Mehr als früher ist in den letzten Jahrzehnten das Verlangen nach dem Segen gewachsen. Das zeigt sich nicht nur im Buchhandel an der Fülle von Geschenkbüchern, Kalendern oder Postkarten mit Segenssprüchen für sämtliche Anlässe, wobei besonders irische Segenswünsche sehr beliebt sind, in denen jedoch Gott meist gar nicht mehr vorkommt. Da findet man gute Wünsche für alle Lebenslagen und Situationen. Dennoch ist den Menschen der kirchliche Segen oft eine Herzensangelegenheit. Warum? Nun, im Einzelnen gibt es dazu viele verschiedene Gründe. Doch wird er insbesondere begehrt in Begegnungs- und Abschiedssituationen, wie z.B. vor Reisen und Trennungen, bei Umbrüchen oder an Wendepunkten im Leben, in Ängsten. Ihnen liegt eine tiefe Sehnsucht zugrunde nach Bewahrung, Besserung der Lebensverhältnisse, Glück und Wohlbefinden. Diese Menschen „spüren“, dass sie durch den Vollzug des Segens in einen Beziehungsraum mit Gott treten, auch wenn sie diesen Gott kaum kennen, und dass in diesem Beziehungsraum ihr eigenes Leben sich ihnen zumindest verdeutlicht und dieser Raum von Verheißungen erfüllt ist.

Im Spruch für diesen Monat aus Gen 27,28 geht es auch um den Segen. Er lautet: Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle. Mit diesen Worten spricht der greise Isaak, der Sohn Abrahams, seinem Sohn Jakob den Segen Gottes zu. Wie unschwer zu erkennen ist, wird Jakob verheißen, dass er all das bekommt, was die Fruchtbarkeit seines Ackerlandes und die Früchte seiner Arbeit steigert. Der Segen zielt darauf, dem Sohn die Sicherung und Steigerung seines Lebens zuzusprechen. Es sind sehr alte Worte aus einer Zeit, da das Leben damals unmittelbar von der Natur und vom Ackerbau abhing.

Der Segen kommt von Gott; Isaak spricht ihn quasi als sein Werkzeug aus. Für Isaak ist er unverfügbar und natürlich auch für Jakob. Und so verhält es sich auch generell mit dem Segen. Unser Segnen ist daher immer auf Gott, die Quelle des Segens, angewiesen. Deshalb kann mit der erhofften Wirkung nur gesegnet werden, was Gott segnen will, und nicht gesegnet werden, was Gott nicht segnen will. So kann ich mir nicht vorstellen, z.B. einen Gewalttäter mit dem Zuspruch des Erfolges zu segnen, wohl aber ihn in seinem Bemühen, auf Gewalt nunmehr zu verzichten und den begangenen Schaden wieder gut zu machen.

Der Segen wird im Vertrauen auf die Treue Gottes zugesprochen. Und Gott wird halten, was er verspricht. Er vollzieht ihn.

Beschränkte sich der Segen damals nur auf Gaben hinsichtlich der Fruchtbarkeit der Natur und der Kraft, sie für ein gutes Leben nutzbar zu machen, also auf irdische Güter, so ist es heute weit mehr. Uns begegnet heute der Segen im biblischen Verständnis zunächst zwar auch als Schöpfungssegen: „Er füllt Speisekammern, Kinderzimmer, Bankkonten, Grundbücher und lässt vor Gesundheit strotzen.“1 Doch durch Christus, der uns Heil und ewiges Leben eröffnet und verheißen hat, weiten sich die göttlichen Gaben des Segens. Im Segen geschieht, wovon das Evangelium spricht: Heil und ewiges Leben. Der Segen übersteigt das irdische Glück. Er erschöpft sich nicht im Glück und Wohl des Menschen, sondern kommt im ewigen Leben zur Vollendung und im Lobpreis Gottes zu seinem Ziel. Es ist daher etwas anderes, ob ich mit einer Jubilarin an ihrem 80. Geburtstag auf die nächsten 20 Jahre anstoße und dabei alles Gute und Gesundheit wünsche, oder ob ich ihr Gottes Segen für ihr Leben zuspreche. Segen ist etwas, was unsere Welt übersteigt.

Gott will, dass es uns Menschen gut geht, wir glücklich sind, wir Frieden miteinander haben, geordnete Verhältnisse und unversehrtes Miteinander mit allen Geschöpfen. Oft aber sehen wir nicht, dass Gott vieles davon für uns bereithält und fangen an, unzufrieden und undankbar zu sein. Martin Luther hat wohl recht, der da sagte: "Wir leben mitten im Segen und merken ihn nicht." Wir merken oft nicht, wie er seine Hand für uns geöffnet hat. Und: Wir nehmen seinen Segen oft nicht an, geben ihn auch nicht weiter, wenn wir nur für uns selbst leben und seine Segensgaben nur für uns gebrauchen. So wird auch unser Miteinander nicht segensreich, wird nicht heil, kann kein Friede werden, werden Misstrauen und Hass nicht überwunden, wird z.B. auch die uns von Gott anvertraute Schöpfung weiter ausgebeutet und unsere Erde geschunden.

