Mose sagte: Fürchtet euch nicht! Bleibt stehen und schaut zu, wie der Herr euch heute rettet. (Ex 14,13) Mose sagte das zu den Israeliten, die sich in lebensbedrohlicher Situation befanden: am Rande des Schilfmeeres, verfolgt von Truppen des ägyptischen Pharaos.
Die meisten von uns kennen diese Geschichte über die Geschehnisse davor und dann dort am Schilfmeer. Filme darüber flimmern jedes Jahr über unsere Fernsehbildschirme, übertreiben jedoch meist bei der Darstellung der Geschehnisse, was wir im Übrigen in der Bibel durch die Mehrfacherzählungen auch schon feststellen können.
Ich skizziere nur kurz, was uns die Bibel im Kern darüber aussagen will: Die Israeliten, die Sklavendienste in Ägypten leisten mussten, waren nach Gottes Willen unter der Führung von Mose aus dem Reich des Pharaos geflohen und in die Freiheit ausgezogen. Doch schnell ist das Elend da. Vor ihnen das Wasser des Schilfmeeres. Es versperrt ihnen den Weiterzug. Hinter ihnen die Streitwagen des Pharao, die ihnen nachjagen. Ihr Dilemma: Entweder zurück in die Sklaverei oder der sichere Tod in der Wüste am Schilfmeer. Die Israeliten machen Mose für ihre ausweglose Situation verantwortlich und begehren auf: Lieber wieder in die Sklaverei als in der Wüste umkommen. Da nun spricht Mose zu ihnen diese Worte: Fürchtet euch nicht! Bleibt stehen und schaut zu, wie der Herr euch heute rettet.
Er verharmloste nicht ihre Verzweiflung, gab auch nicht das Signal aufzugeben. Sondern er rechnete mit dem, was Gott ihnen zuvor in Ägypten versprochen hatte, nämlich sie als sein erwähltes Volk aus der Knechtschaft zu befreien. Darauf vertraute Mose und mit ihm dann alle Israeliten, die auf Geheiß Gottes schließlich trockenen Fußes das Schilfmeer durchquerten und jenseits das rettende Ufer erreichten. Gott hatte ihnen auf wundersame Weise den Durchgang durchs todbringende Wasser ermöglicht, den Verfolgern jedoch nicht. Gott hatte alles in der Hand, auch wenn es zunächst ganz anders aussah und die Israeliten Todesängste hatten. Zuerst die Angst vor den Soldaten des Pharao und dem Umkommen in der Wüste. Dann die Angst vor dem Ertrinken in dem möglicherweise schnell zurückkehrenden Wasser, als sie durchs Schilfmeer zogen. Gott aber hatte alles in der Hand und rettete die Israeliten vor dem sicheren Umkommen. Es gab nur die Flucht nach vorn – in die Arme Gottes, der ihnen Rettung zugesagt hatte.

Fürchtet euch nicht! Bleibt stehen und schaut zu, wie der Herr euch heute rettet. Mit diesen Worten hatte Mose den Israeliten Mut zugesprochen, sich auf Gott zu verlassen. In diesem Sinn ist das „Fürchtet euch nicht! sehr oft in der Bibel zu verstehen. Durch den Aufruf zur Furchtlosigkeit soll die Furcht angesichts der bisher erfahrenen Macht Gottes gewandelt werden in Vertrauen zu ihm. Er hält, was er verspricht.
Und die Israeliten, sie blieben stehen. Naheliegend wäre ja gewesen, noch irgendwohin zu flüchten oder sich zähneknirschend dem Pharao wieder als Sklaven zu unterwerfen. Doch sie blieben und schauten zu, wie Gott für sie kämpfte und sie errettete.

Die Erzählung über die Rettung am Schilfmeer ist das Urdatum der Gotteserfahrung des Volkes Israel und bis heute identitätsstiftend. In vielen späteren Erzählungen und Texten der Bibel wird immer wieder auf diese große Rettungstat Gottes verwiesen und dabei zum Ausdruck gebracht: So streitet Gott für die Seinen. Er befreit und rettet und setzt sich durch „durch seine starke Hand“ (Ex 6,1; 32,11) – bis heute. Und auch die Zukunft wird von ihm in dieser Weise bestimmt.

