schlussapplaus rheingold erfurtDieses „Rheingold“ beginnt mit dem Finale der „Götterdämmerung“! Bevor der Dirigent den Tankstock hebt, sehen (Vorhang-Projektion) und hören (knisterndes Feuer) wir den Weltuntergang nebst einer letzten (?) Begegnung von Wotan und Alberich. Kann man machen, macht auch Sinn, aber die akustische Qualität der Einspielung war ein Grauen!

Was dann folgte, war dank Jürgen R. Weber/Regie, Hank Irwin Kittel/Bühne und Tristan Jaspersen/Kostüme keine Minute langweilig! Man muss sich die Inszenierung am besten zweimal ansehen, um all die spielerischen, liebevollen oder sarkastischen „Kleinigkeiten“ zu entdecken und in der Musik zu hören – dort gibt es die nämlich auch. Manchmal bricht eins das andere, z.B., wenn zu hehren Klängen „Abendlich strahlt der Sonne Auge…“ dieses Auge auch inszeniert wird auf einer „Brücke“, die von oben einschwebt und es dann bis ins grausige Finale (mordender Wotan) vor sich hin zwinkert!

Die fantastisch bunt in Naturmaterialien kostümierte Harmlosigkeit der „Götter“ täuscht. Ihnen wird, wenn sie durch den Zuschauerraum auf die Bühne schreiten, ein abgeschlagener Kopf vorangetragen; es gibt undefinierbare blutige Rituale im Szenenhintergrund; Donner (Alik Abdukayumov) trägt einen blutigen Hammer, Froh (Tristan Blanchet) ist gegürtet mit Mengen von abgeschlagenen Hoden. Alberich büßt nicht nur einen Finger oder die Hand ein, wenn Wotan ihm den Ring entwindet – es ist der ganze Arm mit einem kettchenverbundenen Doppel-Unterarmreif.

Im Finale mordet Wotan mit einem Schwert (das zum Nibelungenschatz gehört!) bis auf Fricka sämtliches „Personal“. Überflüssig! Dass sich Wotan im Bann des Rings befindet, hat man Albert Pesendorfer längst vorher angesehen. Ihm, der vor 22 Jahren seine Bühnenlaufbahn in Erfurt begann, gebührt stimmlich wie darstellerisch höchstes Lob: Auf diesen stimmgewaltigen Wotan ist Verlass, er ist jederzeit „Chef“, gleich, was man ihm anzieht und ob man ihn (wie hier) nach Freias Weggang plötzlich altern lässt (weg mit der halblangen Braunhaarperücke!). Kaum zu glauben, dass dies sein Rollendebüt als Wotan war – so sicher ist er, so abgeklärt.

Sehr gut gefallen hat mir, wie Ks. Katja Bildt die Fricka gestaltet: fast belcantesk und mit einer Ausstrahlung, die sehr viel über ihre Beziehung zu Wotan sagt.

Auch Loge ist eine Klasse für sich! Sowohl stimmlich als auch darstellerisch überzeugt Brett Sprague. Das runenverzierte Kostüm lässt leider nicht auf sein quirlig-hinterhältiges Wesen schließen, es ist vergleichsweise bieder –einzig drei „Mini-Ausgaben“ der Rheintöchterkostüme zieren seinen Gürtel. Sein Spaß am Spiel ist mit Händen zu greifen - nur die Hamlet-Pose mit dem Totenschädel ist mir zu banal.

Ks. Máté Sólyom-Nagy ist ein überzeugender, starker Alberich, gibt stimmlich wie darstellerisch alles und zeigt vor allem die beiden Seiten: bei all ihrer Rauheit und Besessenheit die umgetriebene, verletzte Seele der Figur.

Rollendeckend besetzt sind sein Bruder Mime (Ewandro Stenzowski), Fasolt (Sam Taskinen) und Fafner (Kakhaber Shavidze).

Während bei den Nibelungen an den Kostümen gespart wird, sind Rheintöchter und Götter überbordend ausgestattet. Die Fischkostüme von Candela Gotelli/Woglinde, Daniela Gerstenmeyer/Wellgunde, und Valeria Mudra/Floßhilde) sind genial beweglich gemacht und erinnern an riesige Zungen. Erda (Rose Naggar-Tremblay) erscheint ganz in Rot, ihr Kostüm ziert ein Gürtel aus ineinander verschlungenen Händen, auf dem Rücken trägt sie ein Gebilde aus mehreren Armen und Beinen, die sie wie ein Strahlenkranz umgeben. Wer erklärt den Sinn? Noch Opulenteres trägt Freia (Laura Nielsen). Die aus ihrem Rücken herausragenden Zweige tragen Blüten (!), als die Riesen sie zurückbringen! Aber warum trägt sie ganze Ballen von Augen statt Äpfel am Leib? Die urmenschlichen Riesen Fasolt und Fafner (rollendeckend Sam Taskinen und Kakhaber Shavidze) mit knallroten Muskelpaketen bepackt, würden im Weimarer Museum für Ur- und Frühgeschichte sofort Platz finden! Ja – Menschen sind sie alle, trotz Speer, Schädelreliquien oder traumfängerartigen Aufbauten (Fricka). Das ist gewollt, das ist Konzept in dieser textgetreuen Inszenierung. Trotz der Magie sind das alles Menschen, die hier agieren. In Konsequenz tragen sowohl der Tarnhelm als auch Wurm und Kröte lustige menschliche Züge!

Vielfältig bunt ist diese Inszenierung, bunt ist auch die Zusammensetzung des Nibelungenhortes: Für Alberich ist es ein goldener Riesen-Phallus (1. Szene), für die Götter die Himmelsscheibe von Nebra, ein Schwert, Helm und Ring, für die Riesen der nicht identifizierbare Inhalt verschieden großer Säcke (4. Szene).

Ich habe zum ersten Mal Gefallen an den Videoeinspielungen (Gretchen fan Weber) gefunden, weil sie sich nicht vordrängten, kein Eigenleben beanspruchten, sondern die Szene unterstützten und erfüllten. Absolut sehenswert: Das sich windende grausige Gewürm in den Erdschichten von Nibelheim! Dass auf die zwischen den Szenen geschlossenen Vorhängen auch projiziert wird, verkürzt die Wartezeit, allerdings stellt sich bei mir fast Ekel ein, wenn Wotan sich (in Großaufnahme) sein linkes Auge in Zeitlupe herausreißt.

Musikalisch leistete das Philharmonische Orchester Erfurt mit der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach unter der Leitung von Pedro Halffter mehr als Achtbares angesichts der derzeitigen Arbeitsbedingungen und der Gesamtsituation des Theaters. Ein kleines Schwächeln zu Beginn der 2. Szene – geschenkt! Danach waren mehr und mehr Selbstbewusstsein und Sicherheit aus dem Graben zu hören. Dass die Sänger nie zugedeckt wurden und sich sehr um Wortdeutlichkeit bemühten, ist sehr zu loben.

Vielleicht könnte die Balance zwischen Orchester und den überlaut hämmernden „Zwergen“ in Nibelheim noch angeglichen werden (live ist live).

Das Konzept der folgenden Ringabende würde ich gern kennenlernen! Es kann nur besser sein als vieles, das man anderswo (leider auch in Bayreuth) zu sehen bekommt. Doch der Ring liegt auf Eis, die Situation des Erfurter Theaters lässt anderes nicht zu. Weißt du, wie das wird? Die Nornenfrage aus der Götterdämmerung bleibt (noch) unbeantwortet.