Am 4. Oktober begehen wir in Deutschland das 30-jährige Jubiläum der Wiedervereinigung. Seit Wochen schon blicken die Medien auf die Zeit davor und danach zurück. Licht- und Schattenseiten, Freudiges und auch Schmerzliches, das mit der Wiedervereinigung verbunden ist, wird nicht verschwiegen. Und das ist gut so. Es gab und gibt nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer. Es war ein Ereignis, das die Biografie von fast allen Menschen in der ehemaligen DDR verändert hat, auch die Art ihres Lebens, ihrer Lebensweise, ihres Zusammenlebens. Aber auch auf die Menschen in der alten Bundesrepublik blieb es nicht ohne Auswirkungen.

Über manches freuen wir uns, anderes gibt uns zu denken. Nach-denken will ich heute einmal über uns Christen. Wir gehören ja einerseits zur politischen Gemeinde, zu diesem Staatswesen Bundesrepublik. Andererseits gehören wir zu Jesus Christus, unserm Herrn, und haben unseren besonderen Auftrag in dieser Welt, in diesem Staat. Christen sollen das Salz der Erde und Licht der Welt sein. So lesen wir es in der Bergpredigt.

Der Spruch für den Monat Oktober ist mir in diesem Zusammenhang schon immer sehr wichtig gewesen: Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl. (Jer 29,7)

Was damals Menschen gesagt wurde, die durch Krieg und durch Verschleppung fern der Heimat leben mussten, ist heute nicht weniger aktuell und manchmal auch nicht leichter als damals. Christen sollen das Beste für ihren Ort, für ihr Land suchen, wo sie leben. Viele, denen ich begegne, meinen, das sei zu viel verlangt. Schließlich, wer kann genau sagen, was das Beste für alle ist. Zudem gibt es viele Kleingläubige unter uns. Viel von ihnen haben resigniert, weil manches doch nicht so geworden ist, wie man es erhofft hatte, oder wie es Politiker hin und wieder versprochen hatten. Es gibt viele, die sich deshalb wieder in ihre Nische zurückgezogen haben, ähnlich wie zu DDR-Zeiten. Die Parteien klagen über Mitgliederschwund, Politikverdrossenheit und zurückgehendes Engagement, ebenso viele Vereine, auch die Kirchen. Die meisten Menschen denken: "Hauptsache, ich komme mit meinen eignen Sachen klar. Das andere ist mir egal." Wer sich auf diese Art und Weise zurückzieht, baut allerdings neue Mauern. Sie durchziehen das ganze Gemeinwesen, grenzen uns voneinander ab und sind schädlich für das Gemeinwohl. So soll es aber bei uns nicht sein. Suchet der Stadt Bestes, wird uns gesagt, und dann noch: betet für sie zum HERRN.

Doch Hand aufs Herz, beten wir für unseren Ort, für unser Bundesland, für die Bundesrepublik? Beten wir Christen für die Politiker, die Politiker für die anderen? Wen schließen wir in unsere Gebete ein - nur die, die uns genehm sind oder auch andere, die Verantwortung in diesem Gemeinwesen tragen, auch als Opposition? Beten wir auch für die, die ausgetreten sind aus der Kirche oder die gleichgültig sind in unserem Land? Oder nehmen wir das einfach so hin in der Hoffnung auf "bessere Zeiten"?

Wer füreinander betet, der denkt, redet und handelt anders miteinander. Wer für den betet, mit dem er Probleme hat, der kann ihm letztlich nicht den Rücken kehren oder ihm in den Rücken fallen, sondern muss sich ihm zuwenden. Beten schließt natürlich Taten, auch das politische Tagesgeschäft, nicht aus. Wir sollen beten, aber nicht die Hände in den Schoß legen. Zudem sollen wir dabei auf das Wohl aller Menschen in unseren Orten und im Lande bedacht sein, so ist das „Suchen des Besten“ zu verstehen. An dieses Ziel, an solche Aufgaben sollen wir die Politiker, die Manager in der Wirtschaft und alle Menschen, die Verantwortung zu tragen haben, immer wieder erinnern. Denn oft gibt es Anlass, daran zu zweifeln. Sie tragen eine hohe Verantwortung auch gegenüber Gott. Denn gute Politik zu betreiben, ist auch eine Gabe Gottes, die gebraucht und auch eingesetzt werden soll. Aber das macht das Beten ja nicht überflüssig. Beten ist schließlich durch keine andere Tat ersetzbar, austauschbar.

Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum HERRN. Das ist aber nicht nur eine Ermahnung an Politiker, Wirtschaftsmanager usw., sondern an jeden von uns. Denn ob es uns wohl geht, hängt letztlich nicht nur von ihnen ab, sondern liegt ebenso in unser aller Hand. Und das will heißen: Gleich, in welcher Lage du dich befindest - erkenne diese Stunde als Stunde Gottes, nimm sie so an und kaufe die Zeit aus, nutze sie also zum Wohle deiner Mitmenschen. Wir müssen uns selbst und anderen immer wieder deutlich machen: Wir haben den Auftrag von Gott, unsere Gegenwart zu gestalten und nicht mit in den Schoß gelegten Händen auf ein besseres Morgen zu warten. Wir sollen nicht versäumen, für unsere Mitmenschen zu beten und uns zugleich für ihr Wohl einzusetzen.