Der Apostel Paulus sitzt im Gefängnis in Cäsarea. In Gegenwart des römischen Statthalters Festus und des jüdischen Königs Agrippa II. muss er sich gegenüber Vertretern des Judentums und der Jerusalemer Judenchristengemeinde verteidigen. Ihre Vorwürfe hatten sie bereits bei seiner Festnahme in Jerusalem erhoben. Der Vorwurf der Juden: Paulus lehrt gegen das jüdische Volk, dessen Gesetze und gegen das Tempelgesetz. Er lehne demnach ihre Glaubensgrundsätze und Praktiken ab. Deshalb muss er getötet werden (Apg 21,28-31). Der Vorwurf der Judenchristen: Paulus lehrt uns, von Mose abzuweichen und sagt, wir sollen unsere Kinder nicht beschneiden und auch nicht nach den jüdischen Ordnungen leben (Apg 21,21). Sie hatten also starke Vorbehalte gegen die Lehre des Paulus.
In seiner Verteidigungsrede in Cäsarea redet Paulus über seine Lebens- und Glaubensgeschichte und schließt am Ende mit: Gottes Hilfe habe ich erfahren bis zum heutigen Tag und stehe nun hier und bin sein Zeuge (Spruch für diesen Monat).
Die Kürzung des eigentlich bis zum Vers 23 reichenden Satzes ist allerdings unbefriedigend. Doch darüber später mehr. Und auch die Auslassung des griechischen Wortes oun am Anfang des Satzes ist nicht gerade hilfreich zum sachgemäßen Verständnis. Denn oun dient dazu, die mit diesem Wort nun beginnenden Ausführungen als eine Folgerung aus dem vorhergehend Gesagten zu bezeichnen. Es ist demzufolge in der Regel mit „also“ wiederzugeben (und nicht, wie z.B. auch in der Lutherbibel, mit „aber“). Damit nehmen die Verse 22-23 einen ganz bestimmten Charakter an. Sie sollen als Fazit der Lebensgeschichte des Paulus verstanden werden. Das „also“ am Satzanfang dient quasi wie ein Schlüssel zum besseren Verständnis. Das betrifft vor allem den ersten Satzteil. Er lässt dann erkennen, dass Paulus hinsichtlich des Prozessausgangs gelassen ist – Ausdruck seines großen Gottvertrauens. Gelassenheit, obwohl er durchaus mit einem Todesurteil rechnen musste (Apg 25,11). Man könnte seine Haltung dann vielleicht so wiedergeben: In den vielen Dingen, die sich in meinem Leben ereignet haben und die mir widerfahren sind, habe ich bis heute Gottes Beistand erfahren. Egal, ob man meiner Verteidigung folgt oder nicht, egal, was dann kommen mag, bei Gott bin ich in den besten Händen.
Wer hat so viel Gottvertrauen, dass er selbst in den schlimmsten Widerfahrnissen die Dinge gelassen hinnimmt? Gewiss bleibt einem ja auch nichts anderes übrig, wenn man sie ohnehin nicht ändern kann, so wird gesagt. Aber wenn man sie irgendwie doch ändern kann, warum sollte man nicht einfach dagegen etwas tun? Wenn Gelassenheit verstanden wird als das Ergebnis einer bewussten Entscheidung, ruhig und besonnen zu bleiben und konstruktiv mit Problemen umzugehen, dann ist dagegen wohl kaum etwas einzuwenden. Wenn ein solches Umgehen mit Problemen jedoch meinem Mitmenschen schadet, dann schon. Es widerspräche dem göttlichen Gebot der Nächstenliebe.
Seit jeher verstehen Christen unter der Gelassenheit das Ruhen in Gott. So war es auch bei Paulus – nicht nur in dieser Situation als Angeklagter, dem die Todesstrafe droht. Und so haben viele Christen bis heute ihre Widerfahrnisse, ihre Schicksale angenommen. Ich denke dabei nicht nur an die Großen in der Kirchengeschichte, wie die Märtyrer oder Martin Luther, Dietrich Bonhoeffer, sondern auch an ganz viele Christen in den Gemeinden, die in der Öffentlichkeit keinen Namen hatten und haben. Ich kenne viele, die sich von Gott getragen wissen selbst in ganz schwierigen Lebenslagen. Diese Haltung, dieses Ruhen in Gott habe ich bei Schwerkranken, bei Arbeitslosen, bei Armen und Elenden kennengelernt. Mancher von ihnen hat dann so gesagt: Ich kann doch nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Sie haben ihr Kreuz auf sich genommen und sind nicht daran verzweifelt oder zerbrochen.
