Liebe Gemeinde!

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe (Jahreslosung 2024 aus 1 Kor 16,14). Große Worte des Paulus. Wollen wir sie beherzigen? Können wir ihnen folgen? Uns scheint diese Aufforderung überzogen. Ich erkenne dafür vorwiegend zwei Gründe.
Zum einen soll alles, ja wirklich alles in Liebe geschehen. Wenn wir ehrlich zu uns sind, so müssen wir sagen, dass wir eben nicht alles aus Liebe tun, sondern nur manches. Und das auch nicht immer, also sogar ein ganzes Leben lang. Gewiss, uns besonders nahestehenden Menschen, z.B. unseren Ehepartnern, Kindern, Eltern, Geschwistern, Freunden tun wir viel Gutes und treten für sie ein, weil wir sie in unser Herz geschlossen haben. Aber bei allem, was wir tun und zu jeder Zeit so für sie da zu sein? Geht uns da nicht oft die Puste aus? Sind wir da nicht überfordert?
Zum anderen: Darf man von Menschen fordern, zu jedem ihrer Mitmenschen in jedem Fall liebevoll zu sein? Es gibt Menschen, die uns nahe stehen und denen wir uns mit unserer Liebe öffnen. Andere sind uns fremd und bleiben uns fremd, weil z.B. möglicherweise die Chemie zwischen uns gar nicht stimmt. Sollen wir sie auch so lieben? Vielleicht sogar auch unsere Feinde? Und wenn ja, wie weit soll das gehen? Jedenfalls spüren wir auch da Grenzen.

Zu mir sagte einmal jemand: „Das mit der Nächstenliebe, das darf man nicht so ernst nehmen. Es schafft ja eh keiner so, wie es in der Bibel steht. Menschlich miteinander umgehen, so verstehe ich das. Leben und leben lassen, das ist meine Devise.“ Sehr viele Menschen denken so oder so ähnlich. Und in der Tat, das ist schon viel im Vergleich zu einer egoistischen Lebenshaltung, die wir auch bei vielen Menschen erkennen.

Doch genügt das? Soll man sich damit zufrieden geben? Dem Liebesgebot Jesu entspräche das jedenfalls nicht, auch nicht den Vorstellungen des Apostels Paulus. Paulus widmet der Liebe im gleichen Briefes ein ganzes Kapitel (Kapitel 13). Da wird klar, wie er die Liebe versteht, die alles vermag. Sie ist keine Allerweltsliebe, die bald hier, bald dort ihre Befriedigung sucht. Sie reicht nicht aus, um die Verhältnisse zum Besseren wirklich zu ändern, z.B. wenn Menschen sich streiten, wenn jeder recht behalten will und den anderen nicht achtet und links liegen lässt. Da wird deutlich: Unsere Liebe ist zu schwach gegen solche Übel. Unsere Lieblosigkeit ist meist stärker und kann letztendlich die Beziehungen ganz vergiften – in Familien, unter Freunden und Arbeitskollegen, in Vereinen, Parteien usw. Sie führt zu ungerechtem und unbarmherzigem Verhalten, zu Hass, Feindschaft und zum Unfrieden, stürzt Menschen ins Unglück und lässt sie am Sinn ihres Daseins verzweifeln.
Ändern kann sich das freilich, indem wir weniger über die Liebe philosophieren und hohe moralische Ansprüche und Überzeugungen vertreten, sondern sie auch selbst zu verwirklichen versuchen. Sie, die Liebe, verhilft dazu, unsere Mitmenschen mit ihren Nöten besser in den Blick zu bekommen und achtsam und einfühlsam zu ihnen zu werden. Sie hilft uns zugleich zu erkennen, wie meine eigenen Unvollkommenheiten, mein selbstsüchtiges Verhalten die Beziehungen belastet oder gar zerstört. Sie hilft, eigene Lieblosigkeiten zu erkennen und mein Verhalten zu ändern. Das hat jeder schon in irgendeiner Weise erfahren.