Gott befreit, rettet und setzt sich durch. Mit Ostern hat er damit für alle Menschen ernst gemacht. Nur dass nicht die umkommen müssen, die sich Gott entgegenstellen wie damals die Ägypter, sondern es stirbt nur einer: der Tod. Dieser jedoch, indem Jesu Christus, Gottes Sohn, ihn durch seinen Tod am Kreuz auf sich nimmt und durch seine Auferweckung zu Ostern besiegt und unterwirft. So hat Gott sogar den Tod besiegt – trotz aller noch sichtbarer und spürbarer Macht des Todes in dieser Welt. Wer Jesus Christus, seinem Sohn, vertraut, „der wird leben, ob er gleich stürbe; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben“, so sagt es Jesus selbst (Joh 10, 25f). Gottes Wort, seine Zusage der Befreiung und Rettung vor dem Untergang gilt nun auch ihnen wie damals den Israeliten.
Christen erfahren etwas davon bereits jetzt schon in ihrem eigenen Leben: In kritischen Momenten vor dem Sturz in den Abgrund bewahrt. In auswegloser Situation liebevoll gehalten. Im Dunkel und Nebel geleitet – „durch Gottes starke Hand“.

Gott befreit, rettet und setzt sich durch, so wie er es zugesagt hatte. Das war nicht nur die Erfahrung der Israeliten damals. Das ist nicht nur die Erfahrung von Christen in ihrem eigenen Leben. Das ist auch die Erfahrung, die das Christentum in seiner langen Geschichte machte. Oft wurde gegen einzelne, gegen Gemeinden und gegen die Kirche insgesamt vorgegangen und sie bekämpft. Nahezu zweitausend Jahre Kirchengeschichte ist gefüllt mit solchen Berichten. Und oft wurde damit das Ende des Christentums angesagt. In solchen Situationen kamen oft auch Hoffnungslosigkeit und Untergangsstimmung unter den Christen und in der Kirche auf. Bedrängnis und Angst um das Weiterbestehen des Christentums, der Kirchen, das ficht den Glauben an Gott an. Zumindest kommen Zweifel auf, ob seine Zusage wirklich noch gilt.
Auch heute erleben wir es in ähnlicher Weise. Die Kirchen werden leerer. Die Pfarrstellen werden so groß, dass viele Menschen mit dem Evangelium nicht mehr erreicht werden können und Seelsorge kaum noch möglich ist. Neulich schrieb mir eine Frau einen Brief. Sie kenne ich seit vielen Jahren als eine unermüdliche „Arbeiterin in Gottes Weinberg“, in seiner Kirche. Sie befruchtet mit großem Engagement das Gemeindeleben und die kirchliche Arbeit in den Gemeinden und im Kirchenkreis mit dem Evangelium in Wort und Tat. Jetzt beträgt die Anzahl der Pfarrstellen in ihrem Kirchenkreis nur noch 25% gegenüber von vor 20 Jahren. In dem Brief klagt sie: „Ich bin mittlerweile im Stadium der Resignation. Was jetzt los ist, kann man nicht mehr fassen… Die Leute treten aus der Kirche aus, Beschwerden, und, und, und… Und es passiert nix. Wir schaffen uns jetzt selbst ab. Traurig.“ Ihren Glauben wirft sie jedoch nicht weg und somit auch nicht die Zusage Gottes, dass Gott gegen allen Anschein befreit, rettet und sich durchsetzen wird.
Mit der Erfahrung von aufbrechender Hoffnungslosigkeit und Resignation einerseits und doch andererseits auch mit der Zusage, dass Gott seiner Gemeinde treu bleibt, sie rettet und herausführt aus aller Not, ist sie jedoch nicht allein. Allerdings brauchen wir alle immer wieder mutmachende, aufmunternde Worte, um die Hoffnung nicht zu verlieren, auch wenn kurzfristig keine Änderung absehbar ist. Ein solches Wort ist der Spruch für diesen Monat: Mose sagte: Fürchtet euch nicht! Bleibt stehen und schaut zu, wie der Herr euch heute rettet. Er will unser Vertrauen stärken, dass Gott hält, was er verspricht, und dass wir erfahren werden, wie Gott uns und die Kirche bewahrt, geleitet und wir in seiner Hand geborgen sind – letztlich für immer.