„Nach menschlichem Ermessen gibt es da keine Chance mehr.“ So hören wir Menschen erschüttert reden, wenn sie überhaupt keine Hoffnung mehr haben und keinen Sinn mehr in einem Geschehen erkennen und vielleicht sogar das bittere Ende kommen sehen. Z.B. wenn Katastrophen über die Menschen kommen, bei Unfällen, bei tödlichen Krankheiten. Manche sagen dann: Da hilft nur noch beten. Ich kenne viele, die angesichts von Leid, Krankheit und Tod genau dies getan haben und später bekannt haben: Not lehrt beten. Doch stimmt das immer? Ist es nicht überwiegend so, dass die Not große Lebens- und Sinnfragen aufwirft und nach Antworten und Lösungen gesucht wird? Ist es nicht so: „Not macht erfinderisch“? Und wenn keine Antworten und Lösungen gefunden werden, treibt das nicht auch in die Verzweiflung?

Wir machen einen Sprung zurück in das Jahr 701 vor Christus. Zu der Zeit wurde Juda, das Südreich von Israel, von König Hiskia regiert, der uns als Vorbild für das Vertrauen zu Gott geschildert wird. Er und die Jerusalemer Einwohner gerieten im genannten Jahr in allergrößte Not. Der assyrische Großkönig Sanherib hatte bereits alle Territorien von König Hiskia um Jerusalem herum erobert und es unter die ihm treugebliebenen Philisterkönige aufgeteilt. Nur Jerusalem war noch nicht in seine Hand gefallen. Die Stadt wurde belagert. Ein hoher Beamter von Sanherib, der Rabschake, erschien vor Jerusalem und beleidigte und verhöhnte Gott und die Jerusalemer, weil sie immer noch an ihrem Gott festhielten, der doch niemals in der Lage sei, sie zu schützen. Denn Assyrien hat bisher alle Völker erobert und deren Götter haben genauso wenig ausrichten können wie jetzt der Gott Israels. Die Stadt wird nun ebenfalls in die Hände seines Großkönigs fallen. Da sollen sie doch lieber aufgeben, wenn ihnen ihr Leben lieb ist.
Hiskia weiß von den großen Erfolgen Sanheribs, und dass die unterworfenen Völker von ihren Göttern keine Hilfe empfangen hatten. Er sah sich und die Jerusalemer nun tatsächlich in großer und lebensbedrohlicher Not. Hiskia geht in den Tempel und betet zu Gott. Er preist ihn nicht nur als Schöpfer des Himmels und der Erde, sondern als alleinigen Gott über alle Königreiche der Erde. Beim Beten gewinnt er Klarheit über den Platz, der Gott und der dem Menschen gebührt - auch hinsichtlich der Machtfrage. Nun gewinnt er neues Vertrauen, aus dem heraus er bittet: HERR, neige deine Ohren und höre; HERR, tu deine Augen auf und sieh (2 Kön 19,16 - Monatsspruch für August) und höre die Worte Sanheribs, der hergesandt hat, um dem lebendigen Gott Hohn zu sprechen (so geht die Bitte des Hiskia weiter). Im Übrigen gibt Sanherib später die Belagerung auf und zieht mit seinen Truppen ab.

