„Der denkt, er kann sich jetzt so manches erlauben.“ So oder so ähnlich wird oft über Menschen gesprochen, die irgendeinen Posten bekommen haben, der mit Einfluss, Macht und Geld zu tun hat. Sie nehmen sich oft mehr Rechte heraus und erlauben sich mehr als der Normalbürger. Das stößt auf. Denn: „So etwas tut man nicht. Es ist unanständig. Wo kämen wir denn hin, wenn jeder meint, dass er selbst bestimmen kann, wie weit er gehen darf.“

Diese kleine Alltagsbeobachtung weist auf ein Problem unter uns Menschen hin, das uns in vielerlei Facetten begegnet: Dürfen wir alles tun, was uns gefällt oder uns als sinnvoll erscheint? Sich nach den Regeln des Anstandes, der Sitte, des Gesetzes und der Moral richten zu müssen, widerstrebt uns das nicht oft und hinterlässt das Gefühl von Unfreiheit?

Der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth: Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. (1 Kor 6,12)
Es geht um unsere Freiheit. Wir Menschen streben schon immer nach Freiheit zu etwas, was unserem Leben dienlich ist, z.B. wählen zu können, etwas Bestimmtes zu tun oder auch zu lassen sowie entscheiden zu können zwischen mehreren Möglichkeiten, die sich uns eröffnen. Und wir streben schon immer nach Freiheit von etwas, z.B. von Süchten, Verhältnissen, Gesetzen und Moralvorstellungen, die uns einengen und einzwängen.

Das Streben nach Freiheit gehört zum Mensch-Sein. Kein Mensch wird sagen können, er kenne das Gefühl nicht, unfrei zu sein. Denn die Freiheit sowohl in äußeren Dingen als auch in unserem Innern selbst ist ein Element unserer Persönlichkeit.
Vom christlichen Glauben ausgehend ist es in aller Kürze so zu sagen: Gott ist der Ursprung und Grund menschlichen Lebens in Freiheit. Er, dessen Wesen Liebe ist, hat den Menschen als sein Ebenbild dazu bestimmt, als sein Repräsentant produktiv, schöpferisch und weltgestaltend tätig zu werden. Dazu hat er ihm auch Freiheit gewährt. In ihr soll die Liebe zu Gott und zu unseren Mitmenschen zur Entfaltung kommen. Die Freiheit ist quasi jedem Mensch als Geschöpf Gottes mit in die Wiege gelegt.

Doch ist damit auch alles erlaubt? Paulus beginnt seinen Satz an die Korinther zunächst so. Aber er schränkt die Freiheit sogleich auch wieder ein. Freiheit kann auch ins Gegenteil umschlagen, nämlich dann, wenn sie nicht von der Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen getragen wird.
Die Korinther kümmerte es wenig, welche Auswirkungen ihr Handeln in Bezug auf ihr eigenes Leben und das Wohl der Mitmenschen hatte. „Ich bin ein freier Mensch, im Glauben frei geworden. Da kann ich tun und lassen, was ich will.“ So ähnlich können wir die Lebenseinstellung der Korinther charakterisieren. Paulus jedoch: Es soll niemand in Abhängigkeiten geraten oder auf Kosten anderer sein Leben leben. Es soll niemand durch das, was man tun will und auch tun kann, herabgesetzt, geschädigt oder auch unterdrückt werden oder ihn in irgendeiner Weise abhängig machen.

So sehen wir heute z.B., dass der wissenschaftlich-technische Fortschritt auch eine Kehrseite hat. Durch ihn ist es auch möglich, gegen Menschen oder gar gegen die Menschheit zu agieren, um eigene Interessen und Machtverhältnisse zu sichern. Beispiele aus den letzten nahezu 200 Jahren der industriell-technischen Revolution gibt es unendlich viele. Heute sehen z.B. sehr viele Menschen in der künstlichen Intelligenz eine solche Technologie, die bedrohlich wirkt, weil sie gegen Menschen eingesetzt werden kann und wird, ebenso zur Sozialkontrolle und als Instrument zur Herrschaftsausübung und Manipulation der Menschen. Es ist eben nicht alles erlaubt, sondern hat seine Grenzen. Und die sind dort, wo die Gesundheit geschädigt, der Sinn des Lebens eingetrübt und Gemeinschaft zerstört werden kann und was letztlich unglücklich, unzufrieden oder abhängig macht. Eigentlich leuchtet das einem jeden ein. Doch von der Einsicht dann zu einer anderen Haltung und Lebensweise zu kommen, ist es meist sehr weit.

