Was verstehen wir unter Weisheit? Eine umfassende Antwort haben wir nicht so schnell parat. Wir bekommen das eher in den Blick, wenn wir an bestimmte Menschen denken, die wir als eine weise Frau oder einen weisen Mann kennengelernt haben. Jemand von den Großeltern beispielsweise. Menschen, die uns mit einer ganz bestimmten Lebenshaltung beeindruckt haben, die mehr ist als nur Bildung und Klugheit, sondern eher auf das praktische Leben gerichtet ist. Ein weiser Mensch denkt nicht nur über die Dinge nach, sondern erfasst sie mit seinen Sinnen, so dass er sie ganzheitlich von innen heraus versteht. Weisheit ist kein äußeres Wissen, sondern hat mit Sehen und Erblicken des tieferen Sinnes zu tun, und zwar aufgrund von Erfahrung, von Lebenserfahrung. Es geht um ein Wissen über den Sinn des Lebens, über den Sinn des eigenen Lebens und das von anderen. Und es geht darum, was man tun kann oder auch, was man lassen sollte, um ein wirklich sinnerfülltes, glückliches Leben führen zu können und es auch anderen zu ermöglichen. Meist sind es ältere Menschen wie z.B. Großeltern, die solches Wissen aus ihrer Lebenserfahrung haben und sie zufrieden und glücklich sein lässt. Solche Lebensweisheiten aus eigenen und fremden Lebenserfahrungen prägen dann oft ihr ganzes Leben. Denn es geht dabei immer darum, den Sinn des eigenen Lebens nicht zu verlieren und nicht unglücklich, unzufrieden und haltlos zu werden.

Natürlich sind nicht alle Menschen in gleichem Maße weise. Mancher ist zwar weise hinsichtlich des eigenen Lebenswandels, aber nicht in Bezug z.B. auf die Gerechtigkeit, den Umgang mit Reichtum im privaten wie öffentlichen Bereich und auf das Verhalten gegenüber den Mächtigen. Der Weise kennt die aufbauende Macht des Guten und die zerstörende Mach des Bösen und zieht daraus Schlüsse für sein eigenes Verhalten. Weisheit durchdringt eben nicht bei allen Menschen in gleicher Weise die Lebensbereiche.

Nun lesen wir im biblischen Buch Jesus Sirach unseren Monatsspruch: Gott lieben, das ist die allerschönste Weisheit. Er stammt aus der Feder eines gut gebildeten, weisen Mannes mit Namen Jesus Sirach. Er unterrichtete Jugendliche und vermittelte ihnen alle Aspekte der Bildung, die ein junger Mann in Israel um 200 v. Chr. brauchte. Dieses nach ihm benannte biblische Buch verstand er als Lehrbuch zu den religiösen Traditionen Israels. Er versuchte, Tempelkult, die 5 Bücher Mose und weisheitliches Denken miteinander zu verbinden. Und einer seiner grundsätzlichen Lehrsätze lautet nun: Gott lieben, das ist die allerschönste Weisheit.

Wie kommt er jedoch zu einer solchen grundsätzlichen Erkenntnis? Nun, er ist einer, der mit Gott in seinem Leben eigene positive Erfahrungen gemacht hat und daher ihm vertraut und ihn liebt. Und er weiß auch, wie Israel über die vielen Jahrhunderte Gott erlebt hat, nämlich als Retter, Befreier, als einen, der Leben schenkt und erhält. Der zu den Seinen steht, was auch immer auf sie zukommt und wie ablehnend auch immer die Menschen über ihn denken und ihn nicht beachten, weil ihnen der Glaube an Gott widervernünftig erscheint. Jesus Sirach mit seiner Gottesliebe und Ehrfurcht vor ihm und mit den Gotteserfahrungen Israels in dessen Geschichte erfasste die Dinge um ihn herum ganzheitlich, klammerte Gott also nicht aus und erkannte einen tieferen Sinn in all den Geschehnissen, die dem verborgen bleiben, der sie nur mit Bildung und menschlicher Klugheit durchdenkt. Er erkannte, dass ein Leben im Vertrauen zu Gott hilft, das Leben in schwierigen Zeiten zu bewältigen und dass einem gottgefälligen Leben Segen, Frieden und Glück verheißen sind, zumal wenn man sich in Gottes Namen für den Schutz der Schwachen und Gedemütigten einsetzt. Und deshalb preist Jesus Sirach diese von Gott geschenkte Weisheit mit allem, was das dann auch an ethischem Handeln bedeutet, als die allerschönste Weisheit und legt sie jedem ans Herz. Alles andere wäre – um mit Worten des Apostels Paulus zu reden – töricht (1. Kor 1,19-25).

Der sogenannte gesunde Menschenverstand klammert vor allem heutzutage Gott weitgehend aus – und damit auch die Weisheit, die durch Gott gegeben wird. Wer jedoch an Gott glaubt wird sagen können, dass der gesunde Menschenverstand durch die Gottesliebe nun erst recht gesund gemacht wird. Die täglichen Erfahrungen werden durch sie nicht unwichtig gemacht oder totgeschlagen. Sondern sie bringt sie erst richtig zur Geltung. Der Christ wird durch Gottes Wort scharfsinnig, unterscheidungsfähig und tut die nach Gottes Willen richtigen Dinge im eigenen Leben und für andere. Er hat darin seinen Herrn Jesus Christus als Vorbild, der voll göttlicher Weisheit ist (Lk 2,52; Mt 13,54) und in dem alle Schätz der Weisheit verborgen sind (Kol 2,3) und der sie in seinem Wirken zur Geltung gebracht hat.

Der Christ erkennt: Wir Menschen haben beileibe nicht alles in unserer Hand. Vieles kommt anders als menschliche Klugheit es erdacht hat und verwirklichen wollte. Er wird aber die Ohren offen haben, um durch Gottes Wort tiefer sehen zu können, damit er erkennen kann, was richtig. Er wird die Augen offen haben, um zu erkennen, was zum Segen für ihn und für seine Mitmenschen zu tun nötig ist.

Martin Luther schrieb zu Ps 119,99 (WA 48, 74,3-7): „Gottes Weisheit ist nirgends zu finden außer in seinem Wort. Wer das liebt, wert hält und immerdar damit umgehet, der ist nicht allein ein erleuchteter von Gott bewährter Doktor über alle anderen Weltweisheiten und Gelehrten, sondern auch ein Richter über alle Weisheit und Lehre, über Teufel und Menschen.“

Christen sehen es nicht anders als Jesus Sirach: Gott lieben, das ist die allerschönste Weisheit.