Der HERR heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden (Ps 147,3).
Mit dem ganzen Psalm lobt die in Jerusalem versammelte Gemeinde nach der Vollendung des Wiederaufbaus der Jerusalemer Stadtmauer durch Nehemia (gegen Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr.) ihren Gott. Sie hat ihn erfahren als den, der die Natur beherrscht und alle Kreatur trägt und erhält. Der über sein Volk nun erneut seinen Segen ausgebreitet hat. Denn auf sein Wirken hin konnte die zerstörte Stadtmauer Jerusalems wieder aufgebaut werden und die ins Exil Zerstreuten konnten sich in ihrer Heimat wieder sammeln (V 2).
Und dass Gott, ähnlich einem Arzt, die zerbrochenen Herzen heilt und die Wunden verbindet, wie wir es im V 3, unserem Monatsspruch, lesen, auch das erkannte die jüdische Bevölkerung als seine heilsame Segnung. Es gab ja in dieser Zeit unhaltbare Zustände: katastrophale sozialrechtliche Verhältnisse, unfähige Regierung, Missachtung von Recht und Gerechtigkeit und ein zum Himmel schreiendes Verhalten der Menschen. Doch sie erlebten, wie Gott ihre Lebenskraft, die am Boden war, gestärkt und ihren gebrochenen Lebenswillen erneuert hat. Der, bildlich gesprochen, ihre Wunden, die ihrem Leben bisher zugefügt wurden, verbunden hat, damit sie heilen können. Daher lobten sie Gott mit den Worten: Der HERR heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden. Woran sie dies alles im Einzelnen konkret festmachten, darauf wird im Psalm nur generalisierend hingewiesen. Bestimmend aber ist ihre Hoffnung, dass Gott mit seinem schöpferischen Walten auch weiterhin an seinen Verheißungen festhält und heilsam am Werke ist. Denn der Herr hat Gefallen an denen, die ihn fürchten (= die ihm treu sind), die auf seine Güte hoffen (V 11).
Gott, der aus existenzieller Gefahr, tödlicher Bedrohung oder vor drohendem Unheil rettet und so erfülltes, beglückendes, ewiges Leben eröffnet. Die Verkündigung Jesu und das Neue Testament insgesamt nehmen solche Erfahrungen, die das Volk Israel mit Gott gemacht hatte, auf. Ihre Botschaft an uns: Heil den Menschen, die Jesus Christus, dem Sohn Gottes, vertrauen. Er selbst verstand sich als ein solcher Arzt, der Heil und Leben mit sich bringt.
Der weithin bekannte Theologe Jürgen Moltmann, der in diesem Jahr am 3. Juni verstarb, sagte in einem Interview: „Da gibt es die Geschichte von der ‚blutflüssigen‘ Frau, die nur von hinten das Gewand Jesu berührt und daraufhin geheilt ist. Er muss also ein Mensch gewesen sein, von dem Lebenskräfte ausgegangen sind. Heilungskräfte, die einen Menschen wieder aufgebaut haben. Kräfte, die Menschen, wenn sie ausgestoßen oder verachtet waren, dazu ermutigt haben, ein aufrechtes und erfülltes Leben zu führen."
Doch nicht nur er, der in dem Interview über Erfahrungen des Heils in seinem Leben erzählte, machte solche Erfahrungen, sondern unzählige Christen seit Jesu Wirken bis heute.
Wir Menschen, die Heilung an Leib und Psyche benötigen, denken in der Regel nicht zuerst an Gott oder an Jesus Christus. Wir gehen zum Arzt, zum Psychotherapeuten usw., um von ihnen von den Krankheiten befreit zu werden. Und wir freuen uns, wenn die Krankheit überstanden und wir wieder geheilt in ein „normales“ Leben zurückkehren können.
