Mir aber hat Gott gezeigt, dass man keinen Menschen unheilig oder unrein nennen darf. (Apg 10,28 –Spruch für den Monat Juni) Das sagt Petrus, den der römische Hauptmann Kornelius auf Geheiß eines Engels in sein Haus holen ließ, wo auch zahlreiche Verwandte und Freunde des Hauptmanns anwesend waren. Zwar hatte Gottes Geist dem Petrus vorher gesagt, er solle dann mitgehen, doch was er dort im Haus eines Nichtjuden eigentlich sollte, wusste er nicht, zumal es Juden den religiösen Vorschriften entsprechend verboten war, sich mit Nichtjuden näher einzulassen oder bei ihnen einzukehren. Das sagte er auch den Versammelten. Es muss ihn erschreckt haben, gegen die heiligen Vorschriften zu verstoßen. Als Kornelius ihm nun erzählte, auf wessen Veranlassung er Petrus holen ließ, da dämmerte es ihm allmählich, dass Gott es so wollte. Da wich sein Erschrecken. Er sprach: Mir aber hat Gott gezeigt, dass man keinen Menschen unheilig oder unrein nennen darf (Einheitsübersetzung).
Welche Menschen sah Petrus denn bisher als unheilig an? Wie ist demzufolge dieser Satz zu verstehen? Die Lutherübersetzung mit „gemein“ statt „unheilig“ ist zwar näher am Urtext, aber das Wort „gemein“ hat, wie bereits schon das griechische Wort dafür, eine etwas schillernde Bedeutung. Der Neutestamentler Klaus Haacker hat in seinem Kommentar den Ausspruch des Petrus in heutige allgemeine Alltagssprache so übertragen: Und doch hat mir Gott den Wink gegeben, keinen Menschen als ordinär (im Sinne von anstößig, nur weil er kein Jude ist) oder unsauber zu bezeichnen. Jedenfalls will Lukas uns hier zeigen, dass bei Petrus nun ein Umdenkungsprozess beginnt: Wenn Gott ihn zu Nichtjuden schickt, zeigt er doch damit an, dass die Vorschriften, mit denen sich Juden von Nichtjuden abgrenzen, im Umgang mit ihnen keine Rolle mehr spielen sollen. Am Ende dieses Umdenkungsprozesses hat Petrus dann die Erkenntnis gewonnen (Verse 34 und 35): Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht; sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und Recht tut, der ist ihm angenehm.

Was heißt das für uns Christen heute? Wenn das so ist, werden da nicht alle theologischen Richtigkeiten und Wahrheiten, die wir mit Herzblut und heißem Glauben gegenüber anderen verteidigen, unwichtig? Werden da alle inneren Festlegungen auf Tradition und Herkommen, alle Sicherheit in festen Lehrgebäuden und letztgültigen Bekenntnissen nicht ebenso unwichtig? Alles das, was noch Halt gibt, worauf wir stolz sind, was Sicherheit garantiert – wird das nicht infrage gestellt und muss weg? Was hat das dann aber für Konsequenzen? Und wer will sich überhaupt – ähnlich wie Petrus – verändern und verwandeln lassen? Neunzig Prozent der Menschen wollen sich eigentlich nicht verändern.

Was Petrus gelernt hatte und wir von ihm lernen können und sollen, ist: Gott arbeitet an Menschen jenseits aller Grenzen, die wir als nötig erachten, damit diese Menschen zum Glauben kommen. Jenseits aller Einteilungen, Lehrgebäude, Theologien, Konfessionen, Frömmigkeitsstile, Gebetspraktiken, Sitten und Gebräuche. Gott urteilt nicht wie wir nach Herkommen, Volkszugehörigkeit, Konfessionsstand. Er will, dass wir wie Petrus dahin gelangen, wo wir mit den Fremden und denen, die nicht unsere Glaubensgeschwister sind, dieselbe Erfahrung machen und gemeinsam staunen können: Gott ist ja uns allen gegenwärtig. Und da er die Person nicht ansieht, sollen auch wir unsere Schranken ihnen gegenüber fallen lassen.

Das macht allerdings vielen Menschen Angst. Die scheinbar grenzenlose Offenheit im religiösen Spektrum macht sie unsicher. Die Angst, man könnte die eigene Identität verlieren und müsste die Sicherheit preisgeben, die uns der Glaube gibt in einer immer unchristlicher werdenden Welt. Die Angst, dass im Religionsmischmasch die eigene Kirche unkenntlich und bedeutungslos wird und die christlichen Werte, die uns oft Orientierung gegeben und zu einem glücklichen Zusammenleben verholfen haben, nicht mehr zählen. Viele flüchten dann in ihr bisheriges Glaubensgebäude mit seiner „Nestwärme“ zurück, in dem sie sich bisher geborgen gefühlt haben. Aber solche Rückzugsorte gibt es heute bei den schrumpfenden Kirchen und ihren Gemeinden meist auch nicht mehr.
Doch sich dann scheinbar alternativlos nach allen Seiten den anderen Strömungen grenzenlos zu öffnen, das ist auch der falsche Weg. Denn das verführt zu einer unverbindlichen Beliebigkeit, bei der der Einzelne leicht den Boden unter den eigenen Füßen verliert und sein Glaube für ihn im Grunde genommen belanglos wird.
Es bedarf immer eines eigenen Standortes, auf den man sich verlassen kann, um den verwirrenden Strömungen in der Gegenwart standhalten zu können. Es braucht eine innere Gewissheit, einen tragenden Grund für den eigenen Glauben, damit er bei all den Anfechtungen und Zweifeln, die einen überkommen können, nicht wegbricht. Niemand soll daher seinen Glauben, seine tiefsten Überzeugungen verraten. Begegnen wir uns mit den anderen in dieser Weise respektvoll und auf Augenhöhe, dann wächst Verständnis füreinander ohne befürchten zu müssen, die Überzeugungen, Theologien, Frömmigkeitsstile und Gebräuche der jeweils anderen übernehmen zu müssen. Einheit in der Vielfalt. So kann man auch dazu sagen. Das gilt im Übrigen auch ganz allgemein. Keine „Zwangsmissionierung“, kein Ausgrenzen von Personen mit anderer Religiosität oder anderen Überzeugungen. Das gilt ebenso für Fremdlinge und Ausländer und solche, die wir als befremdlich, beschwerlich und unsympathisch empfinden. Denn Gott schließt in seine Liebe vorurteils- und vorbehaltlos alle Menschen ein. Petrus hat dies damals lernen müssen, dass man keinen Menschen unheilig und unrein nennen darf und ihn demzufolge meiden soll. Denn Gott selbst sieht die Person auch nicht an.