Wie oben schon erwähnt, wurde das Fazit des Paulus im Monatsspruch gekürzt. Es genügt nicht, den Vers 22 als Spruch damit zu beenden, dass Paulus Gottes Zeuge ist. Denn das Fazit des Paulus reicht bis zum Ende des Verses 23, der zum Satz von Vers 22 mit dazugehört. Die beiden Verse sind in Gänze zu bedenken, um zu verstehen, worin der Inhalt des Zeugnisses von Paulus überhaupt besteht. Der besteht, kurz zusammengefasst und im Zusammenhang von Paulus´ gesamter Lebensgeschichte darin, zu bezeugen, dass das Leiden und die Auferweckung Jesu die Erfüllung der göttlichen Verheißung durch die Propheten ist. Mit anderen Worten: Seine Lehre beinhaltet von Anfang an das, was das Alte Testament immer schon als Hoffnung für Israel und auch für die Welt vorgestellt hat. Und zweitens, dass zur Erfüllung dieser Verheißung gehört, diesen göttlichen Heilsplan als Evangelium von Jesu Christus auch zu verkündigen – sowohl den Juden als auch den Heiden. Denn Gott will allen neues Leben geben, das er in der Ewigkeit vollenden wird.
Keiner von uns wurde wie Paulus, der letzte Apostel, von Jesus Christus, der dem Paulus erschien, persönlich beauftragt und gesendet, um diesen göttlichen Heilsplan aller Welt zu bezeugen. Unsere Beauftragung geschieht seither durch unsere Taufe auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, wie es uns der Evangelist Matthäus im Missionsbefehl Christi übermittelt (Mt 28,18-20).
Demnach ist jedem Getauften aufgetragen, diese Heilsbotschaft vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus, dieses Evangelium, je nach seinen Gaben anderen zu bezeugen, also weiterzusagen. Das ist nicht nur Sache derer, die dafür ausgebildet und ordentlich eingesetzt werden, also der Pfarrerinnen und Pfarrer. So können beispielsweise die Eltern, Großeltern, Paten, Onkel und Tanten den Kindern oder Enkelkindern zuhause über Jesus und den christlichen Glauben erzählen. Wieder andere können Notleidenden und Kummervollen Tröstliches, Hoffnungsvolles und Weiterhelfendes auch aus eigener Glaubensüberzeugung und eigener Glaubenserfahrung zusprechen, was weit mehr ist alles billiges Vertrösten, Schulterklopfen und Umarmung. Wir können mit Nachbarn und Arbeitskollegen ins Gespräch über Lebens- und Glaubensfragen kommen und ihnen helfen, neue Sichtweisen zu bekommen und vielleicht sogar neue Wege beschreiten zu können. Und vieles mehr. Die Taufe und der Glaube machen uns zu Beauftragten Jesu Christi, das Evangelium in die Welt zu tragen, damit auch anderen Gottes Heil zuteil werden kann.
Viele meinen, sie könnten das niemals und halten sich zurück. Doch ich kenne viele, die nach anfänglichem Zögern es doch gewagt haben und mehr und mehr Freude daran gefunden haben. Sie haben dabei nicht nur gemerkt, dass sie dazu doch in der Lage sind, sondern sie haben dabei vor allem erfahren, dass die Zuhörer froh und dankbar sind für den Zuspruch des Evangeliums. Und nicht wenige bekennen freimütig, dass sie dazu nicht aus sich selbst heraus in der Lage sind, sondern sie es der Hilfe Gottes verdanken.
Das Evangelium von Jesus Christus zu verkündigen – in welcher Weise auch immer –, das ist ein Dienst für unsere Mitmenschen, um ihnen zu helfen, in ihrem Leben neuen Sinn und neue Hoffnung und Zuversicht zu finden.
Jesu Tod und Auferstehung als Ausdruck von Gottes unermesslicher Liebe zu uns Menschen. Das zu bezeugen, das war nicht nur Paulus aufgetragen, sondern es ist auch unser bleibender Auftrag, auch wenn das nicht immer einfach ist, auch wenn es uns fordert und vielleicht sogar in große Bedrängnisse bringt. Denn Gott will niemanden verlieren, sondern neues Leben schenken und es in der Ewigkeit vollenden.