Brauchen wir deshalb überhaupt einen Gott, der heilt? Viele verneinen das. Im Übrigen auch deswegen, weil es so manche Enttäuschung gibt, wenn trotz Bitten und Flehen vor Gott keine Heilung eintrat. Es gibt jedoch keinen notwendigen Zusammenhang zwischen Glauben und Krankenheilung. Paulus schrieb mit Verweis auf sein körperliches Leiden den Korinthern, hier frei wiedergegeben: Wenn du die Gnade Gottes hast, hast du das Entscheidende, weil du dann alles hast (2 Kor 12,9). Ausbleibende Heilung von Krankheiten ist also kein Indiz für mangelnden Glauben oder für die Ferne Gottes. Sondern, so höre ich Paulus, entscheidend ist, dass du die Gnade Gottes nicht abweist, sondern sie annimmst, empfängst. Sie wird dir im Glauben an das Evangelium von Christus zuteil. Denn in Jesus Christus kommt Gott zu uns Menschen und tut für sie alles, geht sogar für sie in den Tod, entmachtet ihn und eröffnet ewiges Leben. So können zerbrochene Herzen heil werden und die Wunden, die dem Leben bisher zugefügt wurden, verbunden werden, so dass sie heilen können.
Brauchen wir also einen Gott, der heilt? Christen bejahen dies, sofern sie ihm vertrauen. Nicht nur, weil sie tiefer sehen und erkennen, dass Gottes machtvolles Gnadenwirken nicht notwendigerweise mit der Heilung von Krankheiten, also mit Gesundsein verbunden sein muss, sondern weil sich sein Gnadenwirken auf alle Dimensionen der menschlichen Existenz bezieht, so dass menschliches Leben ganzheitlich wieder zurechtgebracht, beglückt und erneuert wird bis hin zum ewigen Leben.
Wir Menschen brauchen diesen Gott, der heilt. Das erkennen wir, wenn wir auf unser eigenes Christenleben schauen. Dass wir zu befreiten, glücklichen Menschen geworden sind und uns von ihm auch über den Tod hinaus umfangen und geborgen wissen, darüber wird wohl jeder aus seinem eigenen Leben erzählen können. Leider reden wir Christen zu wenig darüber. Das ist schade. Wie sollen andere von diesem Gott erfahren, der auch sie mit einem in jeder Hinsicht geheilten Leben beschenken will?
Zudem sehen Christen im Glauben an ihn in der Regel mehr als das Vorfindliche, das, was vor Augen liegt. Sie sehen tiefer und umfassender. Sie sehen, um es in einem Bild auszudrücken, mit den Augen Gottes. Sie erkennen dabei hinter aller Ungerechtigkeit, Unbarmherzigkeit, Grausamkeit und allem Unfrieden in der Welt das eigentliche Übel der Menschen: fehlende Liebe zu Gott und Missachtung seines Willens. Sie erkennen jedoch dabei auch, dass Gott dies nicht egal ist, sondern er in die Geschichte von Menschen, Gesellschaften und Völkern aus Liebe zu uns Menschen oft eingreift, um sie aus existenzieller Gefahr, tödlicher Bedrohung oder vor drohendem Unheil zu retten und sie dazu auch in Dienst nehmen will. Die Wege, die Gott dabei mit uns geht, sind jedoch oft verschlungen und für uns Menschen undurchschaubar und rätselhaft. Doch mit den Augen Gottes werden sie uns wie in einem trüben Spiegel teilweise offenbart, wenn auch meist erst im Nachhinein. Über solche Erfahrungen des heilsamen Wirkens Gottes berichten uns nicht nur viele biblischen Erzählungen, sondern ein solches Wirken Gottes erkenne ich mit anderen auch in Ereignissen heutiger Zeit.
Christen nehmen Gottes Wirken wahr, der hilft und heilt und Neuanfänge für einen jeden eröffnet, der seinem Sohn Jesus Christus vertraut. Von ihm gehen göttliche Kräfte aus, die zerbrochene Herzen heilen und dazu ermutigen, ein aufrechtes, erfülltes und glückliches Leben zu führen.