Wir wissen: Wer sein Glück und sein Heil in dieser Welt mit ihren verführerischen Abhängigkeiten und verlockenden Glücksversprechen sucht, wird sich sein Leben lang drehen wie in einem Hamsterrad und wird nie wirklich zum Ziel kommen, nach dem er sich sehnt und das Gott für ihn bereithält. Sogar ein übersteigertes Sich-Sorgen und die Arbeitssucht können krank machen und Lebensfreude und Lebenssinn zerstören.
Und wer meint, ihm sei alles erlaubt, was machbar und den eigenen Interessen, dem eigenen Ruhm und der Macht dient, der verhindert, zersetzt oder zerstört gar ein friedliches Miteinander der Menschen. Auch dafür gibt es genügend Beispiele in der Geschichte und in unserer heutigen Zeit.

Paulus will vermeiden, dass wir in vermeintlich grenzenloser Freiheit in neue Abhängigkeiten geraten und ihnen zum Opfer fallen. Er weist jedoch auf eine andere Freiheit hin, in der Christen ihr Leben gestalten können und sollen. Diese Freiheit wird durch die Zugehörigkeit zu Jesus Christus, also im Glauben an ihn eröffnet. Denn bei Christus braucht sich keiner zu sorgen, dass er im Leben zu kurz kommt, dass ihm der Sinn seines Daseins abhanden kommt, dass er zu seiner Selbstbestätigung Super-Arbeitserfolge, Ehre und Macht braucht. Im Glauben, im Vertrauen können sich Menschen lösen von den Abhängigkeiten, Zwängen und Süchten in dieser Welt. Sie können den Verführungen von Glücksversprechen, Macht und Ruhm widerstehen. Denn Christen bekommen im Glauben an ihren Herrn eine unvergleichliche Würde verlieren. Als Gottes Kinder gehören sie wie Christus zu ihm, ihrem himmlischen Vater, bei dem die Bindungen und Begrenzungen dieser Welt nicht zählen, sondern seine grenzenlose Liebe. Sie hält die Gläubigen fest und trägt sie, selbst wenn Not und Elend über sie kommen und alles in ihrem Leben zerbricht. Er birgt sie auf ewig.
Christen können daher in großer Gelassenheit leben. Sie müssen nicht überall dabei sein bei dem, was das Leben so bietet. Sie müssen auch nicht alles haben. Sie können sich auch mit wenigem begnügen und sich an Kleinigkeiten erfreuen. Sie können den Verlockungen von Macht und Ehre sowohl im Kleinen als auch im Großen widerstehen – Verlockungen, die ihnen selbst und einem Zusammenleben mit anderen in Gerechtigkeit und Frieden schaden würden.

Wie das aussehen kann, ist schnell gesagt: die Mitmenschen lieben – aufrichtig, ehrlich, ohne eigene Interessen dabei zu verfolgen. Für den da sein, der mich braucht. Auch auf das eigene Recht verzichten, wenn es die Rücksicht auf einen, der schwach ist, nahe legt. Oder z.B. auch nicht trinken, wenn ein anderer nicht trinken darf, damit er nicht erneut dem Zwang, der Sucht zum Opfer fällt. Auf solche Weise entsteht und erhält sich eine Gemeinschaft der Anteilnahme, in der sich einer um den anderen müht. Auch das ist ein Leben in Freiheit. So ist Paulus zu verstehen und so legt es uns auch Martin Luther mit seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ ausführlich ans Herz. Er fasst es darin in zwei Sätzen zusammen: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Oder anders gesagt: Ich bin in Christus frei, mir hat keiner was zu sagen! Aber weil ich so frei bin, macht es mir nichts aus, ganz und gar für dich, für euch da zu sein.
In dieser Gemeinschaft, wo einer für den anderen da ist, können Menschen, die vielleicht gar nicht mehr wissen, was Freiheit ist, jene Freiheit wieder finden, von der Paulus spricht: Frei werden und von dem loskommen, was einen gefangen nimmt, und leben als freie Ebenbilder Gottes, deren Würde unantastbar ist. Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. Dieser Satz des Paulus ist eine verheißungsvolle Erinnerung an eine solche Gemeinschaft, in der jeder zu seinem Recht kommt und niemandem geschadet wird.