Die Liebe, die Paulus meint, ist jedoch noch mehr. Sie ist ein schenkendes, tätiges Lieben, das dem anderen zugute kommt und seinen Anfangspunkt bei Gott hat, dessen Wesen die Liebe ist. Solche Liebe ist eine Gabe an den Menschen, an jeden Menschen. Sie befähigt ihn, sich dem anderen von Herzen zuzuwenden, ihn zu begleiten und mit ihm nach dem zu suchen, was gut für ihn ist. Und gut für ihn ist alles, wozu Gott jeden einzelnen Menschen individuell und uns Menschen insgesamt bestimmt hat: ein liebender Mensch zu werden, der von Herzen so für andere da ist, dass auch sie liebende Menschen werden bzw. werden können. So gelangen wir auf den uns von Gott zugedachten Weg der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit und somit des Friedens. Solch eine Liebe, die göttlichen Ursprungs ist, hat in Jesus Christus, seinem Sohn, Gestalt angenommen. An ihm sehen wir, wie weit sie geht. Sie schließt niemanden aus, selbst den Feind nicht. Sie setzt sich für den Nächsten ein, vergibt, versöhnt, schafft so Gerechtigkeit und Frieden. Mit ihm ist solch eine Liebe auch zu uns gekommen. Sie kommt also nicht von uns selbst. Christen wissen das und sagen manchmal: Ich hätte längst nicht die Kraft und Ausdauer, mich anderen zuzuwenden, die mich in irgendeiner Weise brauchen und denen ich helfen kann. Sie wird mir gegeben.

Demgegenüber ist die Liebe, die nur denen entgegengebracht wird, die uns auch lieben – und so ist es ja in vielen Fällen -, nichts Besonderes, sagt Jesus und ergänzt sinngemäß: Mit ihrem gegenseitigen Wohlverhalten tun sie sich nur untereinander Gutes (Mt 5,46-47). Wenn man also Liebe nur an die verteilt, die einen auch lieben, dann ändert sich nichts. So wird keine Brücke zu einem Miteinander gebaut, das jeden trägt. So wird kein Hass überwunden, keine seelische Wunde geheilt, kein Krieg beendet und wird die Welt keinen Deut besser.

Jesus und auch der Apostel Paulus reden, wie ich es schon vorhin sagte, von einer bedingungslosen und grenzenlosen Liebe. Sie sprechen nicht von meiner Liebe zu meiner Familie, Freunden und anderen sympathischen Menschen, zu der ich in der Lage bin. Sie sprechen von der göttlichen Liebe, die in Jesus Christus Mensch geworden ist und die zu einem neuen Leben befreit. Diese Liebe lebte er vor. In seinem Geist können auch wir in solcher Liebe wachsen und sollen es auch. Sie allein ist größer als unser Verstand. Sie ist die Quelle zu einer bedingungslosen Zuneigung zu allen Menschen, denen ich helfen und beistehen kann. Sie überwindet alles: Schuld, Sünde, scheinbar überbrückbare Differenzen. Sie hofft alles, glaubt alles, hält allem stand, vergibt, versöhnt und heilt zerbrochene Herzen und zerbrochene Beziehungen. Sie erweicht den härtesten Stein. Ihre Kraft dazu bezieht sie aus der immerwährenden Liebe Gottes, die in Jesus Christus zu uns kam und Wohnung unter uns nahm. Menschen, die ihm vertrauen, wachsen in dieser Liebe und werden befähigt, sie weiter an Menschen weiterzugeben, die solcher Liebe bedürfen, so dass dem Bedürftigen geholfen wird und Gerechtigkeit und Frieden einziehen können. Sie schafft Neues: Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Frieden – uns allen zugute.

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. Das waren Paulus´ mahnende Worte am Schluss seines 1. Korintherbriefes. Denn die Christen in Korinth lagen untereinander im Streit, zu dem sich Paulus im ganzen Brief äußerte. Er erinnerte nun abschließend daran, in allem, was sie tun, in der Liebe miteinander umzugehen, mit der sie selbst von Gott geliebt werden.
Natürlich weiß auch er, dass wir darin nicht perfekt werden können, sondern oft schwach und auch versagen. Doch vor allem Christen als die von Gott angenommenen und geliebten Kinder sollen danach streben, wie er wenig vorher schreibt (Kap. 14,1). Und so wie er die Christen in Korinth dazu ermahnt hatte, so gilt dieses Wort auch uns heute.

Im Jahr 2023 haben wir wieder schmerzlich erfahren müssen, wie die Lieblosigkeit um uns herum und in der ganzen Welt um sich greift und Millionen von Menschen mit Hass und Gewalt, Leid und Not überzogen und dabei sogar viele Menschenleben ausgelöscht werden. Es mangelt an Liebe unter uns, an Nächstenliebe bis hin zur Feindesliebe. Die Bibel, Gottes Wort, lehrt uns: Wenn der Mensch sich selbst in den Mittelpunkt seines Daseins stellt und ihm dabei weder Gott etwas bedeutet noch der Mitmensch, verliert er sich selbst und bewirkt mit seiner Lieblosigkeit sogar seinen Garaus.
Daher freue ich mich, dass dieses Wort des Paulus, „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“, uns über das ganze Jahr 2024 begleiten soll. Lassen wir uns von ihm immer wieder daran erinnern, anders miteinander umzugehen, damit es gerechter, barmherziger und friedlicher unter uns und in der ganzen Welt zugehe.