gerade in unserer Gesellschaft und in der ganzen Welt leider eine andere Entwicklung. Der Streit und das Säbelrasseln haben zugenommen. Die Verfolgung von Eigeninteressen gefährdet den inneren Frieden wie auch den Weltfrieden. Extremistische Bewegungen, wo nur die eigenen Interessen und die eigene Ideologie zählen und sie z.T. mit Macht und Terror auch durchgesetzt werden, wachsen. Da haben es Bestrebungen, sich die Hand zur Versöhnung, zum Beilegen der Feindschaft und zum Frieden zu reichen, sehr schwer.

Versöhnung ist grundsätzlich immer nur möglich, wo nach einem Zerwürfnis „der Schuldige“ sein verübtes Unrecht einsieht, Reue zeigt und vom bisherigen Verhalten umkehrt, und der, dem ein Unrecht geschah, auf Rache und Strafe verzichtet, sowie beide sich wechselseitig vorbehaltlos (wieder) anerkennen. Auch in den Erzählungen der Bibel begegnet uns dieses Grundverständnis.

Der Apostel Paulus geht in seinem Brief an die Römer und in seinem 2. Korintherbrief dem Versöhnungsgedanken sehr tiefgründig nach. Das von ihm verwendete griechische Wort katallassō, das wir mit „versöhnen“ übersetzen, bedeutet „von oben her verändern, verwandeln“. Doch er verwendet es nur einmal in zwischenmenschlichen Bezügen, ansonsten nur hinsichtlich der Beziehungen zwischen Gott und uns Menschen, so auch im Spruch für diesen Monat: Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat.

Ich vermute, nicht alle werden Paulus zustimmen, der doch davon ausgeht, dass das Verhältnis zwischen Gott und dem Mensch gestört ist und daher versöhnt werden muss. Denn viele stellen sich ja die Frage, warum denn das Verhältnis zwischen uns Menschen und Gott verändert werden muss und ob es wirklich wie eine Feindschaft zwischen ihm und uns ist. Muss man sich denn wirklich so viele Gedanken darüber machen, wenn man ihm gegenüber immer wieder einmal etwas falsch macht? Zudem, wenn er uns liebt, dann vergibt er es uns doch auch? Paulus würde sagen: Du hast dein totales Verkehrtsein vor Gott noch gar nicht richtig erkannt. Nämlich dass du dich mit deinem Herzen immer wieder von Gott abkehrst, dass du deine eigenen Wege, also immer wieder ohne ihn im Leben gehst, dass du dein Vertrauen eher auf dich selbst setzt als auf Gott, dass du nicht mehr mit ihm redest und du vielleicht nichts mehr von ihm wissen willst, das alles ist Feindschaft gegen Gott, ist Sünde. Es ist doch so, dass du meinst, du kannst dein Leben selbst meistern und alles zum Guten wenden. Nur dort, wo das absolut nicht klappen will, da bittest du Gott mal eben um Hilfe. Gott, zum Wunscherfüller degradiert. Aber Herr sein über das ganze Leben, das darf er nicht. Das ist deine eigentliche Sünde. Und sie hält dich und alle Menschen seit ihrem Einbruch in die Menschheitsgeschichte gefangen. Von allein kannst du auch gar nicht anders. Du bist ihr verfallen. Und sie zieht unweigerlich den Tod nach sich, das Ende des Lebens, das dir Gott eigentlich zugedacht hat. Denn der Sünder muss sterben, wenn, ja wenn diese Feindschaft zwischen Gott und ihm nicht aufgehoben wird. Kreuzigung und Auferstehung Christi – das nun ist das Ereignis, durch das Gott selbst unsere Lage verändert und verwandelt hat.

Das also will Paulus uns Menschen verkünden: Ohne unser Mittun beendete er in Jesus Christus die von uns Menschen bewirkte Feindschaft und versöhnte somit die Menschheit mit sich. Es ist Gott in Jesus Christus selbst, „der Heil und Leben mit sich bringt“, wie wir im Adventslied „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ singen.

Gott veränderte unsere Lage, beendete die Macht der Sünde und schuf Versöhnung und Frieden mit uns. Gottes Geschenk an uns, weil er uns liebt. In seiner bedingungslosen Liebe empfangen wir so Frieden mit ihm und mit uns selbst. Doch Gott kommt mit der geschenkten Versöhnung nur zum Ziel, wenn ihr zugestimmt und sie angenommen wird. Und wer Gottes versöhnendes Handeln in Christus für sich geschehen lässt, wer das annimmt und in seinem Leben darauf vertraut – und das heißt an Christus glaubt -, für den endet die Feindschaft zwischen Gott. Der ist versöhnt mit ihm, hat Frieden mit ihm, Heil und Leben. Gott hat alles getan, damit die Feindschaft ein Ende hat. Wir müssen es nur noch im Glauben ergreifen.

Also: Wir selbst können uns nicht mit Gott aussöhnen. Selbst unsere Anstrengungen, unser Verhältnis zu Gott selbst bestimmen und gestalten zu wollen, bleibt Sünde, sagt die Bibel. Sünde verbirgt sich auch in unseren selbstgefälligen frommen Werken, im Gut-dastehen-Wollen, im „Gutmenschentum“ und in unserer unstillbaren Sehnsucht nach Erfolg und Anerkennung.
Wie anders die Versöhnung ist, die Gott uns anbietet, ahnen wir erst, wenn mit Christus all das stirbt, womit wir uns selbst ins rechte Licht rücken wollen. Freilich, das geschehen zu lassen, fällt uns immer wieder schwer. Und deshalb haben wir es auch immer wieder schwer, unser Leben nach vorn zu leben - in Frieden mit Gott und den Menschen, auf neuen Wegen, mit neuen Anfängen, glücklich und befreit und fähig, sich nun um uns herum und in der Welt für Versöhnung und Frieden einzusetzen. Doch dies ist der einzige Weg, nun auch mit unseren Mitmenschen in Frieden und Eintracht und im Einklang mit der Schöpfung leben zu können.