Not lehrt beten. Ja, das ist wohl oft so. Und zwar meist dann, wenn wir nicht weiterwissen und weiterkönnen. Da fällt uns Gott ein, an den man sich doch auch mal wenden kann. Es heißt doch auch: Ist die Not am größten, ist dir Gott am nächsten. Wir erwarten dann von ihm, dass er unsere Not lindert oder wegnimmt. Gott als Wünsche-Automat: Bittgebet an ihn – und fast wie auf Knopfdruck - Erfüllung der Bitte durch ihn. Nein, so funktioniert das nicht. Gott bleibt souverän und ist nicht unser Butler, den man ruft, ihn um etwas bittet und von ihm erwartet, dass er das Erbetene leistet.
Mit dem Beten ist es anders. Aus dem Gebet des Hiskia ist zu erkennen, worauf es letztlich ankommt: auf das Vertrauen zu Gott, auf seine uneingeschränkte Liebe und Treue zu uns. Hiskias Vertrauen zu Gott, zu seiner Liebe und Treue war groß. Unseres ist oft klein. Deshalb halten wir ihn oft aus unserem Leben heraus, machen unser eigenes Ding und rufen ihn nur an, wenn wir mit unserem Latein am Ende sind. Wir zweifeln an seiner Zusage, uns beizustehen und zu helfen. Wir zweifeln an seiner Liebe und Treue und meinen: Wenn die Not so groß ist, da kann man doch auch mal ihn anrufen und um seine Hilfe bitten. Die Enttäuschung ist aber dann oft sehr groß, wenn nicht das eintritt, worum er gebeten worden ist. Oft ist es so, dass Menschen sich dann verbittert gänzlich von ihm abwenden.
Hiskia aber wagt es, Gott anzurufen und ihn zu bitten, dass er genau hinhört und hinsieht, in welcher Not sie sich befinden. Er wagt es, weil er nicht an Gottes Treue zu seinem Volk zweifelt, obwohl die notvolle Situation und Sanheribs Worte gerade dies bewirken sollten. Aus solcher festen Zuversicht heraus wagt es Hiskia - wider allem Anschein. Martin Luther hat ein solches Verlassen auf Gottes Zusagen oft begründet mit den Worten: Gott lügt nicht. Er hält, was er verspricht. In Bezug auf das Gebet meint er: Würdig und geschickt zum Beten und zum Empfangen bist du, wenn, so wörtlich, „du dich als einen freien Waghals findest, hin auf das wahrhaftige und gewisse Zusagen deines gnädigen Gottes.“ (WA 2, 176,38 – 177,1).

Jesus ermutigt zum bedenkenlosen Vertrauen, dass Gott, unser Vater, unsere Gebete erhört und seine Zusagen hält.
Er tut das, indem er über einen Mann berichtet (Lk 11,5-8), der Mitternacht an die Tür seines Freundes klopft, um ihn um Brot zu bitten, weil er für seinen Gast selbst keines mehr hat. Was wird der wachgemachte Freund tun? Wird er ihn abweisen? Nein, sagt Jesus, er wird das Selbstverständlichste der Welt tun und Brot herausrücken. Jesus ermutigt, gegenüber Gott so bedenkenlos umzugehen wie der bittende Mann. Denn so wie auf den helfenden Freund Verlass ist, so ist auch auf Gott Verlass.
Und in einem Gleichnis (Lk 18,2-5) erzählt Jesus von einem Richter, der als hart und rücksichtslos bekannt ist. Eine Witwe bittet ihn um Beistand. Er weist sie ab. Doch weil sie ihn durch ihr Drängen belästigt und er um sich selbst besorgt ist, verschafft er ihr Recht. Auch hier macht Jesus Mut zum bedenkenlosen Vertrauen - gerade auch in dunklen Erfahrungen. Und er selbst hielt an Gott sogar in seiner Todesstunde am Kreuz fest, in der er das Verlassensein von Gott durchleben musste (Mk 15,34). Wer so betet, verlässt sich darauf, dass Gott nicht aufgibt, jeden Menschen und die Welt zu lieben.

Und alles, was wir von unserem Vater im Himmel erbitten, sollen wir im Namen Jesu, seines Sohnes tun. Er tritt für uns beim Vater ein. Der Vater hat durch den Sohn wie durch ein Werkzeug versprochen, so Martin Luther, dass er´s geben wird (Joh 16,23). Jesus versichert so denen, die an ihn glauben, dass sie von Gott erhört und nicht enttäuscht werden.
Freilich, oft sieht seine Hilfe anders aus, als wir es erhofften oder sie bleibt scheinbar aus. Doch er hilft auf seine Weise, nämlich indem er Anteil gibt an seiner Wirklichkeit, die mehr ist als das, was wir Menschen wahrnehmen und begreifen können. Von der verborgenen Wirklichkeit Gottes hören wir in den Gleichnissen und Parabeln Jesu. Wer sie hört, wird eingeladen, sich dieser Wirklichkeit zu öffnen, um so an ihr teilzuhaben und zu Gottes Reich dazu zu gehören. Darin besteht die Gewissheit, dass Gott unser Gebet erhört und seine Zusagen hält. Wenn das auch als Hilfe in unseren irdischen Nöten sichtbar und erfahrbar wird, sollten wir ihm da nicht umso mehr dankbar sein, ihn loben und preisen?