Gott wird dem Gesegneten geben, was er bedarf, wird ihn bewahren vor allem, was nicht zu einem glücklichen, heilen Leben hier und heute und in Ewigkeit führt. Deshalb ist der Segen die Fortführung von allem, was in der Taufe seinen Anfang genommen hat. Sie stellt ihn in den Wirkraum, in die Geschichte des Heils. Ohne den Segen kommt in der Taufe ebenso wie im Abendmahl nicht das zum Ausdruck, dass nämlich Gott die Gesegneten bewahren will vor allem, was nicht zum Ziel des Lebens führt, das er uns zugedacht hat.

Wer den Segen Gottes nicht annimmt, wird leer ausgehen, so wie es uns auch die Erzählung über Jesu Aussendung von 72 seiner Jünger deutlich macht (Lk 10,1-12). Ich erinnere mich noch gut an einen Festgottesdienst zu einer goldenen Konfirmation. Einige goldene Konfirmanden hatten mir kurz vor dem Gottesdienst gesagt, dass sie nicht gesegnet werden wollten. Auf meine Frage nach dem Grund bekam ich zur Antwort: „Wir halten nichts davon. Nur schöne Worte, nichts dahinter. Das Leben sieht anders aus.“ Ein Gespräch war aus Zeitgründen leider nicht mehr möglich. Sicherlich hätte es auch eines längeren Seelsorgegespräches bedurft. Ich fand es jedenfalls sehr schade und war betrübt. Aber die Entscheidung für oder gegen den Segen darf - wie der Glaube - nicht erzwungen werden, sondern sie muss der Einzelne in Freiheit selbst treffen können.

So wie mir die paar Jubelkonfirmanden antworteten, denken jedoch auch viele andere Menschen. Solche, bei denen die erhofften Segenswirkungen (noch) nicht eingetreten sind, z.B. bei Ehen, die trotz kirchlichem Segen auseinandergebrochen sind. Bei Menschen, deren Angst, auch Zukunftsangst, deren Not, Unfreiheit, Gewalt, Kinderlosigkeit, Krankheit, Unfälle, Katastrophen und sonstigen Tiefen des Lebens übermächtig zu sein scheinen. Sie verzagen oft und trauen dem Segen nichts mehr zu, weil sie keine Bewahrung vor alledem, was die Bibel im Übrigen als Fluchwirklichkeit kennt, erfahren. Dennoch gilt: Der lebendige und segnende Gott ist auch ihnen zugewandt. Er bleibt ihr Bundesgenosse, ihr Weggefährte. Sie alle sind aus seinem Segen nicht ausgeschlossen. Er gilt, denn Gott will bewahren und tut es auch, wie wir es z.B. mit der Liedzeile besingen: „In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet“ (EG 317). Das ist ein Bild für Bewahrung in aller Not, in allem Elend, in den Gefahren des Lebens sowie Helfen und Stärken beim Tragen unserer Lebenslasten. Mit dem Schlusssegen unserer Gottesdienste entlässt uns Gott in den Alltag mit seiner Zusage, dass wir ihn auch weiterhin bei uns haben werden und sein Angesicht vor lauter Wohlwollen und Gunst auf uns leuchten wird.

Selbst die Menschen, die kaum oder keine Bindung an die Kirche haben, aber sich segnen lassen wollen, spüren etwas davon. Der Feuerwehrmann, den ich segne, weil er Angst vor lebensbedrohlichen Situationen bei seinen Einsätzen hat. Der neue Mitarbeiter in der diakonischen Einrichtung, der kaum weiß, was ihn alles an Unbekanntem überraschen wird. Ebenso der Schüler, die Schülerin beim Segnen im Gottesdienst zu Beginn des neuen Schuljahres. Die alte Frau, der alte Mann, die alten Ehepaare, die wissen, dass sie für die letzten beschwerlichen Wege im Leben besonders angewiesen sind auf Bewahrung, Hilfe, Trost und Stärkung. Viele von ihnen erspüren durch das Segnen zumindest, dass einer da ist, der ihnen mit seinem Wohlwollen und seiner Gunst begleiten will. Viele dieser Menschen gehen dann anders wieder zurück in ihren Alltag, als sie es vorher waren. Gott sei Dank. „An Gottes Segen ist alles gelegen“, sagt der Volksmund. Dem können wir getrost zustimmen.
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1 Rainer Stuhlmann, Trauung und Segnung. Biblisch-theologische Gesichtspunkte für die Diskussion aktueller Fragen, PTh 84 (1995), S. 489.