Es ist in heutiger Zeit keine gute, freudige Stimmung unter uns Menschen. Viele sind verunsichert, haben Zukunftsangst. Angesichts der vielen und tiefgreifenden Krisen, Katastrophen und Ungewissheiten in der Welt aber auch im eigenen Land greifen Hoffnungslosigkeit und Resignation um sich, die bei manchen dann in Aggressivität umschlägt.
In vergangenen Zeiten fanden viele, deren Leben in eine Krise geriet, im christlichen Glauben Halt und festen Boden. Doch das ist heute weniger der Fall. Der Glaube scheint sich zu verflüchtigen. Die Mehrzahl der Menschen hierzulande lebt ohne Gott. Sie müssen mit ihren Krisen im Leben selbst fertig werden, egal, durch wen oder was sie ausgelöst wurden, und entwickeln dann Strategien – Lebens-, manchmal auch Überlebensstrategien. Sie versuchen, sich im Leben auf irgendeine Weise durchzuboxen.

Vielleicht hilft der Blick auf den Spruch für diesen Monat, sich an den zu erinnern oder kennenzulernen, der auch in Not und Krisen festen Halt und festen Boden gibt – an Gott. Der Spruch steht in Ps 63,8: Du bist mein Helfer, unter dem Schatten deiner Flügel frohlocke ich.
Das Leben des uns unbekannten Verfassers des Psalms ist in eine Krise geraten. Er wird wahrscheinlich von Lügnern und Feinden verfolgt und vermisst Gottes Nähe schmerzlich, die er in glücklicheren Tagen als Hilfe erfahren hatte. Seine Seele dürstet nach solcher Nähe. Er sehnt sich nach der Erfüllung seiner elementaren Lebensbedürfnisse durch Gott. In der Stille und in den Schmerzen der Nacht erinnert er sich nun an Gott und erkennt im Rückblick, dass Gott durch seine Liebe und Güte dem Leben unvergleichliches Glück zu geben vermag. Immer deutlicher sieht er, dass diese Liebe Gottes kostbarer ist als das Leben selbst. Nun gewinnt er seine Lebenskraft wieder. An Gott will er deshalb sein Leben lang festhalten, mag kommen, was will. Fröhlich und zuversichtlich bekennt er: Ja, du bist mir zur Hilfe geworden und im Schatten deiner Flügel juble ich. Der Beter des Psalms weiß sich durch seine Erinnerung an Gottes Güte und Liebe nun geborgen bei seinem Gott, der ihn in seiner Not und seinem Elend stärken wird. Das veranlasst ihn zum Jubel.

Ich kenne viele Menschen, die so ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie der Psalmbeter. Kranke Menschen, die am Verzweifeln waren, weil keine Heilung in Sicht war. Andere, die einen lieben Menschen verloren haben und nun keinen Sinn mehr für ihr Leben gesehen haben. Arbeitslose, Alleingelassene und unter die Räder Gekommene, weil sich keiner mehr für sie tatsächlich interessiert. Alte und nicht mehr leistungsfähige Menschen, aber auch Ausländer, die im gesellschaftlichen Leben nicht genügend wertgeschätzt und oft diskriminiert werden. Menschen, die unter der Willkür anderer leiden. Kennengelernt habe ich sie meist in Gottesdiensten, bei Besuchen, in Seelsorgegesprächen und Gemeindeveranstaltungen, aber auch in eher zufälligen Begegnungen. Die meisten von ihnen sprechen über ihre Glaubenserfahrungen nur sehr wenig außerhalb vertrauter kirchlicher Kreise. Für all die anderen, die sich mit ihren Nöten, Ängsten und Problemen nächtelang herumschlagen, aus dem Grübeln nicht mehr herauskommen und das Leben irgendwie satthaben, aber mit Gott nur wenig anfangen können, wären sie eine echte Hilfe. Dann könnten auch sie solche Erfahrungen machen wie jene - wenn sie es denn mit diesem Gott auch versuchen wollen. Der Rückblick auf all das Schöne und Gute, auf alle Bewahrung und alle schicksalsähnlichen guten Fügungen im Leben kann auch sie verändern, kann sie dankbarer werden lassen, kann ihr Leben verändern und stabilisieren, kann ihnen neue Hoffnung und Sinn vermitteln – auch wenn äußerlich die Not noch nicht gebannt und Krisen nicht ausgestanden sind.
Erst jüngst hatte ich ein Gespräch mit einer Frau, die ich seit vielen Jahren kenne. Sie klagte über Altersdiskriminierung, über nachlassende Kräfte und gesundheitliche Probleme. Sie war völlig konfus und ratlos, hilflos und ohne Hoffnung auf Änderung. Es hatte sie krankgemacht. Sie war verzweifelt. Wir begannen, in ihre zurückliegenden Jahre zu schauen. Sie erinnerte sich an so schöne Momente im Leben, an Glück und Geborgenheit. In der Erinnerung leuchtete auch anderes wieder auf: Wie sie Worte aus der Bibel, den Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen getröstet hatten. Wie sie in Zeiten, als es ihr gar nicht gut ging und auch Schicksalsschläge hinnehmen musste, Gott mit seiner Güte und Freundlichkeit erkannte, und sie dadurch neue Kraft, Halt und Mut fürs Leben bekam. Dann sagte sie: „Danke, dass mir das jetzt wieder so deutlich geworden ist. Jetzt kann ich auf alles gelassener zugehen. Gott hat mich in meinem Leben wirklich so oft freundlich begleitet und mir damit durch so vieles hindurchgeholfen. Er wird es auch weiterhin tun. Bei ihm bin ich in guten Händen.“

Anderen von eigenen Erfahrungen mit Gott, die glücklich machten, erzählen. Oder anderen helfen, sich daran zu erinnern, „in wieviel Not der gnädige Gott über dir Flügel bereitet hat“ (EG 316). So kann Gottes Liebe erkannt werden, durch die das Leben erst einen unvergleichlich kostbaren Wert bekommt und daraus neue Lebenskraft erwächst.
Menschen, die das so erfahren haben, sind Gott für diese Hilfe dankbar und preisen ihn. Und vielleicht werden sogar die Worte des Psalmbeters aufgenommen: Du bist mein Helfer, unter dem Schatten deiner Flügel frohlocke ich.